Auslese: “Die Hölle ‘made in Germany’”

Veröffentlicht am 3 Februar 2012 um 16:55

Der deutsche Vorschlag eines Sparkommissars für Europa richtete in den Kommentarspalten diese Woche einige Verwüstung an. “Nein! Nein! Nein!”, titelte die griechische Ta Nea auf Deutsch. Und der Irish Independent warnte vor “Überflutung durch Deutschland”.

Die 130 Milliarden des zweiten Rettungspakets für Griechenland gegen die Vormundschaft eines europäischen Haushalts-Kommissars in Athen: Der Vorschlag aus Deutschland ging vielen Zeitungen auf dem Kontinent zu weit. Berlin rückte plötzlich wieder in die Nähe expansionistischer Herrschaftsideen; und ließ die Kommentatoren reihenweise den kühlen Kopf verlieren. Kleine Auswahl der aufgeregtesten Zeilen:

Beispiel Athen, wo Ta Nea schlicht mit einem deutschen “Nein! Nein! Nein” aufmachte. Oder die Kollegen von To Ethnos, die auch zwei Jahre nach Ausbruch der Euro-Krise des Nazi-Vergleichs nicht müde sind.

[Das deutsche Arbeitspapier zum Fiskalpakt] kann nicht als Handlung eines befreundeten Landes betrachtet werden. Das Dokument empfiehlt Konditionen, wie sie ein Eroberer einer unterworfenen Bevölkerung vorschreibt, und muss somit vom griechischen Volk als feindlicher Angriff behandelt werden, von Seiten eines Staats, der Griechenlands Souveränität zerstören will, wie einst der Angriff von Hitlers NS-Deutschland im April 1941. [...]

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Ein deutscher Gauleiter wird beschließen, Schulen und Krankenhäuser zu schließen und die Zahlung der öffentlichen Gehälter und Renten einen oder mehrere Monate lang einzustellen. Die verachtenswerten Deutschen bereiten den Rahmen vor, um Griechenland im wahrsten Sinn des Wortes in den Hunger zu treiben. [...] dieses Dokument enthüllt die hässliche Seite der Eurozone und der EU im 21. Jahrhundert.

Das nennt sich auch die Hölle “made in Germany”, [wusste André Macedo im portugiesischen Diário de Notícias](http:// http://www.dn.pt/inicio/opiniao/interior.aspx?content_id=2278812).

Die Griechen treten gerade in ihr fünftes Rezessionsjahr ein. Aber jetzt wird ihnen klar, dass sie vor einer endlosen Phase tiefer Verarmung und politischer und kultureller Schande stehen – made in Germany – und einem schmerzhaften gesellschaftlichen Drama, das Europa auf viele Jahre beschämen wird. [...] Verständlich, dass Passos Coehlo, Mariano Rajoy und so viele andere vor dem Vergleich mit Griechenland fliehen, um dem deutschen Diktat treu zu bleiben und einen schwachen Funken Hoffnung bewahren wollen. [...] Der endlose griechische Armutskreis hat sich wegen des schlimmen internen Versagens in der Politik und beim Steuersystem verschärft, keine Frage; aber auch wegen des deutschen Finanzobskurantismus, der sich wegen der Duckmäuserei anderer Länder verewigt.

Im Irish Independent ließ der umstrittene Kommentator Kevin Myers offen, wie ernst sein Kommentar genommen sein will und streckt die Waffen. Nach dem Motto "es hat keinen Zweck die Deutschen sind zu gut für uns” schlägt er neue Grenzen vor. Oder besser: neue Schutzwälle.

BMW, Mercedes Benz, Audi, VW, Krupp, Siemens, Miele, Muller Joghurt, Cambozola Käse, ganz zu schweigen von deutschen Erfindungen: Waschmaschinen, Jet-Motoren, Raketen, Radare, Fernseher, Zahnpasta und Aspirin. Die neue Welt, in der wir leben, wurde mehr von Deutschland gemacht als von jeder anderen europäischen Nation: zusammen mit dem deutsch-amerikanischen Beitrag leben wir technologisch gesehen sowieso schon in Großdeutschland. Sicher können wir in keiner Hinsicht mit den Deutschen konkurrieren. Niemand in Europa kann das. Sie sind die besten.

