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EU

Giorgia Meloni kann Europa noch lange nicht umkrempeln

Die Machtübernahme der Rechtsextremen in Italien wird Europa nur geringfügig beeinflussen, meint Politikwissenschaftler Cas Mudde: Die Entwicklung gibt es seit der Jahrtausendwende und ist Teil eines Trends in Krisenzeiten, die nur wenig Handlungsspielraum lassen.

Veröffentlicht am 30 September 2022
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Eine Frau wird die erste rechtsextreme Regierung im Europa der Nachkriegszeit führen: Giorgia Meloni. Weil das System in Schieflage steht und die linken Demokraten aus der politischen Mitte mit der reformierten Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle, M5S) im Wahlkampf nicht geschlossen aufgetreten sind, hat Meloni nun eine große Mehrheit im Parlament.

Die wichtigste Veränderung ist die Machtdynamik innerhalb des „rechten Blocks”. Bis 2018 hatte der in vielerlei Hinsicht problematische, aber nicht rechtsextreme Silvio Berlusconi die Koalition geleitet. 2018 bekam Matteo Salvinis Lega mehr Stimmen als Berlusconis Forza Italia, und jetzt wird Melonis „post-faschistische” Fratelli d’Italia (FdI) den Block dominieren.

Ihr großer Wahlsieg wird das Medienspektakel um den Aufschwung rechtsextremer Parteien in Europa weiter anheizen. Aber diese Berichte sind im historischen Kontext weitgehend unlogisch oder gar sachlich falsch: Zunächst einmal berücksichtigen sie nicht die jüngsten Wahlniederlagen vieler rechtsextremer Bewegungen in anderen Ländern wie Deutschland, Norwegen und Slowenien. Außerdem spielen Rechtsextreme schon seit der Jahrtausendwende im politischen Mainstream mit und haben erfolgreich Regierungen gebildet.

Wenn überhaupt etwas besonders ist an den Wahlsiegen der FdI und der Schwedendemokraten zwei Wochen zuvor, dann sind es die (neo-)faschistischen Wurzeln ihrer Ideologien und Strukturen. Doch selbst das ist nichts Neues – es trifft auch auf die FdI-Vorgängerpartei Alleanza Nazionale zu, die vor ihrem Zusammenschluss mit der Forza Italia zu Berlusconis Regierung gehörte. Und viel wichtiger: Auf ideologischer Ebene sind die FdI und die Schwedendemokraten weder radikaler noch moderater als andere rechtspopulistische Parteien wie etwa die FPÖ in Österreich oder Marine Le Pens Rassemblement National in Frankreich.

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Des Weiteren ist die Einschätzung, die neue rechtsextreme Regierung in Italien werde die EU signifikant beeinflussen oder sei gar ein Sieg für Wladimir Putin, nicht nur eine Übertreibung, sondern schlicht falsch. Es stimmt, dass sowohl Meloni als auch Salvini Putin lange unterstützt haben, aber beide haben sich seit Beginn der Invasion Russlands in der Ukraine deutlich zurückgenommen. Mehr noch: die Koalition wird von Melonis FdI geführt, die der Linie der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) folgt. Die Mehrheit der ECR stellt Putins größter Gegner, die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit.

Wie auch Polen und Ungarn ist Italien stark von EU-Mitteln abhängig – insbesondere im Kontext der COVID-19-Pandemie. Die neue Regierung hat also wenig Interesse daran, diese Mittel zu gefährden oder gar einen Ausstieg aus der EU zu initiieren. Es ist allerdings gut möglich, dass die italienische Regierung Polen im Europarat beistehen wird. Damit wäre Polen weniger abhängig von der Unterstützung durch den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, zu dem sich die Beziehungen seit Kriegsbeginn in der Ukraine deutlich getrübt haben.

Dennoch kann man davon ausgehen, dass die neue Regierung kein besonders wichtiger Akteur in der EU sein wird: Erstens beruht der Erfolg der FdI auf der großen Zurückhaltung der Partei, mit der Meloni als bisherige Oppositionspolitikerin zum Anti-Salvini wurde, also zu einer verhältnismäßig ruhigen und berechenbaren Kandidatin. Um Simon Kupers Vergleich heranzuziehen – während Berlusconi und Salvini Populisten nach Trump-Art sind, ähnelt Meloni mit mehr Strategien und weniger Stunts eher Viktor Orbán.

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