In grün, Ungarn. In hellgrün, die ungarische Diaspora in den Nachbarländern. Karte: Presseurop, Ivaşca Flavius

Slowakei-Ungarn : Extreme Spannungen

In der Slowakei nähren sich die nationalistischen Parteien von dem Erfolg der "ungarischen Populisten" und der Forderung nach Autonomie für die magyarische Minderheit der Slowakei. Um Land zu gewinnen heizen sie die politischen Spannungen zwischen den beiden Ländern an.

Veröffentlicht am 4 Juni 2009 um 16:03
In grün, Ungarn. In hellgrün, die ungarische Diaspora in den Nachbarländern. Karte: Presseurop, Ivaşca Flavius

Während man sich in Ungarn auf die Rückkehr an die Macht des Populisten Viktor Orbán vorbereitet, ist die Situation auf slowakischer Seite für Ján Slota schwierig geworden. Lange Zeit haben seine Wähler seine Brutalität und seinen prahlerischen Hang zum Luxus toleriert, doch diesmal scheint ihr Liebling etwas zu weit gegangen zu sein. Die Europäische Kommission hat eine Ausschreibung der Slowakei für ungültig erklärt, bei der mehrere Milliarden Euro aus EU-Fonds auf dem Spiel standen. Denn es war offenkundig, dass der Auftrag an Freunde von Slota gehen sollte. Darüber hinaus ziert Slota seit einigen Wochen die Titelseiten: einmal wegen eines Luxusautos, ein anderes Mal, weil er eine Polizistin beschimpfte.

Autonomie: ein Tabu-Wort

Leider kann man nicht darauf hoffen, dass Slota und mit ihm der slowakische Nationalismus von der politischen Bühne verschwinden werden. Er wird von der nationalistischen ungarischen Politik genährt und wartet nur auf die Gelegenheit, um wieder aufzutauchen. Allerdings hat Viktor Orbán, Chef der Oppositionspartei Fidesz und potentieller ungarischer Ministerpräsident 2010, heftige Reaktionen in der Slowakei ausgelöst, indem er behauptete, das Hauptinteresse bei der Europa-Wahl sei es zu erfahren, wie viele Europa-Abgeordnete die im "Karpatenbecken" lebenden Ungarn stellen werden [Gebiet, das zum heutigen Rumänien gehört und in welchem sich die magyarischen Stämme im IX. Jahrhundert niedergelassen haben]. Außerdem unterstütze er die Autonomiebestrebungen der auf der anderen Seite der Grenze wohnenden Ungarn.

In der Slowakei ist das Wort "Autonomie" noch stärker tabuisiert als das ungehobelte Verhalten Slotas. Die unter dem gemeinsamen Namen SMK vereinten Politiker der ungarischen Minderheit wissen dies selbst ganz genau. Deswegen verwenden sie diesen Begriff selten. Leider gibt es in ihrer Partei seit einigen Wochen interne Abspaltungen. Der sehr beliebte, langjährige Chef der SMK, Béla Bugár, hat die Fraktion seiner Partei im Parlament verlassen. Mehrere Abgeordnete sind in seine Fußstapfen getreten. Obwohl zahlreiche Parteimitglieder die Gruppe verlassen haben und darauf warten, dass Bugár eine neue Partei gründet, gehört er immer noch zur SMK. Der Hauptstreitpunkt ist die Autonomiefrage, selbst wenn dies von den ungarischen Politikern nicht direkt erwähnt wird.

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Seit ungefähr zehn Jahren stellen sich die Vertreter der ungarischen Minderheit in der Slowakei die existenzielle Frage: Wie kann man mit den Slowaken leben und dabei ungarisch bleiben? Vereinfachend kann man sagen, dass der gemäßigte Béla Bugár und die liberalen Intellektuellen in Bratislava nach Partnern suchen, während der derzeitige Vorsitzende der SMK, Pál Csáky, eher Budapest zugeneigt ist. Lange Zeit waren die Meinungsverschiedenheiten eher latent, denn die seit 2002 in Ungarn regierende liberale Linke hat noch nie großes Interesse an den ungarischen Minderheiten gezeigt. Dies dürfte sich aber mit der Rückkehr an die Macht von Orbán ändern. Er möchte der einer Zeit ein Ende setzen "die Ungarn geschwächt hat", weil es "sich von den Ungarn abgewendet hat, die auf der andern Seite der Grenze leben". Csáky kann auf die politische wie auch auf die finanzielle Unterstützung Orbáns zählen. Es ist anscheinend nur noch eine Frage der Zeit, bis Csáky ohne Hemmungen das Wort "Autonomie" benutzen kann.

