Wie weit geht Sarkozy?

Von der Kommission mit einem Strafverfahren bedroht und von den Nachbarländern kaum unterstützt, ist Frankreich vor allem Opfer der kämpferischen Rhetorik, derer sich der französische Staatspräsident den Roma gegenüber bedient. Dabei könnten manche Länder durchaus bei der Suche nach einem Auswegs behilflich sein.

Veröffentlicht am 16 September 2010 um 13:48

Die Roma sind die ungebetenen Gäste des EU-Gipfels in Brüssel am 16. September. Ursprünglich sollte es bei dem Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs und ihrer Außenminister nur um die neue europäische Außenpolitik gehen. Doch da die Krise zwischen Frankreich und den europäischen Institutionen beunruhigende Ausmaße annimmt, wurde das Thema schnell noch auf die Tagesordnung gesetzt.

Dies ist nicht das erste Mal, dass Paris und Brüssel aneinander geraten. Doch bis jetzt bezogen sich die Streitpunkte auf wirtschaftliche Fragen, wie etwa Wettbewerbspolitik, Defizite, Industriepolitik oder gemeinsame Agrarpolitik. Diesmal betrifft der Konflikt grundlegende Werte Europas und erinnert an die Konfrontation zwischen der Union und Österreich im Jahr 2000, als Jörg Haider und die extreme Rechte an die Regierung kamen. Der Konflikt zwischen Paris und Brüssel, der seit August schon schwelte, entbrach am Wochenende mit der Enthüllung eines Rundbriefs aus dem Innenministerium, in welchem die Roma namentlich erwähnt werden. Die französische Regierung hatte jedoch der Kommission versichert, von den Ausweisungen seien keine spezifischen ethnischen Gruppen betroffen. Am 14. September kündigte Viviane Reding also an, sie werde vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen Frankreich wegen ethnischer Diskriminierung einreichen. Dazu sagte sie: "Ich dachte nicht, dass Europa das noch einmal erleben muss, nach dem Zweiten Weltkrieg...“ Statt beschwichtigend zu reagieren, erwiderte Pierre Lellouche, Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten, scharf: "Meine Geduld hat Grenzen, so behandelt man keinen großen Staat“, und ein paar Stunden später gab der Staatschef arrogant und verächtlich noch eins drauf.

Dieser unheilvollen politischen Handhabung verdankt Frankreich seine weitgehend isolierte Stellung innerhalb der Union. Kommissionspräsident José Manuel Barroso versicherte seine Kommissarin seiner "persönlichen“ Unterstützung und betonte, das EU-Recht müsse beachtet werden. Deutschland erinnerte daran, dass die Kommission "im Recht“ sei, indem sie von Frankreich Erklärungen verlangt, da sie laut der europäischen Verträge, darunter dem von Nicolas Sarkozy verhandelten Vertrag von Lissabon, im Bereich der bürgerlichen Freiheitsrechte zuständig ist. Doch, wie Nicolas Sarkozy weiß, führen die meisten europäischen Länder den nirgends willkommenen Roma gegenüber dieselbe Politik wie Frankreich, nur vermeiden sie die doch etwas fremdenfeindliche Rhetorik, die von der französischen Rechten vorgebracht wurde. So hat Deutschland kürzlich ein Abkommen mit dem Kosovo geschlossen, in welchem die Rückführung von 12.000 Roma – darunter 5.000 Kinder –, die zum Teil schon seit über zehn Jahren als Flüchtlinge in Deutschland leben, vorgesehen ist.

Anders gesagt müsste sich Paris also im Endeffekt dafür verantworten, laut und deutlich gesagt zu haben, was die anderen im Stillen schon tun, und das könnte ihm eine maßvolle Unterstützung der anderen Länder gegenüber der Kommission einbringen. So könnte Frankreich die Krise hohen Hauptes hinter sich lassen, wenn es gelingt, die Roma zu einer europäischen Frage zu machen, die auch eine europäische Lösung erfordert. Ob Nicolas Sarkozy das gelingt oder ob er lieber bei seiner angriffslustigen Rhetorik bleibt: Frankreich gegen den Rest der Welt?

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Roma

Berlusconi hinter Sarkozy

"Berlusconi mit Sarkozy gegen die EU“, titelt La Repubblica. Für das Blatt steht "hinter der Entscheidung der Kommission“, gegen die diskriminierenden Roma-Politik Frankreichs ein EU-Strafverfahren einzuleiten, auch "die dringende Notwendigkeit, andere Länder wie beispielsweise Italien von noch drastischeren Maßnahmen abzuhalten.“ "In mehreren Ländern wächst der Druck der Populisten, die ein 'hartes Durchgreifen' fordern“, unterstreicht das Blatt. Brüssel wolle nicht, dass andere Länder dem französischen Beispiel nacheifern. "Der sonst so vorsichtige Kommissionspräsident José Manuel Barroso“, der Vivane Reding seine Unterstützung zugesagt hat, "weiß, dass er wie ein Staudamm dem enormen öffentlichen Druck standhalten muss. Es ist ihm klar, dass er keinen einzigen Schritt zurückweichen darf.“

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