Ohne Grenzen irgendeiner Form werden wir als ihre Leibeigene enden: als wir unser Pfund und unsere Zinssätze hatten, da hatten wir eine natürliche Verteidigung, eine Staumauer gegen die Überflutung aus Großdeutschland. Aber der Euro – die Großdeutschmark – hat diese Verteidigung zerstört. Das Ergebnis ist, dass wenigstens zwei zukünftige Generationen von Iren vor unbezahlbaren Schulden an die Großdeutschland Imperial Bank stehen, die unter dem arglistigen Namen “Europäische Zentralbank” ihre Geschäfte betreibt.

Warum nur, so fragte der Journalist, wirft sich Frankreich dem Löwen in den Rachen? - Die Antwort fand sich in Paris: Wahlkampfzeit. Nicolas Sarkozy, so stellte Le Monde etwas frustriert fest, sei sich des positiven Deutschenbildes der Franzosen bewusst. Und er glaube mit dem Verweis auf deutsche Geschichte den französischen Sozialisten am besten den Prozess machen zu können.

Er steht schlecht in den Umfragen, er ist unbeliebt bei den Franzosen. Also macht er Wahlkampf zu zweit. Angela und er; Frankreich und Deutschland. Gemeinsam ist man so viel stärker. Seit der Finanzkrise im Sommer, bei der die Eurozone fast kollabierte, ist Nicolas Sarkozys einziges Wahlkampfargument: Deutschland. Er macht die soziale Mehrwertsteuer, weil Deutschland sie gemacht hat. Er will den Pakt zur Wettbewerbsfähigkeit, genau so einen wie am östlichen Rheinufer. Das einzige Leitbild ist: Deutschland.

Das hat auch Uważam Rze in Warschau beobachtet. Die Zeitung ging noch mal den ganzen Weg des deutsch-französischen Paars: vom Motor zum Direktorium, und vom Direktorium zum Diktat.

Die letzte Phase der Krise hat nicht nur den Polen, sondern allen Europäern deutlich gemacht, wie dominant Deutschland auf dem Kontinent geworden ist. Wird Deutschland der europäische Hegemon? Wird es ein liberaler Hegemon sein? Wird Europa mit diesem dominanten deutschen Kern Gestalt annehmen? [...]

Eine gänzliche und langfristige Dominierung Europas durch Deutschland scheint schwierig und sollte nicht als gewährleistet angenommen werden. Aber Mitteleuropas und Polens Lage ist anders. Die Wirtschaft hängt hier stark von Deutschland ab. Kulturelle und politische Unterordnung ist offensichtlich.

Fazit, so der Standard aus Wien: Bitte nicht noch mehr solche gefährlichen Manöver, Angela Merkel.

Mit der Idee, Griechenland einen eigenen Haushaltskommissar mit allen Vollmachten vorzusetzen, hat Angela Merkel sich einen schweren Schnitzer geleistet; den ersten wirklich großen politischen Fehler seit Ausbruch der Probleme in der Eurozone. [Die Kritik an der Kanzlerin] war nicht immer gerecht. Denn Merkel ist es immerhin zu verdanken, dass in der Union trotz schwerer Konjunktur- und Schuldenkrisen vor allem in den südlichen Eurostaaten ein neues Bewusstsein in Bezug auf strengere Fiskalregeln im Euroraum eingetreten ist. [...] Dennoch: Wer die Stimmung beim jüngsten EU-Gipfel beobachtet hat, konnte feststellen, dass diese zwischen den Staatenvertretern so gereizt ist wie lange nicht.

in Zusammenarbeit mit Spiegel Online.

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