Stunk im Staatsdienst

Die Briten kürzen ihren Haushalt mit der Axt, die Franzosen, Deutschen und Letten sparen an allen Ecken und Enden. Der Mythos vom krisenverschonten Beamten scheint überholt.

Veröffentlicht am 27 Oktober 2010 um 13:55

Es war einmal das Land des öffentlichen Dienstes mit festen Stellen, sicheren Arbeitsplätzen, mit Gehältern, die sich der Inflation anpassten, mit 13. oder 14. Monatsgehalt, mit höheren Renten und leichterem Abgang in die Frührente. Für drei Generationen von Europäern galt der vorteilhaften Status eines „Fonctionnaire“, „Civil Servant“, „Regierungsbeamten“, „Statale“, oder „Funcionario Público“ als Traumjob. Ein Beamter konnte — im Gegensatz zum Angestellten des privaten Sektors — nicht entlassen werden, darüber hinaus konnte er sicher sein, dass sein Arbeitgeber nicht Konkurs anmelden würde.

Doch weiß Europa seit der Griechenlandkrise, dass ein Land durchaus vor dem Bankrott stehen kann. Der Beamte wird immer mehr zu einem Arbeitnehmer wie jeder andere. Der Mythos des Arbeitsplatzes auf Lebenszeit ist passé. Alle europäischen Regierungen — von den liberalen Briten zu den etatistischen Franzosen — kürzen Gehälter, streichen Prämien, und verringern die Zahl der Staatsdiener, um die kolossalen Haushaltsdefizite in den Griff zu bekommen und das Vertrauen der Märkte wieder zu gewinnen.

Den Rotstift-Rekord hält der britische Premier David Cameron, dessen „spending review“ (Haushaltsplan) gleich die Streichung von 490.000 Stellen von „Civil Servants“ vorsieht. Die wahre Zahl könnte noch höher ausfallen: Laut dem Chartered Institute of Personnel and Development oder CIPD [Institut, das sich satzungsgemäß um Angestellte und Ausbildung im öffentlichen Dienst kümmert] werden „bis 2015/2016 rund 750.000 Stellen verlorengehen, wenn sich die Koalition an ihren Plan für langfristige Ausgaben hält.“ Beamte, die in Pension gehen, werden nicht ersetzt und eine große Anzahl wird schlicht entlassen.

Eingefrorene oder gekürzte Gehälter, Stellen- und Prämienstreichungen

In Frankreich hat Nicolas Sarkozy die Beamtenbesoldung eingefroren und die Hälfte aller Rentenabgänger sollen nicht ersetzt werden. Seit 2007 sind 100.000 Stellen gestrichen worden und 2011 ist die Streichung von 31.638 weiteren Stellen vorgesehen. In Portugal kündigte der Sozialist José Socrates nach einem Lohnstopp 2010 zwei weitere harte Einschnitte an: eine Lohnkürzung um fünf Prozent und ein Stopp bei Beförderungen und Neueinstellungen. Anfang des Monats erklärte der spanische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero, dass die „Funcionarios“ drei Jahre warten müssten, bis ihre Gehälter die Kürzung um fünf Prozent vom Frühjahr wieder aufgeholt hätten. In Irlandwird, nach einem Minus von vierzehn Prozent für Gehälter des öffentlichen Diensts, derzeit zwischen Regierung und Gewerkschaften über weitere Kürzungen von Sonderleistungen an Beamte verhandelt.

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In Griechenland senkte die Regierung von Giorgos Papandreou die Gehälter, verordnete einen Einstellungsstopp, erhöhte das Renteneintrittsalter und strich Prämien wie auch 13. und 14. Monatsgehalt. Anfang Oktober blockierten Angestellte des Kulturministeriums mit zeitlich begrenzten Arbeitsverträgen die Akropolis, um gegen die Nichtverlängerung ihrer Verträge zu protestieren. Sie gesellten sich somit zu den seit Monaten streikenden Fluglotsen, Bahn- und Hafenangestellten. Am 21. September erlebte die Tschechische Republik die größte Demonstration seit dem Fall des Kommunismus: 40.000 Beamten gingen auf die Straße, um gegen die von ihrer Regierung geplante Kürzung ihrer Gehälter um zehn Prozent zu protestieren. In Ungarn strich Regierungschef Viktor Orbán den Neukauf von Dienstwagen und Handys für Staatsdiener.

In Litauen verloren die Beamten durchschnittlich rund 30 Prozent ihres Einkommens. Alle Länder sind betroffen, selbst das reiche Deutschland: Angela Merkel hat die Streichung von 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst bis 2014 angekündigt. Der allgemeine Sparkurs verschont auch nicht ein weiteres Feld des öffentlichen Dienstes: die reichen und beneideten Beamten der Europäischen Union. Angesichts der knappen Haushaltsmittel stellt die EU-Kommission verstärkt Zeitarbeiter mit befristeten Verträgen ein und verzichtet somit darauf, die Ränge der festangestellten Eurokraten noch weiter wachsen zu lassen. Wurden 2010 nur die Gehaltserhöhungen um die Hälfte gekappt, sollen nun die Gehälter der Eurokraten um 0,4 Prozent gesenkt werden. (js)

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