Presseschau Aus dem hohen Nord(west)en

Milei und Wilders: der Werwolf und der Vampir

In unserer Presseschau in Zusammenarbeit mit Display Europe werfen wir diesen Monat einen Blick darauf, wie niederländische Zeitungen auf den "Monstersieg" von Geert Wilders reagieren. Außerdem zeigen wir, wie die Medien über ein bahnbrechendes Gerichtsverfahren gegen Greenwashing in Dänemark berichten.

Veröffentlicht am 6 Dezember 2023

Es war ein guter Monat für zwei politische Außenseiter, die als "Werwolf" und "Vampir" tituliert wurden. In Argentinien errang der unflätige, rechtsgerichtete Ultraliberale Javier Milei einen entscheidenden Sieg bei den Präsidentschaftswahlen. Aufgrund seiner wütenden Fernsehauftritte und seiner fehlenden politischen Erfahrung liegt ein Vergleich mit Donald Trump nahe. Wie Imdat Oner für das European Center for Populism Studies jedoch deutlich macht, verdankt Milei seinen Sieg einem Umfeld, das von wirtschaftlichem Chaos und Verzweiflung geprägt ist. Seiner Meinung nach sei es verfrüht, aus einer offensichtlichen Protestwahl auf eine breite Zustimmung zum Rechtspopulismus in Argentinien zu schließen. Open Democracy hatte diesbezüglich im Vorfeld der Wahl bereits einen aufschlussreichen Artikel über die überraschende Vielfalt von Mileis Wählerschaft veröffentlicht.

In Europa dagegen liegt es auf der Hand, den Wahlsieg von Geert Wilders in den Niederlanden als Teil eines weit verbreiteten Trends zu sehen. Dieuwertje Kuijpers in Vrij Nederland betont jedoch, dass die Wähler nicht drastisch nach rechts gerückt sind. Er erklärt, dass Wilders Sieg vielmehr durch die Besonderheiten der parteipolitischen Landschaft und durch die Fragmentierung der Wählerschaft in den Niederlanden möglich wurde. 


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Während der Sieg der PVV für viele Experten ein Schock war, gehörte der Politologe Joost van Spanje von der Universität London zu den wenigen, die den Ausgang der Wahl vorhergesagt hatten, wie Kuijpers anmerkt. „Mark Rutte hat die PVV bisher einerseits erfolgreich als großmäuligen Außenseiter dargestellt, sich die politische Agenda Wilders aber andererseits schamlos zu eigen gemacht. Auf diese Weise konnte Rutte Wähler an sich binden, denen das Thema Migration Angst macht“, sagt van Spanje. 

Endgültig brach der Damm, als Ruttes Nachfolger Dilan Yeşilgöz erklärte, dass eine Koalition mit Wilders machbar wäre. „Immer mehr Wählern wurde so klar, dass Wilders diesmal eine ernsthafte Option war“, schreibt Kuijpers. „Was folgte, war ein Schneeballeffekt: ein langsamer Anstieg seiner Befürworter im September, ein schnellerer Anstieg im Oktober und im November waren es dann plötzlich ganz viele. Jahrelang war die PVV am rechten Rand isoliert und geriet noch mehr in Atemnot, als die VVD sich ihre Migrationsagenda und -rhetorik zu eigen machte. Als die VVD nun die PVV aus der Isolation befreite, hat sich eine Schleuse geöffnet.“

Nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse gingen Andreas Kouwenhoven und Thijs Niemantsverdriet in Rotterdam und Amsterdam auf die Straße, um mit den Muslimen zu sprechen, die seit jeher von Wilders dämonisiert werden. Ihr Bericht, der im NRC Handelsblad veröffentlicht wurde, zeichnet ein überraschendes Bild. Ja, sie haben Angst vor Verfolgung, aber es gibt auch viele Muslime, die darauf vertrauen, dass die niederländischen Institutionen und die Verfassung ihre Rechte schützen werden. Es gibt sogar Muslime, die mit einem Großteil von Wilders' Programm einverstanden sind, vor allem in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Wohnraum und Migration. Der Artikel schließt jedoch mit Sabi El Massaoui, dem Leiter eines marokkanischen Jugendzentrums, der sich Sorgen über die psychologische Wirkung des Sieges von Wilders auf junge Muslime macht. „Seit der Wahlnacht frage ich mich: Sind wir wieder am Anfang? Waren all diese Bemühungen umsonst? Die Polarisierung wird psychologische Folgen haben. Eine verlorene Generation ist am Horizont zu sehen.“   

Vielleicht ist es die fehlende Substanz der politischen Mitte, die vor allem jüngere Wähler dazu trieb, entweder für die PVV oder für das Bündnis aus Grüner, Linker und Arbeiterpartei zu stimmen. Wie eine von NOS veröffentlichte Grafik zeigt, gingen zwar weniger junge Menschen zur Wahl (73 Prozent gegenüber 80 Prozent im Jahr 2021), aber diejenigen, die zur Wahl gingen, stimmten mit größerer Wahrscheinlichkeit für Wilders' PVV als die restliche Bevölkerung. Die PVV war die beliebteste Partei unter den 18- bis 35-jährigen Wählerinnen und Wähler, gefolgt von Frans Timmermans Bündnis aus Grüner-, Linker- und Arbeiterpartei.

