Vor der eigenen Tür kehren

Veröffentlicht am 7 Januar 2011 um 13:41

Schon vor dem überwältigenden Sieg der Fidesz bei den ungarischen Parlamentswahlen im April letzten Jahres prangerte die europäische Presse die populistischen Tendenzen des Parteichefs Viktor Orbán an. Nach seiner Machtübernahme verhehlte Orbán nicht, dass er die weitreichenden Handlungsspielräume ausnutzen wollte, die ihm durch die Zweidrittelmehrheit des Parlaments zusteht.

Nachdem er urbi et orbi mit dem Nationalstreben der Magyaren geflirtet und nicht ohne Schwierigkeiten sein Land vor dem über Europa hereinbrechenden Finanzsturm gerettet hatte, machte sich der Ministerpräsident daran, große Unternehmen zu besteuern (von denen viele ausländisch sind) und diesen bestachelten Störenfried von Presse unter Dach und Fach zu bringen.

So hat er ein Mediengesetz verabschieden lassen, das jegliche Informationen faktisch unter die Kontrolle der Fidesz stellt. In Ungarn und im Ausland verschrien, hätte es wahrscheinlich nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wäre es nicht am gleichen Tag in Kraft getreten, als Budapest die Präsidentschaft der Europäischen Union übernahm.

Da sein Land und seine Regierung plötzlich ins Scheinwerferlicht rückten, war es unausweichlich, dass die populistischen Tendenzen von Viktor Orbán Reaktionen selbst bei den anderen Staatschefs hervorrufen würden, die sich bis dahin zurückhaltend verhalten hatten. Einige Regierungen, sowie die OSZE und die Europäische Kommission erinnerten daraufhin an die Bedeutung der Pressefreiheit und forderten Budapest auf, das „ruchlose Gesetz“ zu überarbeiten.

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Wenn er — mit Recht— die Einmischung der anderen europäischen Staatsoberhäupter in einen Bereich kritisierte, in dem sie lieber nicht den Moralapostel spielensollten, zeigte sich Orbán den Europäischen Instanzen gegenüber offener und sogar bereit, das Gesetz zu ändern, wenn andere europäische Staaten in derselben Situation es ihm gleich täten.

Die Einschränkung der Pressefreiheit ist aber eine allgemeine Tendenz, die kürzlich von Reporter ohne Grenzen bemängelt wurde. Daher kann man davon ausgehen, dass die Staaten sich nach Abflauen der ersten Euphorie lieber anderen Dingen zuwenden werden, um nicht vor ihrer eigenen Tür kehren zu müssen. Schade eigentlich. (sd)

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