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Wo sind die guten alten Zeiten?

Zerrissene Bande

Sie hadern mit ihrer Freundschaft. Der Umgang mit der Euro-Krise zerstört die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich. Alleingänge abseits von EU-Institutionen werden zum Spaltpilz der Europäischen Union, schreibt die Wiener Presse.

Veröffentlicht am 21 Mai 2010 um 13:26
Wo sind die guten alten Zeiten?

Nach außen demonstrieren sie Einigkeit. Die EU-Regierungen beschlossen ein Hilfspaket für Griechenland, einen 750-Milliarden-Rettungsfonds für den Euro, neue Regeln für Hedgefonds und näherten sich sogar in der heiklen Frage der Finanztransaktionssteuer an. Doch der Schein trügt. Hinter den Kulissen wirken zentrifugale Kräfte mit zerstörerischer Wirkung. Statt im historischen Moment der Krise Einigkeit zu suchen, ist ein brutaler Machtkampf ausgebrochen, EU-Institutionen werden umgangen, Alleingänge forciert, die Partner vor den Kopf gestoßen. Zwischen den beiden Hauptakteuren Deutschland und Frankreich klafft ein neuer Abgrund.

Ein erster öffentlicher Hinweis auf dieses Zerwürfnis war diese Woche das plötzliche und unabgesprochene Vorpreschen der deutschen Regierung bei einem Verbot von ungedeckten Leerverkäufen. Donnerstag fand in Berlin eine internationale Konferenz zur Regulierung der Finanzmärkte statt – abseits der EU. "Deutschland hat sich aus der Europäischen Union verabschiedet", poltert ein hochrangiger Regierungsvertreter im EU-Rat. "Diese Maßnahmen wären viel effizienter, wenn sie auf europäischer Ebene koordiniert würden", mahnte EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Doch die EU-Institutionen sind Opfer eines Interessenkonflikts geworden, der von Berlin und Paris ausgeht.

Erst nachträglich wurde bekannt, was sich hinter den Kulissen bei dem hektisch einberufenen Sondergipfel am 7. Mai abgespielt hatte... Zum Originalartikel in der Presse...

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Der deutsch-französische Motor stockt

Die deutsch-französische Freundschaft, lange Zeit Motor der Europäischen Gemeinschaft, ist zu einem "Bündnis der kalten Herzen", zu einer "Funktionsgemeinschaft" geworden, in der das Machtkalkül dominiert, schreibt Die Welt. Heute muss sich, so die Berliner Tageszeitung, "die deutsch-französische Freundschaft in einer erweiterten Union mit neuer Machtbalance, Schuldenbergen, Budgetrestriktionen, intensivem Wettbewerb, einem verschärften Kampf um Arbeitsplätze und neoprotektionistischen Tendenzen neu erfinden."

Das konservative Blatt meint, Angela Merkel habe Fehler begangen, indem sie sich für harte Strafen gegen Defizitsünder aussprach, auch wenn sie in der Sache Recht habe. "Deutschland ist in dieser Krise so isoliert von der Mehrheit der EU-Staaten wie niemals zuvor in der Geschichte der Europäischen Union. Und Paris hat kräftig daran mitgewirkt. Das ist ein europäisches Drama." Merkel und Nicolas Sarkozy, "die protestantische Brandenburgerin und der quirlige Franzose, haben sich nichts zu sagen." Sie verteidigen unterschiedliche Ansätze. Frankreich verteidige eine voluntaristische Wirtschaftspolitik, die politischen Spielraum nutzt und eine Transferunion schafft, in der die Starken den Schwachen helfen. Berlin dagegen lehnt eine Europäisierung strikt ab und beharrt auf feste Regeln, Mobilisierung der eigenen Kräfte und möglichst weitgehende nationale Souveränität. In diesem Streit sei — bis jetzt — Sarkozy der Gewinner, die EU steuere auf eine Wirtschaftsregierung zu, kommentiert die Welt.

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