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Welcher Dresscode für Musliminnen?

Burka in Frankreich, Hijab und Kopftuch in Belgien: Europa debattiert erneut über den Umgang mit bestimmten muslimischen Kleidungsstücken. Mit Blick auf die Lage in ihrem Land stellt die europäische Presse jedoch die Notwendigkeit von Gesetzen in Frage.

Veröffentlicht am 26 Juni 2009
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Die Debatte über die Burka, das bodenlange, Körper und Gesicht verhüllende Gewand mancher Musliminnen, wurde in Frankreich von einem kommunistischen Abgeordneten wieder neu angefacht. Am 17. Juni schlug André Gérin vor, eine "parlamentarische Untersuchungskommission über das Tragen der Burka bzw. des Niqab [bei dem die Augen frei bleiben] auf französischem Staatsgebiet" zu gründen. Ein paar Tage später, bei seiner Ansprache an den Kongress in Versailles, bezog der französische Präsident selbst Stellung und erklärte: "Die Burka ist auf dem Staatsgebiet der französischen Republik nicht willkommen."

Was wohl passieren würde, wenn die Queen vor das britische Parlament träte und deklamierte: "Meine Regierung will die Burka verbieten!" – das fragt sich Cassandra Jardine im [Daily Telegraph](http://www.telegraph.co.uk/news/5627346/Why-the-burka-is-part-of-Britain.html). "Das ist in einer Gesellschaft, die Symbole religiöser Zugehörigkeit akzeptiert, kaum wahrscheinlich – selbst wenn das Konzept bei manchen Mitgliedern der islamischen Gemeinschaft wohlwollende Kommentare hervorruft." Dr. Taj Hargey vom Muslim Educational Centre in Oxford begrüßt die Initiative des französischen Präsidenten: "Zu glauben, die islamische Frau müsse ihr Gesicht verhüllen, ist doktrinäre Gehirnwäsche." Andere Muslime sind hingegen schockiert und fragen sich, ob Nicolas Sarkozy denn überhaupt jemals mit einem Muslim gesprochen hat. Sie fragen sich, warum Sarkozy die Burka angreift, die doch nur von knapp 5% der Musliminnen getragen wird. Ahmed Versi, Journalist bei der Muslim News, weist zudem darauf hin, dass nach der Aussage von Justizminister Jack Straw, der sich über "Frauen, deren Gesicht man nicht sieht" beklagte, "viele Frauen begannen, sich erst recht zu verschleiern".

In Frankreich scheint man sich zwar einig darüber zu werden, dass die Realität einer Praxis, die das soziale und kulturelle Gefüge Frankreichs brüskiert, festgelegt werden muss, doch manche bezweifeln, dass das Erlassen von Gesetzen wirklich zweckmäßig ist. "Kann denn der Gesetzgeber überprüfen, wer die Burka aus freiem Willen trägt und wer dazu gezwungen wird", fragt sich in [Le Monde](http://www.lemonde.fr/proche-orient/article/2009/06/20/le-port-du-voile-integral-bouscule-la-tradition-laique-francaise_1209174_3218.html) Hassan Safoui vom Komité des 15. März, einem Verein, der seit dem Gesetz von März 2004, welches das Tragen von offenkundigen religiösen Symbolen im Schulraum verbietet, junge Mädchen unterstützt, die das Kopftuch tragen wollen. Zur Personenidentifikation kann das Tragen des Niqab oder der Burka zum Beispiel in Standesämtern, an Bahnhöfen oder in Banken untersagt sein. Doch wie kann man die Kleidung von erwachsenen Menschen in der Öffentlichkeit reglementieren, ohne spezifisch auf die islamische Bevölkerung abzuzielen?

In Belgien haben sowohl die Wahl der kopftuchtragenden Abgeordneten Mahimur Özdemir ins Brüsseler Parlament als auch ein Vorschlag des Justizministeriums, seinen Beamten das Tragen des Schleiers zu gestatten, die Polemik über religiöse Symbole und die Neutralität des Staates wieder neu entfesselt. Michel Konen, Chefredakteur von La Libre Belgique, zieht einen Vergleich mit der Türkei herbei. 1999 verlor eine türkische Abgeordnete ihren Sitz, weil sie das Parlament mit Kopftuch betreten hatte. "Sollen wir 2009 in Brüssel weniger streng sein als die Türkei, wenn VolksvertreterInnen im Parlament deutliche Symbole ihrer religiösen Einstellung zur Schau tragen wollen", fragt er. "Seit zwei Jahrhunderten trennen die westlichen Staaten zu Recht die geistige von der weltlichen Macht. Und schützen parallel dazu auch die Meinungsfreiheit. Und eben weil diese demokratischen Werte stark sind, dürfen wir keine Angst davor haben, dass eine Abgeordnete im Parlamentsraum – in dem sich alle Meinungen, ob weltlich oder religiös, frei ausdrücken dürfen und müssen – ihre Zugehörigkeit öffentlich zeigt."

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In Flandern flammt die Diskussion auf, seit ein Gymnasium in Antwerpen für das kommende Schuljahr das Verbot des Kopftuchs und aller anderen offenkundigen religiösen Symbole angekündigt hat. "Das Problem ist, dass mit der Abschaffung der einen Freiheit auch eine andere Freiheit verschwindet: Wenn man das Recht, sich zu verschleiern, abschafft, dann schafft man auch das Recht ab, sich nicht zu verschleiern, da dieses Recht dann zur Pflicht wird, und umgekehrt", schreibt Rik Torfs, Professor für Religionsrecht an der Universität Löwen, im Standaard.

Mayrem Almaci, Abgeordnete der belgischen Grünen, meint, der Druck auf die jungen Musliminnen werde von dem Verbot nicht beeinträchtigt: "Er geht dann einfach auf etwas anderes über: die Rocklänge, die Frisur, das Make-up... […] Anstatt die 'Opfer' anzugreifen, sollten die Schulen, die Gemeinden und die Gesellschaft sich eher mit dem Verhalten der jungen Männer auseinandersetzen."

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