Opinion Visavergabe

Wie Europa den Globalen Süden vom Klimadiskurs ausschließt

Zu den Klimakonferenzen in Europa geladene Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Globalen Süden finden oft keinen Platz am Verhandlungstisch – weil ihre Visumanträge abgelehnt werden. Dabei ist es gerade der Globale Süden, der den Klimawandel besonders stark zu spüren bekommt.

Veröffentlicht am 1 Dezember 2022 um 10:10

Als Kelo Uchendo in den letzten Zügen der Vorbereitung für die Bonn Climate Change Conference (SB56, Juni 2022) ist, sind schon drei Jahre seit der Ablehnung seines Antrags auf ein deutsches Visum vergangen. Damals hatte man ihn als einzigen afrikanischen Studierenden aus einer großen Gruppe junger Ingenieure für die Teilnahme an einem Karriereprogramm in Dresden ausgewählt. Der abgelehnte Visumantrag war teuer und enttäuschend.

Aber Uchendo blieb nicht untätig, sondern fing ein Masterstudium an, gründete in seinem Heimatland Nigeria eine Organisation für Klimagerechtigkeit und saubere Luft und wurde Teil des Organisationsteams für die Mock COP26. In diesem Rahmen sollte er als einer der Leiter der Jugendgruppe der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) nach Bonn fahren – seine harte Arbeit hätte sich endlich ausgezahlt. 

Doch kommt er nie in Bonn an: sein Visumantrag für Deutschland wird erneut abgelehnt. Aus diesem Grund verpasst er trotz Einladung und Sponsoren die SB56 in Bonn, ein Treffen mit Patricia Espinosa aus der Geschäftsführung der UNFCCC sowie den Africa Energy Summit und den Youth Energy Summit nahe Brüssel – die endlosen Stunden intensiver Vorbereitungszeit waren umsonst.

Während in den vergangenen Monaten Tausende Menschen zu den UN-Klimakonferenzen in Europa gereist sind, wurde eine beunruhigende Zahl junger Klimaaktivistinnen und -aktivisten aus dem Globalen Süden wegen abgelehnter Visumanträge von den Gesprächen ausgeschlossen. Dieses Phänomen lässt sich schon seit Jahren beobachten, wobei bisher weder von den Vereinten Nationen noch von den EU-Mitgliedstaaten Lösungsvorschläge gemacht wurden.

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Mir wurde der Umfang des Problems bewusst, als fünf junge Menschen aus Guinea berichteten, ihnen seien Visa für die Teilnahme an der UN Ocean Conference (UNOC2022) in Lissabon verweigert worden, obwohl sie über eine offizielle Akkreditierung verfügten. Ich fragte in verschiedenen Jugendorganisationen nach ähnlichen Erfahrungen und erhielt Unmengen Nachrichten von Betroffenen.

Große Unklarheit für Vertreterinnen und Vertreter des Globalen Südens

Ein Aktivist aus Uganda möchte in diesem Artikel anonym bleiben – aus Angst, sonst nie an einer der Konferenzen teilnehmen zu können. Schon fünf seiner Visumanträge für den Schengen-Raum wurden abgelehnt, zuletzt konnte er deswegen weder an der Stockholm+50 noch an der SB56 teilnehmen. Und das, obwohl britische und US-amerikanische Sponsoren die Gesamtkosten seiner Reise vollständig übernommen hätten. Im September soll der Aktivist in Frankfurt eine Rede halten, hat aber die Hoffnung auf ein Visum für Deutschland aufgegeben. Die letzten beiden Absagen kamen innerhalb von nur einer Woche und haben ihn in eine Depression gestürzt, die auch die Arbeit seiner Organisation stark beeinträchtigte.

Die Nigerianerin Oluwaseyi Moejoh ist „Young Explorer” bei National Geographic und hat für den Aufbau einer Initiative für Bildung zum Thema Umweltschutz in elf afrikanischen Ländern die angesehenen Diana Awards 2022 gewonnen. Das diesjährige UN Ocean Youth Innovation Forum konnte sie nicht besuchen, weil ihr Visumantrag für Portugal abgelehnt wurde.

