Es sollte – wenn schon im Schloss von Versailles – eine Krönung sein, doch im Endeffekt war es die "Schlappe von Versailles", wie [Libération](http://liberation.newspaperdirect.com/epaper/viewer.aspx) titelt. Zum ersten Mal seit der im Juli 2008 verabschiedeten Verfassungsreform, die dies überhaupt möglich machte, wandte sich der französische Präsident an die beiden Häuser des Parlaments, den Kongress. Eine Enttäuschung. Zunächst einmal, weil seine "klassische", um nicht zu sagen banale Ansprache mit dem überaus monarchischen Prunk des Ortes kontrastierte. "Selbst die Rechte verbarg ihre Enttäuschung nicht. Die unerwartete Ansprache war dann doch so... unüberraschend", heißt es in der linksgerichteten Tageszeitung.
Das gleiche bemerkt man auch außerhalb Frankreichs. "Revolutionäres ereignete sich im Königsschloss", schreibt [Der Standard](http://derstandard.at/fs/1245670010967/Sarkozy-kuendigt-Umbildung-der-Regierung-an). Der französische Präsident übte zwar erstmals sein neues Rederecht aus, doch der "Inhalt war weniger revolutionär. [...] Es stach einzig die Ankündigung hervor, dass der Präsident keine Steuern erhöhen will", stellt die Wiener Tageszeitung fest, die den „medialen Charakter" der Rede und die in diesem Hinblick sicher dienliche Anwesenheit von Carla Bruni-Sarkozy betont.
Aus Warschauer Sicht war die Ansprache von Nicolas Sarkozy keine Rede, sondern eine Show, die sein neues Programm fördern sollte. Und dieses Programm, so bedauert Andrzej Talaga in der Tageszeitung Dziennik, ist "eine Mischung aus Populismus, Sozialismus und Nationalismus". Indem er die entscheidenden Sektoren der französischen Industrie unterstützen will, bedroht der französische Präsident tragende Säulen Europas, nämlich den gemeinsamen Markt und den freien, unverfälschten Wettbewerb. "Sarkozy hat diese Grundsätze mit seinen erhöhten Absätzen in Grund und Boden gestampft", heißt es im Leitartikel.
Für die spanische El Mundo resümierte sich der Versailler Kongress vor allem im "monarchischen Delirium" des französischen Präsidenten. "Das Ereignis kostete eine Million Euro", bedenkt der Korrespondent der konservativen Tageszeitung und beanstandet, dass die Kongressversammlung so in den „Bombast“ verfallen ist.
"Sarkozy will Reformen weiter ausbauen, um die Krise zu überwinden", titelt [Le Figaro](http://www.lefigaro.fr/debats/2009/06/23/01005-20090623ARTFIG00368-de-l-audace-.php). Allen Kritiken zuwider verteidigt die regierungsnahe französische Tageszeitung den Präsidenten.
In seinem Leitartikel befürwortet Redaktionsleiter Etienne Mougeotte lautstark den von Sarkozy vorgeschlagenen Reformkatalog und lobpreist seine "unleugbar hohe Sichtweise", seine "Entschiedenheit" (bzgl. des Burka-Verbots), "seinen visionären Wagemut". Seiner Meinung nach schwangen in der Rede, die "fraglos einen frischen Wind brachte", sogar einige Nachklänge von Kennedys Rede über die Neue Grenze mit [die Politik der "New Frontier" sah unter anderem die Unterbrechung der kommunistischen Expansion in der Welt, eine wirtschaftliche Wiederbelebung, die Erkundung des Mondes durch den Menschen und die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen vor]. Sonst noch was?
Der Vortrag des französischen Präsidenten bleibt dennoch ein historisches Ereignis, findet die Süddeutsche Zeitung. Die linksliberale deutsche Tageszeitung beschreibt den "prunkvollen Auftritt" und erwähnt eine "einen hauch von Historie, etwas Neues. Es war nicht die Rede, die Präsident Sarkozy hielt, den [...] die Medien als Nicolas II. bespötteln. Eigentlich braucht Sarkozy dieses Forum nicht. Um seine Wähler zu erreichen, hat er alle Sendezeit, die er will für Interviews und TV-Ansprachen. Aber dieser Präsident will mehr als einfach nur gewählt werden. Er will seine Spur hinterlassen, will die Republik nach seinem Bilde verändern. Mit seinem Auftritt im Schloss des Sonnenkönigs hat Sarkozy [...] seine Rolle neu definiert. So wie ein amerikanischer Präsident sprach er zur Lage der Nation. Auf diese Weise erhofft sich Sarkozy, in die Reihe der großen Präsidenten aufzurücken", schließt die Zeitung.
Um seinem Stand als simpler Präsident bis in die Stratosphäre der Macht zu entsteigen, darf sich Nicolas Sarkozy nicht mit einer amerikanisch anmutenden Rede im Wohnsitz Ludwigs des XIV. begnügen, er will sich auch kul-ti-vie-ren, schreibt John Walsh in The Independent. "Der tiefe Kulturbanause und anti-intellektuelle Präsident", der etwas für "Hamburger, Ray-Ban-Brillen und Rolex-Uhren" übrig hatte, schüttelt lässig Céline-Zitate aus dem Ärmel und "bringt zum Mittagessen unter Mächtigen Werke von Zola mit". Vor nur drei Monaten zeigte die französische Intelligentsia, wie sehr sie den Literaturgeschmack des Präsidenten verabscheut, indem sie massiv ein Buch kaufte, das ihm nach eigenen Angaben in der Schule verhasst war (La Princesse de Clèves). "Das soll Carlas Einfluss sein", kommentiert Walsh und fragt sich, ob Sarkozy nicht Gefahr läuft, die Unterstützung der Arbeiterklasse und des Kleinhandels zu verlieren, die ihn doch gewählt haben. Er ist jedoch der Meinung, die Bekehrung des Präsidenten sei "ungeheuchelt, etwas durchaus Persönliches" und bedauert, dass "wir eine derartige Verwandlung bei Gordon Brown nicht in Betracht ziehen können".
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