Presseschau (Dis)Equality

Ja zum Schwangerschaftsabbruch, nein zu Depardieu!

Die Affäre um Gérard Depardieu in Frankreich, die Abtreibungsfrage in Europa und der Fall Marcin Kącki in Polen werfen die Frage auf, ob Frauenrechte nur dann thematisiert werden, wenn sie politisch opportun sind? Lesen Sie dazu unsere thematische Presseschau in Zusammenarbeit mit Display Europe.

Veröffentlicht am 23 Januar 2024 um 16:24

Sollten drei Fünfteln der französischen Parlamentsmitglieder dafür stimmen, dann wird das Recht auf Abtreibung in der französischen Verfassung verankert - eine „Weltpremiere”, wie Libération sagt. Tatsächlich würde eine solche Verfassungsreform es sehr schwierig machen, das Gesetz künftig wieder aufzuheben. Damit käme die in Frankreich 2023 begonnene Debatte am 5. März zu einem erfreulichen Abschluss. Ein positives Ergebnis wäre zudem ein symbolisches Signal in einem reaktionären politischen Kontext vor allem nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, das Abtreibungsrecht auf Bundesebene abzuschaffen

Abtreibung ist zwar überall in Europa legal, aber manchmal handelt es sich dabei um ein rein formales Recht. In Italien zum Beispiel ist es in einigen Regionen praktisch unmöglich, eine Abtreibung vorzunehmen, weil es dort viele Ärzte gibt, die den Eingriff aus Gewissensgründen verweigern, wie Internazionale erklärt. In Polen und auf Malta ist eine Abtreibung nur im Falle einer Vergewaltigung oder bei Lebensgefahr der Mutter möglich (OpenPolis hat eine Übersicht über die Abtreibungsrechte in Europa erstellt).  

Der französische Gesetzestext soll - so wörtlich - die „Freiheit zur Abtreibung gewährleisten”. Feministinnen würden es jedoch vorziehen, wenn der Text vom „Recht auf Abtreibung” sprechen würde, wie Le Monde erklärt. Dennoch ist das Gesetz ein großer Schritt nach vorn, den Präsident Emmanuel Macron entsprechend gewürdigt hat: „Die Rechte der Frauen sind stets eine zerbrechliche Errungenschaft”, zitierte er die französische Anwältin Gisèle Halimi, die den Kampf für die Legalisierung der Abtreibung in Frankreich begonnen hat.

Renaud Dély von FranceInfo fragt sich jedoch, ob dies nicht eher ein politischer Schachzug Macrons ist: „Mitterrand wird für immer mit der Abschaffung der Todesstrafe in Verbindung gebracht werden, Giscard mit der Entkriminalisierung der Abtreibung und Hollande mit der gleichgeschlechtlichen Ehe. Macron hat bisher nur eine einzige Reform von solcher Tragweite durchgeführt: den gleichberechtigten Zugang zu medizinisch unterstützten Fortpflanzung, ein Gesetz, das mehrfach verschoben und mit äußerster Vorsicht behandelt wurde. Der Präsident [...] versucht nun, bevor es zu spät ist, eine andere Geschichte zu schreiben, ohne dabei jedoch zu viel Risiko einzugehen. Denn laut dem französischen Umfrageinstitut IFOP sind fast 9 von 10 Franzosen für die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Verfassung.”


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Wie in Italien ist es jedoch auch in manchen Regionen Frankreichs äußerst schwierig, ja fast unmöglich, eine Abtreibungen durchzuführen, wie Le Monde deutlich macht. Denn in den letzten 15 Jahren wurden 130 öffentliche Familienplanungszentren aufgrund von Sparmaßnahmen geschlossen. Dazu kommen 45 Krankenhäuser, in denen  Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen wurden und die ebenfalls schließen mussten.

Der Fall Depardieu

Im Dezember 2023 beklagte Emmanuel Macron die „Hexenjagd” auf einen Mann gegen den drei Anklagen wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung vorliegen. Es handelt sich um Gérard Depardieu, Frankreichs bekanntesten und bestbezahlten Schauspieler, der regelmäßig wegen anstößiger Äußerungen oder strafrechtlich relevanter Handlungen in die Schlagzeilen gerät.

Der jüngste Skandal, in dem ihn Emmanuel Macron unterstützt, wurde durch die französische Fernsehsendung Complément d'enquête ausgelöst. Darin wird ein Video gezeigt, das während einer Reise nach Nordkorea aufgenommen wurde und in dem der Schauspieler permanent sexuelle und sexualisierende Bemerkungen macht, sogar gegenüber einem kleinen Mädchen. Besonders belastend für Dépardieu ist ein in Mediapart erschienener Artikel, in dem 13 Frauen den Schauspieler sexueller Gewalt beschuldigen und der für Empörung sorgte. 

