Wie stabil ist die Demokratie?

Weltweit ist die Demokratie geschwächt und nun scheint sie sogar in Europa angegriffen. Vielleicht gibt sich die EU nicht alle Mittel, um einen ihrer grundlegenden Werte zu schützen – das meint ein rumänischer Journalist angesichts der politischen Krise in seinem Land.

Veröffentlicht am 29 August 2012 um 15:04

Griechenland hat mit seiner Finanzkrise die Verabschiedung des Fiskalpakts ausgelöst, der Disziplin in die Finanzen der EU-Staaten bringen soll. Und ebenso könnte die Demokratie-Krise in Rumänien [– der rumänische Staatspräsident Trajan Băsescu wurde am 7. Juli vom Parlament abgesetzt und hat nun sein Amt wieder eingenommen, nachdem das Verfassungsgericht die Volksbefragung vom 29. Juli, die seine Absetzung bestätigte, für ungültig erklärt hat –] zur Verabschiedung mehrerer Maßnahmen führen, die eine verstärkte politische Integration fördern. Das zumindest behauptet Suzana Dobre, Analystin beim Expert Forum, einer der seit Ausbruch der politischen Krise aktivsten nichtstaatlichen Organisationen in Rumänien.

Wie steht es erst um die EU, wenn ein paar Weißrussen mit am Tisch sitzen?

Ihre Argumentation beruht auf der Ansteckungsgefahr: Der Bankrott eines EU-Mitgliedsstaats würde sich auf alle anderen auswirken, also muss eine derartige Situation verhindert werden. Doch was ist, wenn in einem Mitgliedsstaat die Demokratie wackelt? Suzana Dobre gibt zu, dass die Ansteckungsgefahr dann nicht ganz so offensichtlich ist wie im Fall einer Finanzkrise und dass die politischen Mittel zu ihrer Verhinderung somit auch nicht ganz so intensiv sind.

Doch eine Ansteckungsgefahr besteht. Wenn in Rumänien so jäh gegen die Regeln verstoßen wird und die EU nichts dagegen tun kann, dann könnte ja morgen in... sagen wir einmal in der Slowakei... jemand auftreten, der davon überzeugt ist, dass das Volk ihn zum lebenslangen Staatschef haben will. Und übermorgen dann vielleicht ein litauischer Oberst, der von Gott zur Machtübernahme berufen wäre. Wie steht es erst um die EU, wenn ein paar Weißrussen mit am Tisch sitzen?

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Die Demokratie ist sie in der ganzen ehemaligen Sowjetunion umgekippt

Die Wahrheit ist, dass die EU früher oder später mit diesem Dilemma konfrontiert werden dürfte, denn es gehört, wie man sagen könnte, zum logischen Verlauf der Geschichte. Es ist beschämend für uns, dass wir diejenigen sind, die das Dilemma auftreten lassen, doch es war zu erwarten. Überlegen wir einmal. 1990 begann das, was Sam Huntington die „dritte Welle der Demokratisierung“ nannte. Ein Jahrzehnt später flaute die Welle wieder ab und hinterließ zwar viele demokratisierte Länder, enthüllte aber auch eine triste Realität: Demokratie ist nicht unwiderruflich, auch heute nicht. In Russland ist sie umgeschlagen. Tatsächlich ist sie in der ganzen ehemaligen Sowjetunion umgekippt, mit Ausnahme der baltischen Staaten und Moldawien. In Afrika funktionierte das Experiment Demokratie nur teilweise. In Lateinamerika versinkt die große Hoffnungswelle allmählich, während die lokalen Sozialisten immer öfter Klone des Putschisten Hugo Chávez sind, der später vom Volk gewählt wurde.

Der Rückgang der Demokratie ist eine Tatsache. Wäre die EU also die einzige Ausnahme? Wäre sie eine Art Gewächshaus, in dem die Pflanzen konsequent wachsen, ganz gleich was draußen passiert? Das scheint das System anzunehmen. Schon um die Beitrittsverhandlungen zur EU überhaupt einleiten zu können, müssen die Staaten bestimmte politische Kriterien (die so genannten Kopenhagener Kriterien) erfüllen, also Demokratien sein. Wenn sie diese Kriterien während der Verhandlungen aufrechterhalten, sind sie drin. Und dann? Dann nichts mehr.

Die Demokratie kann sich zurückbilden, auch im Rahmen der Union

Die EU ist ein Verein von Demokratien, oder? Ja, schon, aber überall auf der Welt ist zu beobachten, wie Demokratien erstickt werden. Und in der EU? Natürlich nicht. Niemals. Das dachte man bis jetzt, so wurden die Regeln erstellt, so wurde die EU konzipiert: ein Klub von Ländern, die über derartige Probleme hinausgewachsen sind. In Wirklichkeit kann die Demokratie jederzeit erstickt werden. Rumänien ist nur das neueste, schlimmste Beispiel. Das Ungarn von Viktor Orbán ließ schon schaudern und war ein Wegbereiter. Man darf nicht vergessen, dass fast alle Staaten, die 2004 in die EU eingetreten sind, nach ihrem Beitritt politische Krisen erlebt und an politischer Stabilität und Pressefreiheit eingebüßt haben. Ganz zu schweigen davon, dass sich Silvio Berlusconi in Italien die Medien angeeignet hatte und mit der Justiz im Clinch lag (Kontrolle von Presse und Justiz – ist es nur Zufall oder beginnt damit der Niedergang der Demokratie?).

Die EU hat ein Problem: Die Demokratie kann sich zurückbilden, auch im Rahmen der Union. Ist der politische Druck, den die EU derzeit auf Rumänien ausübt, ausreichend oder müsste er stärker sein? Das ist zugegebenermaßen ein interessantes Dilemma. Es wäre sogar amüsant, dieser Entwicklung zuzusehen, wenn wir nicht die Hauptbetroffenen wären.

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