Ermattete Rosen für Barroso

Während Europa durch harte Zeiten schlingert, sollten die Konservativen ein leichte Beute für die Sozialdemokraten sein. Kurz vor der Parlaments- und Kommissionspräsidentenwahl fragt sich die Politikkolumnistin Ilana Bet-El, warum die Linke trotz dieser günstigen Umstände apathisch und kraftlos bleibt.

Veröffentlicht am 27 Mai 2009 um 16:37

Nachdem ich mich vor kurzem durch gähnend langweilige politische Parteiprogramme zu den Europawahlen gequält habe, fiel mir besonders der Kommentar eines Journalisten zu den Sozialisten ins Auge: "Es braucht eine ordentliche Menge an Unverschämtheit, wenn eine Gruppe, die Großbritanniens Labour-Partei zu ihren Partnern zählt, einen Unterschied zwischen sich und den Konservativen macht und behauptet: 'Sie folgen dem Markt. Wir folgen unserer Überzeugung'."

Solch ein Geschwafel ist schon schlimm genug, ist aber noch nicht alles. Ihren Tiefpunkt erreichen die Sozialisten in ihrer Unfähigkeit, einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu stellen, was weithin auf ihre internen Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten zurückzuführen ist.

Abgesehen davon, dass es schlicht und ergreifend lächerlich ist, frage ich mich: Wie kann eine Gruppe, die an die Macht will, es einfach nicht schaffen, einen Führungskandidaten hervorzubringen? Dies hat hauptsächlich drei Auswirkungen. Erstens wird es keinen Kampf um einen der wichtigsten Posten in der EU geben. In der Tat wird der amtierende Präsident José Manuel Barroso nicht nur von seiner eigenen Mitte-Rechts Gruppe, der EPP unterstützt werden, sondern wahrscheinlich auch von vielen oder sogar allen Sozialisten.

Zweitens ist Barroso nicht unbedingt ein guter Kandidat, aber er wird gewinnen. Letzte Woche war Brüssel bestürzt über folgenden Kommentar eines Kolumnisten der FT:

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"Nichts in der Europapolitik stinkt mehr gen Himmel als die offensichtliche Unvermeidbarkeit einer weiteren fünfjährigen Amtszeit von José Manuel Barroso, dem portugiesischen Kommissionspräsidenten. Die meiste Zeit der letzten Jahre hat er darauf verwendet, wieder gewählt zu werden anstelle seine Arbeit zu machen… Meiner Ansicht nach ist Barroso einer der schwächsten Kommissionspräsidenten, die es je gab. Er ist ein eingebildeter Mann, dem politischer Mut fehlt."

Interessanter Weise widersprachen nur Wenige aus den EU-Institutionen der grundsätzlichen Richtigkeit dieser Aussage. Störendes Faktum bleibt dennoch, dass aus einer Menge von über 400 Millionen Menschen anscheinend nur einer zum Präsidenten geeignet scheint – einer, der anerkannter Weise günstigstenfalls als unangemessen gilt. Ein verblüffendes Ergebnis.

Es gibt noch eine dritte und letzte Auswirkung: dass sich die Sozialisten in Europa in allen Mitgliedstaaten und auch als Gruppe in der EU irgendwo zwischen Verwirrung und möglicher Auflösung befinden. Öffentliche Vorführungen davon werden immer häufiger. In Großbritannien hatte Labour die letzten Jahre nichts mit dem S-Wort (mit der reinen sozialistischen Lehre) zu tun. In Frankreich war es faszinierend, wenn nicht sogar erschreckend, die internen Machtkämpfe der Sozialisten während der französischen Präsidentschaftswahl 2007 und der diesjährigen Wahl mit anzusehen. Dies ist arg genug; schlimmer noch, dass wir uns mitten in der tiefsten Finanzkrise seit den dreißiger Jahren befinden und die Sozialisten nirgends zu sehen sind. Sie sollten Klartisch machen und die Parteien rechts von der Mitte von der politischen Bühne stoßen. Stattdessen hinken sie in EU- und nationalen Umfragen hinterher.

Es ist an der Zeit, dass sozialistische Parteien stark darüber nachdenken, wofür sie stehen und was sie repräsentieren – und anfangen, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Wenn sie sich noch nicht einmal auf einen Kandidaten für die EU einigen können, wie wollen sie dann erwarten, dass ihnen das Volk bei weitreichenden Grundsatzentscheidungen vertraut?

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