An der Stockholm+50 konnten besonders wenige Gäste aus dem Globalen Süden teilnehmen. In knapp einer Woche wurden mir über zwei Dutzend Nachweise für abgelehnte Visa zugeschickt und die Medien berichteten online über weitere Fälle. Die UN hat ihr standardmäßiges Versprechen, die Anträge geladener Gäste der Konferenzen zu priorisieren und darauf keine Gebühren zu erheben, offensichtlich gebrochen.


Mit der „visa discrimination” verwehrt Europa dem Globalen Süden den Zugang zu wegweisenden Klimakonferenzen


Für Antragstellerinnen und Antragsteller aus südasiatischen Regionen und Regionen südlich der Sahara belaufen sich die Kosten für ein Visum im Schengen-Raum oft auf das Durchschnittseinkommen von mehreren Wochen.

Tafadzwa Chando ist Klimaaktivist und Programmkoordinator bei Climate Live. In seinem Heimatland Simbabwe hat er einen Visumantrag für Schweden gestellt, aber das gestattete Einreisedatum lag erst nach der Konferenz. Also hat er in den Nachbarländern Sambia und Südafrika ebenfalls Visumanträge für Schweden gestellt, die jedoch beide abgelehnt wurden. Chando konnte – wie alle anderen Teilnehmenden – eine offizielle Akkreditierung und direkte Einladung von der UN vorlegen.

Kategorische Ausgrenzung

Für viele bedeutet ein Visumantrag endlose Hürden: Wenn die nächste Botschaft nicht in ihrem eigenen Land liegt, müssen sie für den Antrag in andere Länder reisen. Die Behörden behalten während der langen Bearbeitungszeiten üblicherweise die Pässe der jungen Aktivistinnen und Aktivisten ein, sodass diese nicht nach Hause reisen können und viel Geld für Hotel- und Reisekosten aufbringen müssen. Diejenigen, deren Anträge von Drittanbietern wie VFS bearbeitet wurden, berichten von besonders schlechten Erfahrungen und sehr langen Bearbeitungszeiten. [Anmerkung: Nach Angaben eines Sprechers von VFS soll das Unternehmen die Antragstellerinnen und Antragsteller gewarnt haben, dass es aktuell wegen einer erhöhten Nachfrage nach Auslandsreisen bei der Visabearbeitung länger dauern könne als erwartet.]

Aktivisten von Global Justice Now am Vorabend der COP26 in Glasgow. | Foto: Global Justice Now

Eine junge Aktivistin aus Indien beschreibt den Visumantrag als „zermürbend” und erzählt, wie sie im portugiesischen Konsulat in Goa zusammengebrochen ist, als sich ihr Antrag wegen eines Fehlers bei der Terminvereinbarung beinahe bis nach der UNOC2022 verzögert hätte. Das Problem: Eine angeblich vom Konsulat verschickte E-Mail war nie bei ihr angekommen. Schließlich wurde ihr Visum keine 48 Stunden vor der Konferenz ausgestellt, wobei die Aktivistin noch auf dem Konsulat beschimpft wurde. All das - und sie schätzt sich selbst glücklich -, weil sie überhaupt am Youth Innovation Forum der UNOC2022 teilnehmen und ihre beim „Innovathon” preisgekrönte Arbeit dem UN-Generalsekretär präsentieren konnte.

Andere haben weniger Glück und erhalten eine Ablehnung ihres Visumantrags. Uchendo berichtet, die Behörden hätten angeblich die Echtheit seiner Dokumente nicht bestätigen können, in Wahrheit aber nicht einmal eine Überprüfung vorgenommen: Weder habe das Amt seine Sponsoren kontaktiert, noch sei seine Akkreditierung online konsultiert worden. Statt also seinen Antrag formgetreu zu bearbeiten, habe man ihm lediglich mitgeteilt, es gebe „begründete Zweifel” an seiner Absicht, nach Ablauf des Visums wieder auszureisen. „Sie haben mein Alter und meine Nationalität gesehen und einfach angenommen, dass ich illegal einwandern will. Das ist beleidigend. Ich habe Träume und Ambitionen, aber dazu gehört nicht, als illegaler Einwanderer in ihrem Land zu bleiben.”

