Spanien zwischen Panik und Prognose

Bis zu dieser Woche hat Madrid geglaubt, man könne mit Bankenhilfen bis zur Wahl in Griechenland warten. Weil sich keine einfache Lösung zeigt, herrscht jetzt Panik.

Veröffentlicht am 6 Juni 2012 um 14:47

Das politische Klima um die Eurokrise hat sich in den letzten Tagen unmerklich gewandelt. Während man noch vor Kurzem davon ausging, dass das im Auge des Hurrikans stehende Spanien nach den gescheiterten ersten Parlamentswahlen in Griechenland vor dem entscheidenden Wahltermin am 17. Juni nichts erhoffen könne, scheint sich jetzt die Idee zu behaupten, dass eigentlich schon vor diesem schicksalhaften Tag etwas unternommen werden müsste. Ist es Panik oder nur eine einfache Prognose?

Das deutlichste Symptom dieser neuen Einstellung war wohl die gestrige Videokonferenz der Finanzminister der reichsten Industriestaaten der Welt (G7). Solchen außerordentlichen Beratungen folgten bisher meistens konzertierte Aktionen der großen Notenbanken.

Ferner tritt heute der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) zusammen und könnte die Hoffnungen all jener erfüllen, die klare Maßnahmen zur Verteidigung der Einheitswährung fordern.

Hoffen auf Hilfe aus der Euro-Zone

In Spanien sind derzeit zwei Trends zu beobachten: einerseits das wachsende, tiefe Misstrauen der Märkte bezüglich der Schulden des Staates und der Banken und andererseits ein gewisses Gefühl, dass die Eurozone, die angesichts der in der letzten Zeit geführten Diskussionen mit Deutschland gleichzusetzen ist, bereit wäre zu handeln, um ein Desaster in Spanien zu verhindern.

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Die Börsen und Währungen kommen jetzt je nach dem Tenor der Gerüchte abwechselnd ins Schlingern.

Um wieder Ordnung zu schaffen, strebt der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos eine Lösung an, in deren Rahmen die Banken sich mit europäischem Geld rekapitalisieren können, ohne dass im Land interveniert wird.

Ein Rettungsplan würde zur politischen Liquidation der Regierung des Ministerpräsidenten Mariano Rajoy führen und enorme Opfer von der Bevölkerung fordern, die dem Diktat der Gläubiger unterworfen wären.

Eine Intervention würde dem Land den Zugang zum Markt sperren. Nur der Rettungsfonds könnte dann die fälligen Verbindlichkeiten refinanzieren. Im Gegenzug würde er der Regierung, der die Hände gebunden sind, alle wirtschaftspolitischen Entscheidungen diktieren.

Die Hauptaktionäre des Rettungsfonds sind die Länder, in denen die Gläubigerbanken ihren Sitz haben.

Strangulation mit dem Rettungsschirm

Ihnen schulden die spanischen Finanzinstitute und der spanische Staat enorme Beträge. Wie wir in Griechenland sehen, kommt diese Rettung eine der von der Eurokrise geprägten Euphemismen einer Strangulation gleich.

Zudem wissen wir alle, dass Athen keinen Cent von dieser angeblichen Rettung sieht, da praktisch das gesamte Geld direkt in die Taschen der Gläubiger fließt, d.h. des Internationalen Währungsfonds (IWF), der EZB und der Europäischen Kommission.

Aus der Sicht der Gläubiger liegen die Dinge jedoch anders. Eine Teilrettung, d.h. eine Rettung der verschuldeten Banken, könnten den bilateralen Schuldenverhandlungen zwischen den Finanzinstituten und den Geldgebern bald ein Ende setzen, da nur eine ganzheitliche Rettung, d.h. eine Rettung des Landes, den Gläubigern die Gewissheit verleiht, ihre Forderungen auch eintreiben zu können.

Wenn man dem Glauben schenkt, was die spanische Regierung zu verstehen gibt und was Berlin öffentlich erklärt, unterstützt Deutschland Spanien.

Wann man jedoch der internationalen Presse und den EU-Korrespondenten sein Ohr leiht, sind Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble am meisten daran interessiert, dass Madrid eine Pauschalrettung beantragt, eine Intervention nach allen Regeln der Kunst. Obama, Hollande und Barroso gehören auch zu jenen, die Berlin um eine Geste bitten.

Gestern fasste der spanische Finanzminister Cristóbal Montoro auf seine geistreiche Art die Lage zusammen, in der sich die spanische Regierung befindet: „Die Men in Black kommen nicht“.

Obwohl er die Intervention ablehnt, muss er zugeben, dass für die Sanierung der Banken Geld benötigt wird und „das Problem darin besteht, herauszufinden, woher es kommen könnte“.

Der letzte Satz des Ministers hilft wahrscheinlich, den eingangs erwähnten Klimawandel besser zu verstehen. Spanien hat kaum mehr Zugang zu den Märkten. Ohne die Hilfe der EZB und des Euroraums kann das Land nicht mehr lang durchhalten.

Aus Polen

Ängstliches Europa

„Madrid beißt seine Zähne zusammen und wehrt sich gegen das ‚Rettungspaket’“, schreibt das polnische Wochenblatt Tygodnik Powszechny. Und die Iren, die längst internationale Hilfen beziehen, bejahten den Fiskalpakt per Referendum nur aus „Angst vor der Zukunft und davor, alleingelassen zu werden“.

„Spanien und Irland in Angst vereint. Überall in Europa ist Angst derzeit das alles beherrschende Gefühl. Sie sitzt irgendwo zwischen Bauch und Herz und lähmt hin und wieder den Atem. Was die Griechen fühlen, spüren auch Spanier, Briten und Polen. Und selbst die Deutschen, auf der die gesamte Verantwortung lastet, Europa aus der Krise zu retten, haben offenbar ihren Sinn für Heiterkeit verloren. Auch sie verspüren sie.“

Angst hat die Iren knausrig gemacht. In den letzten vier Jahren sparten sie was das Zeug hält. Und auch wenn sie genug davon haben, „sehen sie keinen anderen Ausweg aus der Krise“, schreibt das katholische Wochenblatt.

In der Zwischenzeit besteht der spanische Regierungschef Mariano Rajoy

verbissen darauf, dass Madrid keine Hilfe aus dem Ausland braucht. Verzweifelt kämpft er darum, die Glaubwürdigkeit seines Landes zu wahren. Allerdings scheint die Überzeugungskraft seiner Garantien immer mehr zu schwinden.

Selbst wenn es der spanischen Regierung gelingt, die Bank Bankia zu retten, wo soll sie nur „die 100 Milliarden Euro“ auftreiben, die sie zur Rettung des ganzen Bankensektors benötigt, fragt sich Tygodnik Powszechny. Die

Angst vor dem, was in Spanien passiert, hat die Landesgrenzen bereits überwunden. Schließlich ist Spaniens Wirtschaft fast doppelt so groß wie Griechenlands, Portugals und Irlands Wirtschaft zusammengenommen.

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