Interview Krieg in der Ukraine

Swetlana Alexijewitsch: „Wir haben es mit russischem Faschismus zu tun“

Die im Exil lebende, ukrainischstämmige belarussische Literaturnobelpreisträgerin spricht über Russlands tödliche imperialistische Kultur, den Krieg in der Ukraine, das Scheitern des demokratischen Aufstands 2020 in Belarus und warum sie immer noch bereit ist, mit Anhängern von Lukaschenko und Putin zu sprechen. All diese Themen stehen im Mittelpunkt des Buches, das sie gerade schreibt, sagt sie in diesem Interview mit dem ukrainischen Sender FreedomTV, über das die belarussische Zeitung Nasha Niva berichtet.

Veröffentlicht am 23 Februar 2023 um 09:53
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Saken Aymurzaev: Swetlana Alexandrowna, Sie haben das Geschehen im Donbass seit 2014 unmissverständlich als Krieg bezeichnet und es eine Tragödie genannt. Hatten Sie damit gerechnet, dass das Ganze in dem groß angelegten Einmarsch mündet, zu dem es am 24. Februar gekommen ist? 

Swetlana Alexijewitsch: Wissen Sie, ich habe immer mit Vorsicht und ehrlich gesagt auch mit Angst verfolgt, was im Donbass vor sich geht, und als dann derartige Mengen von Panzern an der ukrainischen Grenze zusammengezogen wurden, musste ich natürlich an die Bücher denken, die ich geschrieben habe, an die Menschen, mit denen ich gesprochen habe. Da habe ich verstanden, dass wir [die postsowjetischen Menschen, Hinweis des Herausgebers] Menschen des Krieges sind. Das ist unsere gesamte Kultur.

Da ist die Rede von der großen russischen Kultur, aber die Hauptsache an dieser „großen russischen Kultur“ ist die Kultur des Krieges. 

Ich muss an meine Generation denken, selbst an die Generation meiner Enkeltochter, die jetzt 17 ist … Sie lernen zu töten und zu sterben. Etwas anderes gibt es nicht. Das ist im Wesentlichen unsere Erfahrung. 

Deshalb habe ich natürlich mit Entsetzen das Geschehen an der Grenze verfolgt. Und obwohl ich vielfach von ausländischen Korrespondenten am Telefon gefragt wurde, ob es Krieg geben würde, habe ich mit der Naivität eines Menschen, der selbst nie einen Krieg erlebt hat (ich war zwar im Afghanistankrieg, aber das war ja weit weg, tausende Kilometer entfernt), gesagt, das sei unmöglich, das wäre ja Wahnsinn im 21. Jahrhundert, so etwas Mittelalterliches. Aber, wie Sie sehen, leben wir jetzt im Krieg. Sie lieben im …

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