Nicht oben auf der Cool List. Amy Winehouse während einer Verhandlungspause ihres Prozesses, London, Juli 2009.

Warum Drogen die Luft ausgeht

In Großbritannien ist die Zahl der Drogen konsumierenden Jugendlichen in den letzten 15 Jahren um 30 Prozent zurückgegangen. Ist diese Verringerung auf eine schlechtere Qualität oder auf die Berichte über die Ausschweifungen der Promis zurückzuführen?

Veröffentlicht am 25 Februar 2011 um 17:19
Nicht oben auf der Cool List. Amy Winehouse während einer Verhandlungspause ihres Prozesses, London, Juli 2009.

Im März 1961 – nächsten Monat werden es 50 Jahre – traten die Länder der Welt zusammen, vereint und fest entschlossen, dem Drogenmissbrauch den Garaus zu machen, und unterzeichneten die UN-Konvention gegen narkotische Drogen, in welcher sie sich alle zu einem vollständigen Verbot der Produktion und Lieferung von Kokain, Cannabis, Opiaten und anderer vergleichbarer Substanzen verpflichteten. Seit damals war der Trend in unserem Land stark und unveränderlich: Immer mehr Menschen nahmen immer öfter Drogen.

Schätzungen zufolge lag der Anteil der jungen Erwachsenen in Großbritannien, die in den Sechziger Jahren eine illegale Droge ausprobiert hatten, unter 5 Prozent. In den Siebzigern stieg diese Zahl auf ca. 10, in den Achtzigern auf 15 bis 20 Prozent. 1995 gab fast die Hälfte der jungen Menschen an, sie hätten schon einmal Drogen genommen.

Deshalb sind die neuesten Nachrichten so überraschend. Nach Angaben der Zahlen des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS, die im Januar veröffentlicht wurden und auf den von der British Crime Survey erfassten Daten beruhen, lag die Zahl von Erwachsenen in England und Wales, die im Jahr 2009-2010 illegale Drogen eingenommen haben, bei -8,6 Prozent – der niedrigste Prozentsatz, seitdem die Erfassung 1996 begann. Bei den 16- bis 24-Jährigen sah es ähnlich aus: Nur 20 Prozent gaben an, im vergangenen Jahr Drogen konsumiert zu haben – ein weiteres Rekordtief, und um ein Drittel weniger als vor 15 Jahren.

Vom romantischen Doherty zur verkommenen Winehouse

Der Kokainkonsum ist zurückgegangen, der Speed [=Amphetamin]-Konsum auch, Cannabis ist stark heruntergefahren. Der LSD-Konsum ist zwar gleichbleibend, beträgt aber nur ein Fünftel von dem von 1996. Obwohl der Heroinkonsum ebenso gleichbleibend ist, beantragen weniger junge Leute eine Therapie für Heroinsucht. Die British Crime Survey neigt dazu, den Drogenkonsum unterzubewerten (weil er Obdachlose, Gefängnisinsassen und Studentenheimbewohner nicht mitrechnet), und diese sinkenden Zahlen sind nicht die ersten, doch sie festigen einen Trend, der nun zu stark ist um ignoriert zu werden. In diesem Land jedenfalls scheinen Drogen aus rätselhaft bleibenden Gründen aus der Mode zu kommen. Das ist keine Lappalie – die UNO schätzt derzeit den globalen Drogenmarkt auf 198 Milliarden britische Pfund (231 Mrd. Euro), was ihn nach Erdöl und Waffen zur drittgrößten Industrie des Planeten macht.

