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Rechtsextreme in Europa: vereint um Le Pen, in der Klemme angesichts des US-Handelskriegs

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Marine Le Pens Verurteilung wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder am 31. März hat bei der radikalen Rechten auf beiden Seiten des Atlantiks zu einem Aufschrei im Namen der Volkssouveränität geführt. Ihre traute Einigkeit bröckelte jedoch angesichts der hohen Zölle, die Washington nur zwei Tage später gegen seine europäischen Partner verhängte.

Veröffentlicht am 10 April 2025

In einem Interview mit The Conversation lobt der französische Politikwissenschaftler und Forschungsdirektor am Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS), Luc Rouban, das Urteil des Pariser Gerichts gegen Marine Le Pen: „Die Bekräftigung der Rechtsstaatlichkeit ist absolut unerlässlich und legitim, denn das demokratische System in Frankreich ist noch viel mehr als in anderen europäischen Ländern stark geschwächt. 

Das Vertrauen der Bürger*innen in Politik und Justiz ist sehr gering und muss wiederhergestellt werden. Dazu gehört vor allem, dass die Justiz auch gegen Persönlichkeiten vorgeht, die Millionen von Euro veruntreuen, und nicht nur gegen Kassiererinnen, die entlassen werden und wegen des Diebstahls eines Schokoriegels angeklagt werden. Die Verurteilung von Marine Le Pen ist ein unbestreitbarer Fortschritt für unsere Demokratie, ein Zeichen dafür, dass sich das Verhältnis zur Politik ändert und sie zu einer beruflichen Tätigkeit wie jede andere geworden ist, die Vorschriften und Gesetzen unterliegt“. Angesichts der Angriffe auf die Justiz und des „trumpistischen Arguments von der ‚Regierung der Richter‘“ erinnert Rouban daran, dass „ein Richter einzig und allein das Gesetz anwendet“.

In seinem Newsletter History of the Present sorgt sich Timothy Garton Ash allerdings um die politischen Folgen dieser Verurteilung. Der britische Historiker und Essayist sieht dabei insbesondere „zwei große Gefahren“. „Erstens könnte es dem Rassemblement National (RN) helfen, die Präsidentschaftswahlen 2027 entweder mit Marine Le Pen selbst als Kandidatin zu gewinnen”, falls ihre Verurteilung noch aufgehoben werden sollte, „oder mit dem RN-Vorsitzenden Jordan Bardella”. Garton Ash erwähnt in diesem Zusammenhang das Beispiel Rumäniens, wo der rechtsextreme Kandidat George Simion offenbar vom Verbot seines prorussischen Kontrahenten Călin Georgescu profitiert

Außerdem bezieht er sich auf Donald Trumps Wahlkampf, der „durch seine strafrechtlichen Verurteilungen, die er als politische Justiz verunglimpft hat, eher begünstigt als behindert wurde“, worin seiner Meinung nach die zweite Gefahr lauere: „Was im Falle Frankreichs mit ziemlicher Sicherheit ein Beispiel für die Unparteilichkeit des Rechtsstaats ist, kann letztlich das Vertrauen in die Unparteilichkeit eben dieses Rechtsstaates untergraben, zumindest bei einem erheblichen Teil der Wählerschaft.” Laut einer Meinungsumfrage, erinnert er, „glauben mehr als 40 % der befragten Franzosen und Französinnen, dass das Urteil von Marine Le Pen politisch beeinflusst wurde“.

Wenig überraschend „löste die extreme Rechte nach dem Gerichtsurteil einen wahren Medien-Tsunami aus und bezeichnete das Urteil als ,Skandal’ und ,schwarzen Tag für die französische Demokratie.’” Eine Praktik, die eines totalitären Regimes würdig sei, weil dieser politisch motivierte Prozess Marine Le Pen den Weg in den Elysée-Palast versperren solle, fasst Petr Janyška die Argumente für Deník Referendum zusammen und schreibt weiter: „Plötzlich wird klar, wie sich die extreme Rechte die Rolle der Justiz und ihre Unparteilichkeit vorstellt. Es ist, als hörten wir Trump sprechen“, stellt der ehemalige Diplomat und tschechische Botschafter in Frankreich fest. „Alle, die diese Gerichtsentscheidung aufgrund ihrer politischen Besonderheit ablehnen, meinen, dass Marine Le Pen nach einem anderen Maßstab als andere Menschen beurteilt werden sollte“, kritisiert er. 

