Warum wir genug von den Griechen haben

Das Spiel dauert nun schon seit zwei Jahren: Athen gibt vor, den Forderungen seiner Gläubiger und Partner zu entsprechen, und seine Gläubiger und Partner geben vor, den griechischen Beteuerungen Glauben zu schenken. Angesichts des drohenden Staatsbankrotts sollte diesem Bluff endlich ein Ende gesetzt werden.

Veröffentlicht am 7 Februar 2012 um 16:01

Es ist kaum noch anzunehmen, dass Griechenland jemals glaubhafte Reformen verabschieden wird. So wiederholte das seit zwei Jahren wohlbekannte Muster sich auch gestern (6. Februar) wieder. Wenn Athen das Geld ausgeht (im März dürfte es wohl erneut so weit sein), muss die Europäische Union dem Dahinsiechenden mit immer höheren Geldspritzen auf die Beine helfen.

Alle wissen, dass die Griechen mit dem Feuer spielen. Das scheint aber niemanden zu stören, die Griechen schon gar nicht. Ministerpräsident Lucas Papademos, ein Technokraten, von dem angenommen wurde, dass er von allen Parteien bei der Umsetzung der schwierigen Entscheidungen unterstützt wird, die Giorgos Papandreou nicht wagte, scheint nicht weiter zu kommen als sein Vorgänger.

Gestern musste die Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und Europäischer Kommission der griechischen Regierung mit Höllenqualen drohen, damit sie im laufenden Jahr endlich 15.000 Beamte entlässt und das Defizit senkt. Griechenland, das 11 Millionen Einwohner zählt, beschäftigt mehr als 700.000 Staatsbedienstete und hatte eigentlich versprochen, diese Zahl bis 2015 um 150.000 zu reduzieren. Eilig scheinen es die Hellenen jedoch nicht zu haben. So sollten bereits im letzten Jahr 32.000 Planstellen abgebaut werden. Gestrichen wurden aber nur 2.000.

So sieht es in Griechenland aus. Die Troika verlangt die Herabsetzung des Mindestlohns (höher als in Spanien), Gehalts- und Rentenkürzungen im Privatsektor, die Abschaffung der Prämien und höhere Schnitte im Haushalt, aber die griechischen Politiker stellen sich taub. Sie wissen, dass Europa auf dem Holzweg ist und nutzen das aus.

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Krise ohne Auswirkung auf griechischen Stolz

Deutschland sind drei Prinzipien heilig: kein Bail-Out (Nein zum Rettungsschirm), keine Staatspleite (Nein zum Schuldensschnitt) und kein Exit (Nein zum Ausstieg aus dem Euro). Gegen das erste Prinzip wurde bereits 2010 verstoßen, als die Rettung Griechenlands, Irlands und Portugals beschlossen wurde. Jetzt stellen die Griechen auch das zweite infrage (gestern wurde das Finanzministerium mit einem Bericht über die eventuellen Folgen einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands beauftragt). Und mit dem Ausstieg aus dem Euro wurde in den Sparverhandlungen der letzten Tage mehrmals gedroht.

All dies ist der spanischen Regierung nicht unbekannt. Der Exekutive missfällt die Aussicht eines Austritts aus dem Euroclub. Wenn die Tür sich öffnet, steht auch Portugal dahinter, und niemand weiß, wo die Liste enden könnte. Sie hätte auch nichts dagegen, wenn die griechischen Politiker sich ernsthafter mit der Situation auseinandersetzten. “Die Griechen sind eben so, wie sie sind. Das Problem ist nicht nur wirtschaftlich sondern auch politisch”, meint einer hoher Beamter.

Der deutsche Vorschlag, einen EU-Haushaltskommissar zur Überwachung der Sparanstrengungen zu bestellen, oder die französische Idee, ein Sperrkonto einzurichten, auf dem das Geld für den Schuldendienst hinterlegt wird, sind letztendlich konkreter als die Drohung eines Austritts aus der Währungsunion. Die Griechen haben sich den übrigen Europäern gegenüber nie unterlegen gefühlt. Der Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft hatte keinerlei Auswirkungen auf das enorme griechische Selbstbewusstsein und den griechischen Stolz. Die Hellenen haben der Europäischen Idee schon immer misstraut, außer wenn es darum ging, ihren Lebensstandard zu verbessern. Aber das wussten wir eigentlich schon seit ihrem Eintritt in die EU.

Geburtstag

Schon Dickens hat die Krise beschrieben

Charles Dickens wurde vor 200 Jahren am 7. Februar 1812 geboren. Rund eineinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod im Jahr 1870 “ähnelt unsere Welt leider in vielerlei Hinsicht der seinen”, bedauert El País. Die spanische Tageszeitung bemerkte zu seinem Roman “Harte Zeiten”: “[…] in einer Krise mit fallenden Börsenindizes, steigenden Steuern und niedrigen Gehältern, in der europäische Regierungen mit öffentlichen Geldern die bodenlosen Fässer des Finanzsystems zu füllen versuchen, und die Arbeitslosigkeit ohne Unterlass wächst, stellt der Leser überrascht fest, wie akkurat der 1854 verfasste Roman auch die heutige Realität beschreibt.”

Griechenland scheint heute am meisten an das London vor 150 Jahren zu erinnern: “Würden die Kinder, die von ihren Eltern ausgesetzt werden, in der Hoffnung, dass jemand sich ihrer annimmt, nicht zu Oliver Twist und den Straßenkindern passen? ”, fragt El País. Die Ungerechtigkeit des Kapitalismus habe entgegen aller Prognosen nicht zu dessen Zusammenbruch geführt, unterstreicht die Zeitung: “Es genügt, nochmals einen Blick auf das zeitgenössische Griechenland zu werfen […] Im Fernsehen wird über Kinder berichtet, die am Vormittag aus Hunger im Unterricht zusammenbrechen, während die Potentate des Landes, das von den Rettungsmaßnahmen der Europäischen Union abhängt, den Pressemeldungen zufolge mehr als 200 Milliarden Euro in die Schweiz geschafft haben.”

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