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Im Jahr 2004 stand Pete Doherty auf Platz Eins der „Cool-List“ des NME, Mike Skinner – damals ein ebenso schamloser, wen auch weniger problematischer Drogenkonsument – an dritter Stelle. 2007 folgte das Penner-Styling von Amy Winehouse, die ihrem Namen alle Ehre machte. Im Nachhinein gesehen wirkt diese Verlagerung vom romantischen Doherty zur verkommenen Winehouse wie eine Art Wende. Ob Winehouse nun selbst das Image der Suchtmittel wieder toxischer gemacht hat, ist schwer zu sagen, doch als sie auf der Bildfläche erschien, war Nüchternsein cooler als vorher. Und im Vergleich zu ihr – eigentlich im Vergleich zu egal wem – erstrahlen die Rockstars von heute im drogenfreien Glanz. Sogar Lady Gaga mit ihren nur 24 Jahren hat schon die Zeit gefunden, sich den Status einer eifrig reformierten Kokainsüchtigen aufzubauen (obwohl sie immer noch ab und zu Gras raucht).

Komasaufen als Alternative gibt es noch

Leider gibt es zum rückläufigen Drogenkonsum keinen ähnlichen Rückgang der durch ihn verursachten Schäden. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Drogenvergiftung stieg im letzten Jahr um 4,8 Prozent und die wegen psychischer Störungen um 5,7 Prozent. Die Messung von drogenbezogenen Todesfällen ist kompliziert, doch auch hier scheinen die Zahlen zu steigen. Das ist schwer zu erklären. Es könnte sich um einen nachlaufenden Indikator, einen Spiegel für die alternden Heroinsüchtigen des Landes sein. Oder, wie Professor David Nutt, ehemaliger Vorsitzender des Beirats über Drogenmissbrauch, nahelegt: Vielleicht kommen hier andere Kräfte ins Spiel. „Wir bekommen freilich mehr Alkoholtote [obwohl der Alkoholverbrauch insgesamt rückläufig ist]“, sagt er. „Also, denke ich, gibt es das Binge-Drinking oder Komasaufen als Alternative zu anderen Drogen immer noch. Doch eine Kultur der Völlerei, des völligen Abdrehens und Zuschüttens mit Drogen, könnte ebenfalls zu den Todesfällen beitragen.“

Betrachtet man den Rückgang des Drogenkonsums, ist es wichtig, folgendes zu berücksichtigen: Die Substanzen sind heute nicht mehr das, was sie einmal waren. „Als die Leute vor drei oder vier Jahren Kokain für den Eigenverbrauch kauften, lag die Konzentration typischerweise bei bis zu 50 oder 60 Prozent, der Mindestgehalt kreiste um 20 Prozent“, erklärt Dean Aimes, Drogenexperte beim kriminaltechnischen Dienst, der die sichergestellten Drogen untersucht. „Das wurde schrittweise immer weniger und heute liegt die Konzentration im Straßenverkauf wohl zwischen 3 und 30 Prozent.“

Nur Mephedron bleibt was für Partygänger

In jedem Fall ist der illegale Drogenkonsum in Großbritannien immer noch einer der höchsten weltweit. Der Hunger nach dem Rauschzustand vergeht nie. Wer Beweise sucht, braucht sich nur Mephedron anzusehen. Das unter vielen Namen, darunter „Meow“ oder „M-Cat“ bekannte legale, synthetische Aufputschmittel wurde 2009 zum Phänomen und im April 2010 auf die Liste der kontrollierten Substanzen gesetzt.

Heute ist Mephedron allerdings illegal und wird, wie der kriminaltechnische Dienst angibt, mit allen üblichen Verfälschungsmitteln verschnitten. Doch es bleibt nach wie vor beliebt. Der Mixmag-Umfrage zufolge ist Mephedron sogar die einzige Mainstream-Droge, die dieses Jahr von mehr Partygängern konsumiert wurde als letztes Jahr. Obwohl – und nicht etwa weil – M-Cat verboten ist, scheint es insgesamt qualitativ besser zu sein als die Alternativen. In den ersten sechs Monaten nach seinem Erscheinen in Großbritannien, ging die Zahl der Kokaintoten auf unerklärliche Weise zurück. Vielleicht werden die jungen Leute erwachsen.

Aus dem Englischen von Patricia Lux-Martel

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