Ideen Keine Wiederholung der Finanzkrise

Wirtschaftswissenschaftler sehen eine neue weltweite Rezession heraufziehen

Haben die Staats- und Regierungschefs nach der letzten globalen Finanzkrise wirklich genug getan?

Veröffentlicht am 14 Juli 2019 um 04:39

Zwölf Jahre nach der letzten weltweiten Finanzkrise, die 2007 ihren Anfang nahm, werden die Stimmen von Wirtschaftswissenschaftlern immer lauter, die eine erneute Rezession schon vor der Tür stehen sehen. Das ist eine besorgniserregende Vorstellung angesichts der fraglichen und schleppenden Erholung vom letzten Konjunktureinbruch, dessen Bewältigung erst in den letzten Jahren in Fahrt gekommen ist.

Ausschlaggebend für diesen mittelmäßigen Erfolg war unter anderem die höchst unorthodoxe Politik der Zentralbanken, besonders die sogenannte quantitative Lockerung, eine Maßnahme, die in den meisten Industrieländern durchgeführt wurde und darin bestand, Wertpapiere im Wert von Milliarden US-Dollar aufzukaufen. Das sorgte für Stabilität und verhinderte eine katastrophale Weltwirtschaftskrise, könnte jedoch auch zu wenig nachhaltigen Finanzblasen geführt haben, insbesondere im Immobilien- und Technologiesektor. Doch drohende Zusammenbrüche lassen sich wie Wirtschaftsbooms bekanntermaßen nur schwer vorhersagen.

Das Gespenst der Rezession ist eine gute Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme der seit 2007 erzielten Fortschritte zur Stabilisierung der globalen Finanzmärkte. Schließlich können Regierungen in wirtschaftspolitischer Hinsicht Lehren aus ihren Rückschlägen ziehen und so eine Wiederholung ähnlicher Schwierigkeiten vermeiden.

Die Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung geben einen Einblick in die bisher geleistete Arbeit. Der SGI bewertet OECD- und EU-Länder in Bezug auf ihren Beitrag zum globalen Finanzsystem, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Unterstützung einer internationalen Finanzregulierung sowie der Eigenkapitalquoten (Tier 1) und des Anteils notleidender Kredite ihrer Banken.

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Die meisten Industrienationen kommen voran

Nach diesen Indikatoren hat die überwiegende Mehrheit der Industrieländer seit 2014 Fortschritte erzielt und nur wenige Länder fallen zurück. Ein bemerkenswertes Beispiel für Vorankommen ist Irland, das laut dem SGI-Länderbericht 2018 sein Rating für seinen Beitrag zum globalen Finanzsystem verbesserte. Das Land konnte sich von 4,0 von 10 möglichen Punkten im Jahr 2014 auf 6,1 im Jahr 2018 steigern, weil es europäische Finanznormen anwandte, die Eigenkapitalquote der irischen Banken verbesserte und die notleidenden Kredite drastisch reduzierte (gleichwohl sind sie immer noch etwas hoch).

Mit am besten schneiden Kanada, Deutschland, Schweden und Finnland ab. Diese Nationen gehören zu den führenden Ländern, wenn es darum geht, die Schwächen des heimischen Finanzsektors zu beheben und eine Agenda für hohe globale Standards aufzustellen. Auch andere westeuropäische Länder und Australien weisen im Allgemeinen starke Leistungen auf.

Viele Nationen haben jedoch einen weniger proaktiven Ansatz gewählt. Im Mittelfeld und auf den hinteren Plätzen konzentrieren sich lateinamerikanische und osteuropäische Länder, doch aufgrund der vergleichsweise geringen Größe dieser Volkswirtschaften stellen sie keine Bedrohung für die globale Finanzstabilität dar. Und sogar hier konnten die Banken oft von der allgemeinen Erholung profitieren und ihre Finanzen konsolidieren, wie sich in Rumänien beobachten lässt.

Nur wenige Ländern haben hinsichtlich ihres Beitrags zur globale Finanzstabilität im SGI-Rating in den letzten Jahren Plätze eingebüßt. Doch es gibt einige große Namen unter ihnen: Südkorea, Japan und die Vereinigten Staaten. Südkorea und Japan sind internationalen Regulierungsbemühungen gegenüber relativ gleichgültig geblieben und konzentrieren sich lieber auf ihre eigenen nationale Ansätze – ein übliches ostasiatisches Entwicklungsmodell.

USA geben ihre Führungsrolle auf

Das Zurückfallen der USA hat andere Gründe. Als die Wall Street das Epizentrum der globalen Finanzkrise bildete, übernahmen die Vereinigten Staaten eine führende Rolle bei der Durchsetzung einer strengeren Finanzregulierung. Im SGI-Länderbericht für die USA heißt es: „Die US-Aufsichtsbehörden wollten im Allgemeinen strengere Vorschriften als die gültigen internationalen Standards.“ In dem Bericht wird jedoch auch ausführlich dargelegt, wie die USA im Zuge der unberechenbaren und nur an nationalen Interessen orientierten Politik der Regierung von Präsident Donald Trump aufgehört haben, im Kreis der G20 strengere Standards für die Finanzaufsicht zu vertreten.

Dieser Überblick über das Tempo der Regulierungsreformen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Volkswirtschaften und Finanzsysteme im Allgemeinen sehr verschieden sind und die Wechselwirkungen zwischen den Systemen aufgrund der grenzüberschreitenden Kreditvergaben und Investitionstätigkeiten sehr komplex. Die Finanzsysteme einiger Länder könnten aufgrund von Immobilienblasen oder überschuldeten Verbrauchern anfälliger sein, als sie an der Oberfläche erscheinen.

Die Frage ist, ob das globale Finanzsystem als Ganzes die nächste Krise überstehen kann und ob sich die neuen Regeln und Institutionen als ausreichend erweisen werden. Nur die Zeit wird das zeigen. Wenn die Regierungen jedoch ein offenes internationales Finanzsystem wünschen, was theoretisch zu mehr Wachstum und einer effizienteren Ressourcenallokation beitragen kann, müssen strenge Regeln vorhanden sein, um zu verhindern, dass ein Land, dessen Finanzsystem ins Straucheln gerät, den Rest der Welt mitreißt.

Zumindest vorerst haben die Vereinigten Staaten ihre globale Führung in diesem Bereich aufgegeben. Das eröffnet anderen Ländern die Möglichkeit, für eine weltweite Finanzarchitektur die Richtung aufzuzeigen.

Craig Willy ist Journalist und berichtet über die Europäische Union und internationale Beziehungen. 

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