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„Ich weiß, wie es ist, wenn man sich unsichtbar fühlt“, sagte mir Lejla, 42, bei unserem Treffen in einem Café am Fluss Una in der Stadt Bihać in Bosnien und Herzegowina. Der Flusslauf der Una markiert verschiedene Grenzabschnitte zu Kroatien, bevor er in die Save mündet, die schließlich in die Donau fließt.
An eben dieser Grenze sitzen Tausende von Menschen fest, die versuchen, über den Balkan nach Europa zu gelangen. Im Jahr 1992, zu Beginn des Bosnienkriegs, musste die damals 12-jährige Lejla mit ihrer Familie fliehen. Sie erinnert sich, dass sie nur eine Barbiepuppe mitnahm, als sie ihr Haus in Stolac in der Herzegowina verließen.
Eigentlich sollten sie nur zwei Wochen fern der Heimat leben. Daraus wurde ein jahrelanges Leben als Geflüchtete, erst in Montenegro und dann in Deutschland. Nach dem Krieg kehrten sie in ihr Heimatland zurück, fanden die Wohnung geplündert vor und ließen sich schließlich in Bihać nieder. „Ich nehme immer Augenkontakt auf, wenn ich Migrierende treffe“, erklärt Lejla, die heute als Deutschlehrerin arbeitet, „sie fühlen sich genauso wie ich damals, obwohl ich weiß, dass die meisten von ihnen eine kompliziertere Vergangenheit haben.“
Die Menschen, von denen Lejla spricht, befinden sich in einer Übergangssituation. Sie kommen meist aus Afghanistan und Pakistan, viele aber auch aus anderen Ländern wie dem Iran, Irak oder Syrien, und irren jetzt durch die Straßen von Bihać. Sie sind vor Krieg, Verfolgung oder Not geflohen und hoffen auf ein menschenwürdiges Leben. Doch direkt vor den Toren Europas stehen sie vor einer weiteren Herausforderung. Um einzureisen, müssen sie oft viele Male versuchen, bei dem „Spiel“ erfolgreich zu sein, was durch die wiederholten und oft gewaltsamen Zurückweisungen durch die kroatische Polizei erschwert wird.
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Auf der Durchreise
Als die Balkanroute der Migration 2018 begann, Bosnien und Herzegowina zu durchqueren, war die Einstellung gegenüber den anwesenden Migrierenden zunächst relativ positiv. Im Laufe der Zeit hat sich die Lage jedoch teilweise verschlechtert. In einem Land mit einer sehr komplexen jüngeren Geschichte, in dem die Erinnerungen an den Krieg in den 90er Jahren noch immer lebendig sind, sind die Reaktionen gemischt.
Azra, eine 62-jährige Bosniakin, die im Krieg gekämpft hat, hilft jetzt Migrierenden auf der Durchreise durch Sarajevo.
Als der Krieg ausbrach, verließen Azra und ihre Familie ihren Wohnort und flohen in die Berge. Ursprünglich hatten sie vor, dort nur kurze Zeit zu bleiben. Azra beschloss jedoch, der Armee beizutreten, und ein Jahr später verließ sie ihren Zufluchtsort in den Bergen und lief in fünf Tagen allein nach Sarajevo zurück.
Sie kann sich erinnern, dass sich viele nach dem Krieg verloren fühlten, sich in Alkohol oder Drogen flüchteten oder sogar das Leben nahmen. Lange Zeit fragte sich Azra, warum sie überlebt hat. Sie begann mit dem Wiederaufbau ihres zerbombten Familienhauses, wandte sich der Religion zu und beschloss, ihr Leben der Hilfe für andere zu widmen.
Seit 2018 unterstützt Azra Migrierende auf der Durchreise durch Sarajevo. Sie sammelt Spenden von den Einheimischen und verteilt Lebensmittel und Kleidung an diejenigen, die Unterstützung brauchen. Mit der Zeit ist Azra für viele zu einer wichtigen Bezugsperson geworden.
Die meisten Migrierenden, die nach Bosnien und Herzegowina kommen, sind in Sarajevo nur auf der Durchreise. Manchmal verbringen sie hier einen kurzen Zeitraum, manchmal den ganzen Winter, bevor sie ihre Reise nach Europa fortsetzen. Diejenigen, die aus Serbien kommen, reisen normalerweise über Tuzla, wo sich eine lokale Gemeinschaft aus Migrierenden gebildet hat.
An der Grenze
Sobald sie das Grenzgebiet erreicht haben, konzentriert sich der Großteil der Migrierenden in und um die…