Ein anderer junger Aktivist berichtet, sein Familienstand habe auf die Behörden verdächtig gewirkt – der 25-Jährige ist unverheiratet. Muss man jetzt heiraten, um die internationalen Konferenzen besuchen zu dürfen?

Dahinter steckt ein Muster. Jedes Mal versetzen junge Klimaaktivistinnen und -aktivisten aus dem Globalen Süden Bäume, um sich Sponsoren und einen der heiß begehrten Plätze auf den UN-Klimakonferenzen zu sichern. Sie arbeiten jahrelang hart dafür, ihre Community vertreten und sich bei Politikerinnen und Politikern für Klimagerechtigkeit einsetzen zu dürfen – nur, damit schließlich ihr Visumantrag abgelehnt wird. 

Letztlich gefährdet dieses Muster die Legitimität der globalen Klimapolitik und des Klimadiskurses und trägt dazu bei, dass wir bislang nicht von Klimagerechtigkeit sprechen können. Für Menschen im Globalen Süden ist Diskriminierung bei der Visavergabe nichts Neues. Aber wenn dadurch der Zugang zu den höchsten Ebenen des Klimadialogs bestimmt wird, sollte dies für alle ein Grund zur Sorge sein.

Hoher Preis für den Ausschluss des Globalen Südens bei den COPs

Bereits vor der COP26, auf der selbst die wichtigsten Themen nicht zielführend besprochen wurden, haben viele davor gewarnt, dies werde die „weißeste und privilegiertes [COP] der Geschichte”. Patricia Espinosa hatte schon im Vorfeld gemahnt, der Schlüssel zu einer erfolgreichen COP sei, keine Stimme und keinen Lösungsansatz ungehört zu lassen. Schließlich gehören Inklusion und Multilateralismus eigentlich aus gutem Grund zu den Eckpfeilern der UNFCCC. Jeder muss sich an Klimaschutz beteiligen, damit die im Pariser Abkommen angeführten Ziele erreicht und die schlimmsten Folgen des Klimawandels aufgehalten werden können.

Doch ohne eine angemessene Vertretung des Globalen Südens, der diese Folgen besonders hart zu spüren bekommt, werden auf den Klimakonferenzen vermutlich nie die richtigen Maßnahmen beschlossen und umgesetzt. Stattdessen haben die am wenigsten betroffenen Länder und Branchen, die gleichzeitig am meisten Verantwortung für den Klimawandel tragen, uneingeschränkten Zugang zu den Verhandlungen und beeinflussen entsprechend auch ihre Ergebnisse.

Abseits der Verhandlungstische erfordern lösungsorientierte Strategien zum Umgang mit dem Klimawandel effektive Maßnahmen vor Ort und Partnerschaften zwischen Ländern des Globalen Südens und des Globalen Nordens. Die Expertinnen und Experten sind sich einig, dass dies ohne lokale, von den Communitys organisierte Projekte nicht funktionieren kann. Auf solche Projekte wird in den allermeisten Fällen von der (jungen) Zivilbevölkerung vor Ort aufmerksam gemacht: Weltweit leiten junge Menschen aus von der Klimakrise besonders betroffenen Regionen Umweltorganisationen und mobilisieren ihr Umfeld. Dass dennoch gerade die Visumanträge junger Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Globalen Süden oft abgelehnt werden, verdeutlicht, wie gering ihr Engagement von der UNFCCC geschätzt und ernst genommen wird.