Der 8. Mai wird nicht gefeiert

Heute kann man noch nicht vorhersagen, welchen Einfluss diese neue politische Situation auf das slowakisch-ungarische Verhältnis haben wird. In jedem Fall ist es ein Thema von übergeordnetem Interesse. Ungarn wird sicherlich das erste post-kommunistische Land Europas mit einer Einparteien-Regierung werden – denn Orbáns Fidezs verfügt über eine immense Wählerschaft. Ungarn ist aber auch das einzige Land Europas, von dem man sagen kann, dass es die Niederlagen des Ersten und Zweiten Weltkrieges noch nicht verdaut hat, die ihm seine historischen Gebiete geraubt haben. Wie die liberale Wochenzeitschrift Magyar Narancs letzte Woche in ihrem Leitartikel schrieb, verging der 8. Mai in diesem Jahr "ohne eine Spur zu hinterlassen", denn die Ungarn wüssten nicht genau, was sie eigentlich zu feiern hätten. "Sind wir die letzten Brandwächter?" fragt sich die Wochenzeitung entsetzt. Und fügt hinzu: "Vor dem Hintergrund dieser verlegenen Stille treten die Ereignisse der letzten Monate um so deutlicher hervor: die rassistischen Gewaltexzesse, die schwarzen Uniformen in den ungarischen Dörfern und die Hassdemonstrationen, von denen man fast täglich hört."

Der Wandel Ungarns zu einem Land, in dem die nationalistische Politik Orbáns zur Landespolitik wird, trägt in der Slowakei sicherlich viel zu einer politischen Erstarkung Slotas bei. Dem Ministerpräsidenten Robert Fico ist dies bewusst. Er tut vorausschauend alles, um dies zu verhindern. In letzter Zeit versucht er, seinen Koalitionspartner zur Seite zu drängen. Er besetzt sein Kabinett ständig um und erklärt ostentativ, dass er nicht wünsche, dass Slota und seine Partei der nächsten Regierung angehören.

Die Spielkarten der Macht sind schnell neu verteilt, und der einzige noch zögernde ist Béla Bugár. Mit der Gründung einer neuen Partei würde er die ungarische Minderheit in zwei Lager spalten (aber er hat vor den Wahlen in einem Jahr die Möglichkeit, sich mit Csáky über die Aufstellung einer gemeinsamen Liste zu einigen). Indem er nichts tue, lege er die Frage der slowakisch-ungarischen Beziehung in die Hände der "Brandwächter". Viele Slowaken warten auf die Entscheidung Bugárs, der wegen seines Humors und seiner Besonnenheit beliebter ist als so mancher slowakische Politiker.

AUS UNGARISCHER SICHT

Die magyarische Kultur braucht Schutz

Die Ungarn sind immer noch traumatisiert von der Vertreibung ihrer Landsleute (zusammen mit den Sudetendeutschen) aus der Tschechoslowakei 1945. Die Magyaren bilden eine Sprachinsel mitten in Europa und wollen ihre Sprache schützen — und damit alle magyarisch Sprechenden in der Region und auch die magyarische Minderheit in der Slowakei — bemerkt die ungarische Presse. Dies ist für die Slowakei untragbar. Ihre ungarische Gemeinde ist die größte Europas und macht fast 10 Prozent der slowakischen Bevölkerung aus. Die slowakische Nationalpartei ist Koalitionsmitglied und zögert nicht, das Gespenst der Autonomie der slowakischen Ungarn wachzurufen. Anfang Mai hat im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Falles des Eisernen Vorhangs in Wien der Streit erneut begonnen: Es genügte, dass der Chef der Fidesz, der größten rechtsgerichteten Partei Ungarns, vom "Karpatenbecken" sprach und schon entfesselten der slowakische Ministerpräsident Robert Fico und der nationalistische Parteichef Ján Slota die an Hysterie grenzende Angst vor den Ungarn. Dabei machten zur gleichen Zeit der ungarische und der slowakische Außenminister eine Versöhnungsgeste, indem sie für eine "Donauregion" und eine gemeinsame diplomatische Vertretung in entlegenen Ländern eintraten.

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