Für Donald Trump war das Urteil die Gelegenheit, „eine neue ‚Hexenjagd‘ der ‚europäischen Linken gegen die Meinungsfreiheit‘ zu brandmarken. Matteo Pascoletti bezeichnet dies in Valigia Blu als „brutale Intervention”, mit der Trump den Fall für seine eigene antieuropäische Propaganda instrumentalisiere. Ein Szenario, so Pascoletti, „in dem Viktimisierung, Einschüchterung und Missachtung der Rechtsstaatlichkeit zusammenkommen” und einem breiten überparteilichem Spektrum von Personen dabei helfe, den Selbstmord der Rechtsstaatlichkeit zu provozieren, wenn sie nicht selbst schon zur Ermordung dieser beitragen. 


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Außerdem stellt Pascoletti fest, dass nicht nur die „reaktionäre Internationale“ Marine Le Pen als „Märtyrerin“ bezeichnet habe, sondern auch Stimmen der europäischen Linken gegen die „Regierung der Richter“ laut geworden seien: „Hinter manchen dieser Aussagen steckt keine wirkliche Logik, außer der impliziten Akzeptanz einer Macht, die auf Privilegien und Ausnahmen beruht. Entweder man glaubt an den Rechtsstaat und lebt ihn daher als einen Gesellschaftsvertrag, mit dem man rechnen muss, oder aber man beschließt, dass er eine Illusion ist und man ihn genauso gut als Toilettenpapier benutzen kann. Im ersten Fall muss die Justiz weder die Meinung des Volkes, geschweige denn Umfragen berücksichtigen, noch hängt davon ihre Legitimation ab.”

Trumps Unterstützung für Le Pen und die seines Vizepräsidenten J. D. Vance erfolgte einen Tag nach dem sogenannten „Liberation Day“, an dem der US-Präsident exzessiv hohe Zölle für fast alle Länder der Welt mit Ausnahme Russlands verhängt hatte. Für Importe aus der EU gelten bisher 20 %. 

Während der Aufstieg der rechtsextremen Parteien in Europa unausweichlich scheint, könnte diese Ankündigung jedoch ein schwerer Schlag für einige von ihnen sein. „Die gute Nachricht ist, dass Trumps Handelskrieg die ihm wohlgesinnten rechtsextremen Kräfte in eine sehr unbequeme Lage bringt. Denn die europäische extreme Rechte unterstützt Trump eigentlich aus Prinzip und billigt die Tyrannei der US-Regierung gegenüber Bevölkerungsgruppen, die ihr egal sind - seien es Ukrainer*innen, Kanadier*innen, Mexikaner*innen oder Palästinenser*innen. 

Trump zu verteidigen, wenn seiner Politik aber Länder zum Opfer fallen, die diese rechtsextremen Parteien angeblich vertreten“ ist jedoch etwas ganz anderes, erklärt Nathalie Tocci in The Guardian. Die italienische Politologin weist auf das Dilemma hin, in dem sich die Anführer*innen der radikalen Rechten befinden: „Sie sind sich bewusst, dass sie Sanktionen riskieren, wenn sie sich für Trump aussprechen und bestraft werden, wenn sie es nicht tun“. Trumps transatlantischer Handelskrieg gegen Europa habe noch einen weiteren politischen Vorteil, meint Nathalie Tocci: „Er könnte die europäische Einheit stärken. Dieser Effekt ist bereits sichtbar. Durch den Krieg Russlands in der Ukraine und den Verrat der USA haben die Europäer*innen ihre Unterstützung für die EU wiederentdeckt. Die jüngste Eurobarometer-Umfrage ergab, dass 74 % von ihnen die EU-Mitgliedschaft ihres Landes für eine gute Sache halten - das ist der höchste Wert seit 42 Jahren.“ 

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