Während also die Visumanträge Dutzender junger Klimaaktivistinnen und -aktivisten von Schweden abgelehnt wurden, schrieb die UNFCCC auf ihrer Website: „Auf der Stockholm+50 steht die Jugend im Rampenlicht.” Und so gibt es zwar immer wieder viele Fotomöglichkeiten mit einflussreichen Persönlichkeiten, wirklich genutzt aber wird die enorme mobilisierende Kraft und das Potenzial der jungen Menschen kaum.


„Sie haben mein Alter und meine Nationalität gesehen und einfach angenommen, dass ich illegal einwandern will. Das ist beleidigend. Ich habe Träume und Ambitionen, aber dazu gehört nicht, als illegaler Einwanderer in ihrem Land zu bleiben.” – Kelo Uchendo, Nigerianischer Aktivist


Zudem lässt die diskriminierende Vorgehensweise bei der Visavergabe den Eindruck entstehen, junge Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Globalen Süden würden nicht so sehr einen Platz bei den UN-Klimagipfeln verdienen wie ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Globalen Norden. Dabei geht es nicht nur um die Ablehnung von Visumanträgen: Junge Menschen aus Afrika beispielsweise werden bei den Behörden nicht selten Opfer von Racial Profiling und rassistischen Anfeindungen und müssen gleichzeitig höhere Anforderungen erfüllen als die meisten anderen. Wie soll Afrika jemals in den Diskurs einbezogen werden, wenn den Aktivistinnen und Aktivisten und der Zivilbevölkerung ihr rechtmäßiger Platz bei den Konferenzen in Europa und an den Verhandlungstischen verwehrt wird?

Wenn die UN und ihre europäischen Mitgliedstaaten die Werte der UNFCCC auch in Zukunft umsetzen wollen, müssen sie sich ausführlich mit institutionalisierter Ungleichheit und dem Einfluss der Vorgehensweise bei der Visavergabe auf die Legitimität der globalen Klimapolitik auseinandersetzen. Alle Bürgerinnen und Bürger des Globalen Nordens können jederzeit entscheiden, in ein Flugzeug zu steigen und im Globalen Süden Urlaub zu machen.

Gleichzeitig haben Klimaaktivistinnen und -aktivisten aus dem Globalen Süden mit allen benötigten Dokumenten und einer persönlichen Einladung von den Vereinten Nationen offenbar auch nach monatelanger Planung keine Sicherheit, dass ihre Stimme bei den wichtigsten Konferenzen zur Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft gehört wird. Einige junge Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Globalen Süden haben bereits beschlossen, die Konferenzen in Europa nicht mehr zu besuchen und stattdessen darauf zu warten, dass die Klimagipfel andernorts stattfinden.

Ein Beispiel für eine solche Konferenz außerhalb Europas ist die kürzlich abgeschlossene COP27, seit 2017 die erste ihrer Art. Entsprechend hoch waren auch die Erwartungen – und die Besucherzahlen, die nur von einer einzigen anderen COP übertroffen wurden. Während sich immerhin alle Länder auf die Gründung eines gemeinsamen Fonds für Klima-Ausgleichszahlungen einigten, wurde der Ausstieg aus den fossilen Energien kaum besprochen.

So war die diesjährige „Africa COP” (oder: „implementation COP”) für Fiona Harvey vom Guardian der Todesstoß für das Vorhaben, die Erderwärmung bei unter 1,5 Grad zu halten. Für die jüngere Generation war die COP27 ein Schritt in die richtige Richtung auf dem Weg zur Anerkennung als Gesprächspartner auf Augenhöhe: Der Children and Youth Pavilion war das erste Programm seiner Art, das auf einem UN-Klimagipfel Platz gefunden hat.

Sollte die strukturelle Ausgrenzung bei der UNFCCC auch in Zukunft nicht als Problem behandelt werden, bleibt nur eine Schlussfolgerung: dass die UNFCCC nie dazu gegründet wurde, Nationen zur Rechenschaft zu ziehen oder Pläne zur Einbeziehung aller in die Tat umzusetzen, sondern stattdessen nationalen Interessen Vorrang vor globalen Klimaschutzmaßnahmen gibt.

👉Das Original wurde beim Green European Journal veröffentlicht

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