Der Untermarkt in Görlitz. Photo von Sunchild dd - Alle Rechte vorbehalten

Spaziergang durch die (gute alte) Zeit

Görlitz, östlichste Stadt Deutschlands. Reich an denkmalgeschützten Gebäuden pflegt sie gleichzeitig ihren Retro-Look und sieht nach vorne, gemeinsam mit Schwesterstadt Zgorzelec am gegenüberliegenden Neiße-Ufer.

Veröffentlicht am 22 Mai 2009 um 16:03
Der Untermarkt in Görlitz. Photo von Sunchild dd - Alle Rechte vorbehalten

Zu einem Time Warp and den Ort, wo die Uhren richtig gehen, lädt die Frankfurter Rundschau ein. Nach Görlitz, das im Osten liegt, "hinterm Berg", fast schon in Polen, aber genau auf dem 15. Längengrad. In dieser ehemaligen Tuchmacher-Stadt an der Handelsstraße Via Regia stehen heute 4.000 denkmalgeschütze Gebäude. "Man bewegt sich wie in einem Manufactum-Katalog der deutschen Geschichte (Es gibt sie noch, die guten alten Zeiten!), (...) performen lässt sich in diesem Ambiente gut. Der Schmuckladen (...)bietet Selbstgeschmiedetes, (...) im hinteren Teil der Ladenwohnung wird im historischen Kleid getöpfert."

Görlitz hat aber noch diese andere Besonderheit: seine polnische Schwester Zgorzelec, "die vor 1945 einfach ein jüngerer Ortsteil von Görlitz war – Europa findet hier sozusagen im eigenen Hause statt". Mit ihr gemeinsam hat es sich vor einigen Jahren vergebens um den Titel der Kulturhauptstadt Europas 2010 beworben. "Denn wirtschaftlich laufen die Dinge inmitten der schönsten Bauhistorie keineswegs gut." Der Bürgermeister berichtet, wie wohltuend die Aufbruchstimmung damals war. Wirklich nahe gekommen sind sich die Einwohner der Schwesterstädte jedoch nicht.

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In erschreckendem Tempo verlassen die Menschen die Stadt Görlitz. Ihre Bevölkerung zählte vor zwanzig Jahren noch 100.000 Menschen. Heute hat sie sich um die Hälfte reduziert. Die Stadträte fragten sich, was man tun könnte, um die Görlitzer Straßen wieder zu beleben. Alsbald präsentierten sie einen Lösungsvorschlag.

Auf der deutschen Seite der Grenze sollen sich junge Polen aus den nahe gelegenen Städten niederlassen. Als besonderer Anreiz wird ihnen eine Woche mietfreies Wohnen in einer luxuriösen Wohnung in Görlitz angeboten.

Vor einigen Wochen brachten die Technische Universität (TU) Dresden und die Görlitzer Wohnbaugesellschaft das Projekt "Probewohnen" in Gang. Dank der Hilfe von Sponsoren konnten die zuvor renovierten Wohnungen vollständig möbliert und mit Haushaltsgeräten ausgestattet werden. Diese Wohnungen stehen nun den jungen Polen zur Verfügung.

Die zwanzigjährige Agnieszka Jarosz aus Zgorzelec ist eine der ersten Polen, die in eine solche Görlitzer Wohnung auf der anderen Seite des Neiße-Ufers gezogen ist.
"Zunächst dachten wir, man würde uns ein eine dieser schäbigen Wohnungen in herunterkommenen Mietshäusern stecken, doch nichts dergleichen geschah. Alles war neu und ganz frisch bei Ikea gekauft. Auch das Gebäude selbst liegt in einer ruhigen und netten Nachbarschaft" berichtet Frau Jarosz.

Anne Pfeil, die das Forschungsprojekt "Probewohnen" im Auftrag der Dresdner Universität betreut, erklärt: "Junge polnische Leute erhalten so die Möglichkeit, sich in Görlitz niederzulassen und ihre Ideen mit uns zu teilen".
Diese Reaktionen bilden anschließend die Grundlage für die Umgestaltung der Görlitzer Innenstadt, die sich auf diesem Wege näher an den Bedürfnissen der Anwohner orientiert.

Für diejnigen Polen, die bereit sind, nach Görlitz umzuziehen, sind vor allem die anstehenden Kosten ein wichtiger und potenziell abschreckender Faktor. Die monatliche Miete einer 80 m²-Wohnung beträgt ungefähr 500 Euro, zu denen weitere 200 Euro Nebenkosten hinzugefügt werden müssen. "Gerade billig ist das nicht, aber nach Zgorzelec zurück möchte ich jetzt auch nicht mehr.", sagt Emil, der mit seiner Ehefrau und ihrem zwei Jahre alten Kind seit zwei Jahren in Görlitz wohnt. Genau diese Polen sind es, auf welche die Organisatoren von "Probewohnen" bauen.

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