Wir Unwürdigen

Woher kommt nur die vergiftete Atmosphäre in Europa? Die Bürger ziehen sich in sich zurück und die politische Führung weist alle Verantwortung von sich. Ergebnis: Die europäische Idee wird zur Skandalchronik. Aufschrei eines belgischen Kolumnisten.

Veröffentlicht am 22 April 2011

Ist da noch jemand, der Europäer sein will? Ein bisschen Humanismus wäre angebracht, mag man hoffen. Den aktuellen Machthabern in der westlichen Welt würde nicht einmal in der tiefsten Unterschicht Asyl gewährt werden.

Über die Finnen können wir kurz sagen: Im Grunde laufen sie noch in Bärenfellen umher. Man setze sie auf einen Schlitten und sie fahren in alle Himmelsrichtungen. Die Zivilisation endet an der Schneegrenze: das ist der Charme der Folklore.

Die Ungarn sind da weniger unschuldig, sie sind schlechte Menschen. Das Parlament hat gerade eine neue Verfassung verabschiedet, die besagt, dass Gott und Christentum der ungarischen Nation gleichkommen. Who the fuck sind denn schon Muslime und Atheisten? Lange ist es her, dass es eine immanente verfassungsrechtliche Diskriminierung gegeben hat. Mehr noch: Kinder dürfen nur in der Ehe zwischen Mann und Frau geboren werden. Und tschüss Homos, tschüss unverheiratete Mütter! Und um noch einen draufzusetzen, zurück ins Mittelalter: Der Fötus soll ab der Empfängnis geschützt sein.

Europa ist eine Skandalchronik

Unter den Augen Europas werden Anno 2011 die ungarischen Frauen in die Hände von obskuren Engelmachern mit Stricknadeln getrieben. Und das EU-Mitglied will dies alles ohne öffentlichen Scheiterhaufen erreichen. Unglaublich! Klar, in Europa ist alles möglich: Grundsätze sind passé, die einzige Charta der freie Markt. Da bleibt ein ethisches Dilemma natürlich nicht aus.

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Was macht denn Herman Van Rompuy? Kann er überhaupt noch mit dem institutionellen Müll vor die Tür? Präsident der giftigen Pusteln — auch gut?

Haiku können doch nicht alles Zerstörte einbalsamieren. Europa ist eine Skandalchronik.

In den Niederlanden darf ein fremdenfeindlicher Mann die Regierung ungestraft als Geisel nehmen. In Rom stürzt ein alternder Sexualstraftäter über seinen Trikolore-Schwanz. Im Elysée-Palast tönt ein Möchtegern-Präsident, dass er ein Ferrari sei. „Wenn sie die Motorhaube anheben, dann mit weißen Samthandschuhen“ (Der Satz wird Nicolas Sarkozy im Film über seine Machtergreifung „Die Eroberung“ zugesprochen. Der Film startet diese Woche in Frankreich). Ein Marktschreier hätte es nicht besser sagen können. Ein Präsident? Ein Spinner!

Und schließlich Belgien: Ein Bauernhof für Kinder, wo die Unterwäsche auf den Leinen der Populisten weht. Europa: eine geniale Idee, die zum Tumor wurde.

Übersetzung von Jörg Stickan

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