Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hilft die in Luhansk ansässige Благодійний Фонд Реалізації ідей („Wohltätige Stiftung Verwirklichung von Ideen“) in Dnipro zusammen mit anderen NGOs und staatlichen Stellen Flüchtlingen aus dem besetzten Donbass.
Die Stiftung „Verwirklichung von Ideen“ wurde 2018 in den Städten Sjewjerodonezk und Lyssytschansk (Oblast Luhansk) gegründet, um Unternehmertum und Selbstständigkeit in der Ostukraine zu fördern. Seitdem wurde sie fast durchgängig von Olena Agafonowa geleitet. Nach der russischen Invasion hat sich die Organisation der humanitären Arbeit verschrieben.
Am 24. Februar 2022 wachte Olena, wie viele andere auch, mit der schrecklichen Nachricht von der russischen Invasion auf.
Sie erinnert sich: „An diesem Tag wachte ich um halb sechs Uhr morgens auf, weil mein Sohn aus Kiew anrief. Er sagte, es sei Krieg und ich solle zu ihm kommen. Aber ich blieb zwei ganze Wochen lang in Sjewjerodonezk“.
Zunächst dachte sie nicht daran, die Stadt zu verlassen. Sie hatte keine Angst vor Beschuss, Lebensmittelknappheit und anderen Entbehrungen. Während sie im Keller saß und die Explosionen hörte, nutzte sie ihre Internetkanäle und Telegram, um den Menschen in Sjewjerodonezk zu helfen: Sie teilte Informationen über humanitäre Hilfe und organisierte die Evakuierung in sichere Gebiete.
Olena: „Mehr als achthundert Menschen konnten wir damals helfen. Mit den Spendengeldern kauften wir Medikamente und Lebensmittel und brachten sie gemeinsam mit Freiwilligen nach Sjewjerodonezk und Lyssytschansk.“
„Der Beschuss ging immer weiter, und mir wurde klar, dass ich die Stadt verlassen und meinen Landsleuten nützlicher sein musste“, erinnert sie sich. „Wir fanden Freunde, die uns halfen, in die Stadt Dnipro zu gehen. Schon in den ersten Tagen gab es in Dnipro viele Vertriebene aus der Oblast Luhansk, die ständig ankamen. Es war hart, aber wir hatten keine Zeit, über unsere eigenen Probleme nachzudenken. Wir mussten uns als Freiwillige an die Arbeit machen. Und so nahm die Organisation schon in den ersten Tagen nach dem Umzug ihre Arbeit auf.“
Drei Komponenten für soziales Engagement
Olena Agafonowa und ich lernten uns einige Jahre vor der Invasion kennen, bei einer Reihe von internationalen Schulungen und Webinaren für Personen des öffentlichen Lebens. Sie inspirierte andere mit ihrem Optimismus, ihrer Gelassenheit und ihrer Fähigkeit, Menschen für das Gemeinwohl zu begeistern und die Arbeit zu organisieren.
Ich erinnere mich, wie wir einmal nach einem Schulungstag in Sjewjerodonezk zusammen zum Hotel gingen. Wir überlegten, einen regionalen Verband von NGOs zu gründen und welche Möglichkeiten sich daraus für alle Teilnehmer einzeln und gemeinsam ergeben würden. Olena sprach mit Begeisterung und echtem Interesse über Zukunftsprojekte und die Möglichkeit, Gutes für die Stadt und die Region zu tun. Dann fragte ich sie, wie sie es schafft, Zeit und Energie für die gemeinnützige Arbeit aufzubringen. Was braucht es dazu?

„Ich weiß nicht genau, woher ich meine Kraft nehme. Das ist meine Lebensaufgabe, und deshalb gibt mir der Herr die Kraft“, antwortete sie. Sie meint, es sind drei simple Dinge. Man muss sich selbst und anderen gegenüber aufrichtig sein, man muss verstehen, warum und für wen man arbeitet, und vor allem darf man alles nur auf den Ruf seines Herzens hin tun.
Der Anfang: humanitäre Hilfspakete
Am 8. März 2022 kam Olena Agafonowa in der Stadt Dnipro an. Am 11. März begann ihre Organisation, Hilfspakete an die Flüchtlinge zu versenden. Olena beschloss, dass es keinen Sinn hatte, nur die Nachrichten auf Telegram zu verfolgen und traurig zu sein. Sie wollte sich lieber für den Sieg einsetzen. Schon bald wurde die Organisation von Vertriebenen aus den Kriegsgebieten Luhansk, Donezk und Charkiw kontaktiert und arbeitete Hand in Hand mit den Flüchtlingszentren, Krankenhäusern und der Armee, von morgens bis spät in die Nacht.
Die Erfahrungen aus der Unternehmensberatung kamen nun der humanitären Hilfe zugute. Zwischen 2018 und 2022 führte „Verwirklichung von Ideen“ 500 Stunden Schulung und hunderte Stunden Individualberatung durch. Dabei arbeitete die Stiftung mit den Vereinten Nationen, der EU, der deutschen Regierung, der IOM (International Organisation for Migration) und anderen Organisationen zusammen. Die Mitarbeiter der Stiftung, die zuvor Menschen darin schulten, Gelder für die Geschäftsentwicklung zu beschaffen, organisierten und leisteten nun humanitäre Hilfe für Kriegsflüchtlinge. Olena führt aus: „Von Juni bis Ende 2022 haben unsere Stiftung und die IOM Hilfspakete im Wert von etwa 410.000 Dollar an 13.000 Menschen versandt.“ Darin befanden sich Lebensmittel, Hygieneartikel, Gebrauchsgegenstände, Medikamente, Bettwäsche und Kleidung.
