"Euro-Rettungsfonds".

Alles ist möglich, sogar ein Energiestoß

Kurz vor zwei wichtigen Terminen, dem Europäischen Gipfel vom 18. Oktober und dem G20 im November, stehen die Grundprinzipien Europas in vollem Umbruch. Die Krise bringt die EU weiter, doch die Zeit drängt, findet der Redaktionsleiter der Tribune.

Veröffentlicht am 3 Oktober 2011 um 14:54
"Euro-Rettungsfonds".

Europa steht mitten im Wandel. Die aktuelle Finanzkrise hat wenigstens die Schwächen der Software aufgedeckt. In den letzten Monaten hat sie die Dinge mindestens ebenso schnell vorwärts getrieben wie es die damalige Troika Mitterrand, Kohl und Delors in den 80er und frühen 90er Jahren getan hat.

Die Grunddogmen von Maastricht sind eines nach dem anderen explodiert. Der Euro ist nicht mehr allheilig. Man darf heutzutage sogar daran denken, ihn aufzugeben, ob vorübergehend oder endgültig. Gewiss, die Europäische Zentralbank hat ihn unterstützt und zugleich die Inflation eingedämmt. Doch Jean-Claude Trichet hat ohne Zögern die Orthodoxie über den Haufen geworfen und in Milliardenhöhe Staatsanleihen der bedrohten Staaten gekauft.

Schlimmer noch, morgen könnte auch seine Unabhängigkeit in Frage gestellt werden. Seit einigen Monaten schon wird die Bildung einer europäischen Wirtschaftsregierung erwogen. Unser Präsident, Herman Van Rompuy, führt bei diesem Projekt das Steuer, angespornt von Frankreich, und dürfte beim nächsten europäischen Gipfeltreffen in zwei Wochen seine Vorschläge anbringen.

Unterdessen glänzt die Kommission von José Manuel Barroso, die einst das Symbol des föderalistischen Ideals schlechthin war, durch ihre Abwesenheit in der Krise. Die Entscheidungen fallen ohne sie, selbst wenn Barroso versucht, wieder zum Zug zu kommen, indem er sich die Kompetenz über die Eurobonds oder die Umwandlung der FESF in einen Europäischen Währungsfonds aneignet. Die Hypothesen eines neuen EU-Vertrags, eines Staatenbunds oder eines Europas mit zwei oder drei Geschwindigkeiten werden ernsthaft in Betracht gezogen, selbst von den „Europäistischsten“.

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Der Intergouvernementalismus ist wieder da. Die Staats- und Regierungschefs stehen direkt am Ruder des neuen europäischen Schiffs, allen voran das deutsch-französische Gründungstandem. Leider weist letzteres ein paar Funktionsschwächen auf, wie in den letzten Monaten zu sehen war. Seine Sichtweise ist bald kommunikativ, bald buchhalterisch, selten historisch. Dabei besteht die Chance, Europa neu zu erfinden, tatsächlich. Es ist sogar eine inständige Pflicht, will man vermeiden, dass der G20 im November zum Gipfel des Desasters wird.

Aus dem Französischen von Patricia Lux-Martel

Meinung

Stiglitz sagt, die EZB irrt

Als Hauptakteur im Kampf gegen die Schuldenkrise der Eurozone stützt sich die Europäische Zentralbank auf “eine Philosophie, die gescheitert ist”, glaubt Joseph Stiglitz. Der von der tschechischen Tageszeitung Hospodářské noviny befragte Wirtschaftsnobelpreisträger kritisiert die “ideologische” Unabhängigkeit der Zentralbanken, “welche die Finanzkrise wesentlich weniger erfolgreich gemeistert haben”, als die von den Regierungen geleiteten Banken. Denn “sie waren nicht den Bürgern gegenüber verantwortlich, sondern den Märkten”. Die EZB müsste sich von nun an nicht nur um die Inflation, sondern auch um Arbeitspolitik, Wachstum und Finanzstabilität kümmern.

Joseph Stiglitz glaubt nicht an einen Wirtschaftsaufschwung in den nächsten Jahren, denn dieser wird von den Sparmaßnahmen untergraben, die die Schulden der europäischen Staaten unter Kontrolle bringen sollen. Jetzt ist es nötig, “einen institutionellen Rahmen für Stabilität und Verantwortungsbewusstsein zu schaffen”. Für den Nobelpreisträger könnte sich Europa an Indien orientieren, wo die Zentralbank “unabhängig und professionell ist, sich aber gleichzeitig vor der Regierung verantworten muss”.

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