Studenten und Covid-19: „Es war ein schwerer politischer Fehler, die Universitäten zu schließen“

Interview mit Olivier Ertzscheid, Dozent für Informationswissenschaften an der Universität in Nantes, der dringende Hilfen für Studenten und die vollständige Wiedereröffnung der Universitäten fordert. Diese erfolgt in Frankreich nur schleppend. Während die Kurse für Erstsemester seit Februar wieder an der Universität stattfinden, gilt für alle anderen Studenten, mit Ausnahme von praktischen Kursen, nach wie vor Home-Unterricht.

Veröffentlicht am 1 April 2021
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Katja Petrovic: Wie alle Krisen ist auch die Covid-Krise wie eine Lupe, die bereits bestehende Probleme nur noch deutlicher zum Vorschein bringt. Was sind die größten Probleme, mit denen Studenten derzeit konfrontiert sind?

Olivier Ertzscheid: Viele Studenten sind in echte Not geraten und es ist gut, dass jetzt endlich alle Medien über diese Notsituation berichten. Aber diese Krise für die Universitäten und die Studenten hat natürlich schon vorher begonnen... Ich weiß nicht, was gerade die größten Probleme sind, es ist schwierig, da eine Reihenfolge aufzustellen. Vielleicht, dass sie wieder einen Sinn finden müssen in ihrem Leben, obwohl sie erst 18, 20 oder 25 Jahre alt sind. Dafür müssten sie dringend wieder ein Minimum an grundlegendsten sozialen Austauschmöglichkeiten bekommen.

Sie wollen ja gar keine Partys für 200 Leute veranstalten oder in Clubs gehen, sie wollen sich einfach treffen können, Zeit haben, um sich in kleinen Gruppen auszutauschen und kennenzulernen. Dann gibt es Studenten, die tatsächlich gerade nicht genug zu essen haben. Mit leerem Magen an die Uni zu gehen, ist alles andere als eine Lösung. Aber die oberste Priorität scheint mir zu sein, ihnen eine Resozialisierung zu ermöglichen. Ohne zu vergessen, ihnen ausreichende Essens- und Unterbringungsmöglichkeiten zu bieten. Soweit ich das beobachten kann, beklagen sie sich nicht einmal, wenn sie nichts zu essen oder keine Unterkunft haben. Das Reden darüber fällt schwer.

Würden sie von einer der Krise "geopferten Generation" sprechen? 

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Seit Beginn der Krise haben Emmanuel Macron und Frédérique Vidal (Ministerin für Hochschule, Forschung und Innovation) das Ausmaß der Not dieser jungen Menschen absolut nicht erfasst und sie haben das Gegenteil von dem getan, was sie hätten tun können. Ich war zum Beispiel letzten Monat in einem großen Leclerc-Supermarkt einkaufen. Seit Anfang der Krise steht dort am Eingang ein Testzelt, vor den Universitäten aber gibt es immer noch keine. Und dann heisst es, wir könnten die Risiken an den Universitäten nicht managen, wenn zu viele Studenten dort ein und ausgehen. Aber wie denn, wenn wir die Mittel dafür nicht haben, lasst uns doch endlich Corona-Test durchführen am Eingang der Universitäten. Wir bekommen viel zu wenig Unterstützung seitens des Ministeriums.

Was die Studenten betrifft, ist eine ihrer Hauptsorgen die Qualität ihrer Abschlüsse. Was taugen sie und finden wir jetzt überhaupt noch Praktikumsplätze?Sie sorgen sich um ihre berufliche Integration. Für uns Lehrbeauftragte besteht die wichtigste Pflicht nun darin, ihnen wieder Selbstvertrauen für die Zukunft zu geben. Natürlich studieren sie nicht unter normalen Lehrbedingungen, natürlich ist ihr Notendurchschnitt am Ende des Semesters nicht der, den sie in einem normalen Kontext gehabt hätten, aber sie haben das kompensiert, indem sie andere Fähigkeiten entwickelt haben, was z.B. gegenseitige Hilfe angeht und Solidarität in einer Gruppe. 

Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.

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