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Am 25. Dezember erschien daraufhin auf der Website der konservativen Tageszeitung Le Figaro ein von mehreren Persönlichkeiten der Unterhaltungsindustrie unterzeichneter Brief zur Unterstützung von Depardieu. Mehrere Unterzeichner zogen ihre Unterstützung jedoch wieder zurück, nachdem sich herausstellte, dass der Verfasser und Initiator der Petition, Yannis Ezziadi, der extremen Rechten nahesteht.

Wie die polnische Soziologin Elżbieta Korolczuk auf Voxeurop erklärt, stehen die Themen Gender und Feminismus auch in ihrem Land im Zentrum des reaktionären rechten Diskurses.

„Die Änderung von Gesetzen mag wichtig sein, aber die Änderung kultureller und politischer Paradigmen ist genauso wichtig - sehr wichtig sogar”, betont die Soziologin. Die Verteidigung der Abtreibung scheint in einem Land, in dem derzeit keine Gefahr besteht, dass diese Freiheit abgeschafft wird, „einfach” zu sein. Gewalt gegen Frauen hingegen scheint weniger offensichtlich, wenn sie einen Mann aus dem eigenen sozialen Umfeld und Milieu betrifft.

Gesetze sind wichtig, aber sie reichen nicht aus. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, das engagierte Interview mit der kroatischen Forscherin Jana Kujundžić auf Voxeurop zu lesen. Darin warnt sie, dass die Entscheidung der kroatischen Regierung, Femizid zu einem Verbrechen zu machen, nicht ausreiche, sollten die Machtstrukturen unverändert bleiben.

Skandal um sexuellen Missbrauch in den polnischen Medien: der Fall Marcin Kącki 

Der Fall von Marcin Kącki hat in Polen für heftige Diskussionen gesorgt. Der ironischerweise mehrfach für seine investigative Arbeit über sexuelle und sexistische Missbrauchsfälle ausgezeichnete Journalist hatte in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza sein „unehrenhaftes Verhalten” gegenüber Frauen gestanden. Er gab zu, regelmäßig die Grenzen des Anstands (und des Gesetzes) überschritten zu haben und entschuldigte sich dafür nun öffentlich. Der zunächst viel gelobte Brief wurde später jedoch zurückgezogen und Kąckis entlassen, nachdem die Journalistin Karolina Rogaska mit konkreten Details an die Öffentlichkeit getreten war. Rogaskas Anschuldigungen waren bereits bekannt und hatten ohne Wellen zu schlagen dazu geführt, dass Kąckis seine Lehrtätigkeit an einer Schule nicht mehr ausüben durfte. Die Journalistin bezeichnete Kąckis Geständnis als Farce und den Versuch, seine eigene Haut zu retten, wie Notes for Poland berichtet

Nach Ansicht ihrer Kollegin Kata Puto ist die Affäre aber zumindest ein Zeichen dafür, dass sich die Dinge ändern. In der Zeitschrift Krytyka Polityczna schreibt sie: „Selbst wenn Kąckis Geständnis narzisstisch ist und die Opferperspektive nicht in Betracht zieht (was der Fall ist), selbst wenn er es eher aus Angst als aus aufrichtiger Reue abgelegt hat (wir wissen es nicht), zeigt allein die Tatsache, dass er es getan hat, dass wir uns heute in einer ganz anderen Situation befinden als vor #MeToo.”

Wie wichtig diese Veränderung ist, zeigt eine Studie der Fundacja Instytut Zamenhofa aus dem Jahr 2023, die auf Aussagen von 268 polnischen Journalistinnen beruht und offenbart, dass 60 Prozent von ihnen bereits Opfer sexueller Gewalt geworden sind.

Über Vergewaltigung und Einwilligung

Die seit letztem Monat in mehreren europäische Ländern geführte Debatte über Einwilligung und Vergewaltigung geht weiter. Besonders erwähnenswert ist dabei dieser offene Brief der WeMove- Aktivistin Marta Asensio, die sich zusammen mit der Europäischen Frauenlobby für das Thema einsetzt. Die progressive polnischen Zeitschrift Krytyka Polityczna veröffentlicht ausserdem einen interessanten Artikel, in dem dringend empfohlen wird, dass Polen die Einwilligung als Kriterium für die Definition von Vergewaltigung einführt.


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In Zusammenarbeit mit Display Europe, kofinanziert von der Europäischen Union. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die des Autors/der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologie wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für sie verantwortlich gemacht werden.
ECF, Display Europe, European Union

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