Als die Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) im März letzten Jahres die Regionalwahlen in den Niederlanden gewann, deutete dies bereits darauf hin, dass sich für die niederländische Regierung ernsthafte Probleme zusammenbrauten, insbesondere was die Umsetzung der Klimapolitik anbelangt. Der Sieg der BBB war eine Reaktion auf die äußerst unpopulären Bemühungen, die Emissionen der Landwirtschaft einzudämmen. Die relativ junge Agrarbewegung hatte bei den Parlamentswahlen einen deutlich geringeren Einfluss. Dennoch gibt es, wie Hans Nauta in Trouw erklärt, Grund zur Sorge über die Folgen dieser Wahl für die Klimapolitik und die Energiewende. Greenpeace reagierte auf den Wahlsieg von Wilders mit einem Transparent vor dem Büro des Ministerpräsidenten ("Der Turm") in Den Haag mit der Aufschrift „Kein Klimaleugner im Turm“. 


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Dänische Schweinefleischfirma erstmals wegen “Greenwashing” verklagt

Daniela De Lorenzo | EUObserver | 24. November | DE

Diesen Monat gab es in Europa die erste Klage gegen einen europäischen Lebensmittelhersteller wegen irreführender Aussagen zum Thema Klimaschutz. Der Schweinefleischproduzent Danish Crown hatte behauptet, seine Produkte seien „klimafreundlicher als [seine Kunden] denken“, stützte diese Behauptung jedoch auf leere Versprechungen. Die Vegetarische Gesellschaft Dänemarks (DVF) und die dänische Klimabewegung Klimabevægelsen witterten den Betrug und leiteten im Jahr 2021 eine Klage ein.

Angesichts der enormen CO2-Bilanz der Fleisch- und Milchproduktion gilt dieser Fall als wichtiger Präzedenzfall im Kampf gegen Greenwashing in der Lebensmittelbranche. Der Ausgang dieses Verfahrens könnte die gesamte Lebensmittelindustrie beeinflussen und dazu führen, dass Unternehmen künftig ihre Klimaschutzaussagen mit glaubwürdigen Beweisen untermauern und sich an strenge Vorschriften halten müssen. Die sich positiv entwickelnde Rechtslage in Bezug auf Greenwashing veranlasst Unternehmen dazu, ihre Nachhaltigkeitspraktiken und Marketingstrategien neu zu bewerten, um mögliche rechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

Immer mehr Fälle von ausländischer Einmischung in Frankreich und Europa 

Briefing | Le Grand Continent | 19. November | FR, ES

In ihrem Jahresbericht, der Anfang des Monats veröffentlicht wurde, erklärt die französische parlamentarische Delegation für Nachrichtendienste (DPR), dass die Bedrohung durch ausländische Einmischung in einem angespannten und kompromisslosen internationalen Kontext ein hohes Niveau erreicht hat“. Dabei werden drei große Kategorien von Einmischungen unterschieden: klassische, moderne und hybride Einmischungen, die von Staaten wie Russland, China, Iran und der Türkei auf jeweils charakteristische Weise durchgeführt werden. 

Die aus vier Senatoren und vier Parlamentariern bestehende Delegation äußert sich besorgt über eine Form der Naivität und Verleugnung“ im wirtschaftlichen, akademischen und politischen Bereich. Sie schlagen 18 Empfehlungen vor, darunter eine systematische Schulung über die Risiken der Einmischung bei Kommunalwahlen, einen Rechtsrahmen für ausländische Einflussnahme ähnlich den Vorschriften für Lobbyarbeit und mehr Kontrollen für ausländische Investitionen. 

Le Grand Continent stellt den Bericht in den Kontext des wachsenden europäischen Bewusstseins für das Risiko der Einmischung und der Schritte dagegen, die innerhalb der Institutionen unternommen werden, insbesondere im Rahmen des von Ursula von der Leyen im September 2022 angekündigten Pakets zur „Verteidigung der Demokratie“. Wie in dem Artikel erläutert wird, wurden Aspekte dieses Pakets, die die ausländische Finanzierung betreffen, von Organisationen der Zivilgesellschaft jedoch heftig kritisiert. Wie Lukas Harth, Florian Kriener und Jonas Wolff argumentieren, könnte die Reaktion der EU auf das, was sie als Bedrohung der Demokratie wahrnimmt, unbeabsichtigt den Weg für Maßnahmen ebnen, die der Demokratie in Europa und weltweit mehr schaden als nützen.“

In Zusammenarbeit mit Display Europe, kofinanziert von der Europäischen Union. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die des Autors/der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologie wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für sie verantwortlich gemacht werden.
ECF, Display Europe, European Union

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