Vor kurzem haben die Stiftung und die IOM Öfen und Heizgeräte an 5.800 Familien in den kriegszerstörten Dörfern der Region Charkiw geliefert.
Mit Hilfe der East Europe Foundation erhielten 304 Flüchtlingsfamilien in Dnipropetrowsk Bausätze für Unterkünfte sowie Decken, Handtücher, Kanister und Taschen.
Noch immer werden Hilfen an die Bewohner der Kriegsgebiete Dnipropetrowsk, Saporischschja, Charkiw und Donezk verteilt. Es ist geplant, 14.395 Familien mit Öfen, Heizgeräten, Kohle und Brennholz zu versorgen.
In den meisten Fällen gelingt es der Organisation dank solcher Gemeinschaftsprojekte, Mittel zu beschaffen. Die Mitarbeiterin Olena Nekhajewa sagt: „Wir schreiben ständig neue Projektvorschläge. Nicht alle werden genehmigt, aber wir hören nicht auf.“
Ein Freiwilligenzentrum wird eröffnet
Im Juni letzten Jahres eröffnete die Organisation ein Freiwilligenzentrum namens Луганщина - це Україна - „Luhansk ist ukrainisch“. Es wurde vom Entwicklungsprogramm der UNO und dem Luhansker Verband zivilgesellschaftlicher Organisationen unterstützt. Das Zentrum arbeitet mit der Polizei zusammen und bietet Sicherheitstrainings für geflüchtete Kinder an. Außerdem hilft es Kleinunternehmern aus Luhansk und Donezk bei der Beschaffung von Finanzmitteln für den Neustart ihrer Unternehmen und unterstützt Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Besonders beliebt ist die Schulung im Projektmanagement. Zunehmend wird neben der materiellen Hilfe auch psychologische Beratung nachgefragt. Menschen, die ihr Zuhause, ihre Verwandten, ihre Freunde, ihren Arbeitsplatz und ihre Alltagsroutine verloren haben, sind oft in schwieriger mentaler Verfassung.
Die Freiwilligen helfen nicht nur Binnenvertriebenen, sondern auch, wann immer möglich, Angehörigen der Streitkräfte. „Normalerweise helfen wir einzelnen Soldaten oder Brigaden, die wir kennen oder die von den Freiwilligen gefunden werden“, sagt die leitende Person.
Stetig kommen neue Freiwillige hinzu. Darunter sind Flüchtlinge, doch das eigentliche Rückgrat der Organisation sind die regulären Helfer. Jewgenija Schukowa beispielsweise begann 2022 mit der Freiwilligenarbeit, nachdem sie das besetzte Sjewjerodonezk in Richtung Dnipro verlassen hatte. Als Binnenvertriebene weiß sie, wie schwer es ist, sich an einem neuen Ort einzuleben. Jewgenija erklärt: „So viele Menschen haben wegen der Besatzung ihr Zuhause und ihre Arbeit verloren. Ich bin da keine Ausnahme. Wir müssen uns gegenseitig helfen.“
Anfangs waren etwa zehn Personen beteiligt, die jederzeit bereit waren, zu helfen. Ein Jahr später sind es bereits etwa hundert Personen. Darunter sind auch Ausländer wie Oldag, ein Freiwilliger aus Deutschland, der im Sommer nach Dnipro kam. Er hat Geld gespendet und möchte auch bei der Organisation des Transports helfen.
Nun schmiedet die Wohltätigkeitsorganisation Zukunftspläne. Neben Beratungsgesprächen für Flüchtlinge soll eine Website eingerichtet werden, um über die Angebote zu informieren und Spenden für Binnenvertriebene und das ukrainische Militär zu sammeln. „Aktuell informieren wir über unsere Aktivitäten hauptsächlich über die Facebook-Seite“, sagt Olena Agafonowa.
Im vergangenen Jahr wurden mehr als 13.000 Einwohner der Regionen Luhansk, Donezk und Charkiw von „Verwirklichung von Ideen“ unterstützt. Und die Arbeit geht weiter.
Pläne und Herausforderungen
Die Tätigkeit der Organisation spricht für sich selbst und immer mehr Menschen wenden sich an sie, um Hilfe zu erhalten. Dennoch gestaltet sich die Arbeit immer schwieriger. Olena Agafonowa erklärt: „Als Leiterin muss ich mich um die Büromiete, die Gehälter der Mitarbeiter usw. kümmern. Unser Enthusiasmus ermöglicht uns das Überleben.“ Sie sagt, sie investiere ihr Geld möglichst in die Organisation. Die Spendenbeschaffung werde immer schwieriger. Eine stabile Finanzierung und große Spender seien fast unmöglich zu finden. So steht sie vor vielen Hindernissen, die nur mit harter Arbeit und viel Entschlossenheit überwunden werden können.
Über die Zukunft der Ukraine sagt Olena: „Ich glaube an unser Volk und an die Streitkräfte. Das Land wird frei und unabhängig sein, ein Rechtsstaat, in dem die Menschen an erster Stelle stehen. Glaubt an euch selbst, glaubt an die Ukraine.“ Nach dem Sieg werde es noch viel zu tun geben, und sie und ihre Organisation werden daran beteiligt sein. Das allein ist schon eine große Motivation für die Zukunft.
Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit dem Projekt Voices of Ukraine des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit veröffentlicht.
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