Ein Jatropha-Feld in Dimbokro, Zentrum der Elfenbeinküste, 2008.

Biokraftstoffe machen nicht satt

Um die Standards für die Entwicklung von Biokraftstoffen zu erfüllen, streiten sich die Europäer um Millionen Hektar Land in Afrika. Dort wollen sie Pflanzen anbauen, die sie zur Herstellung der Treibstoffe benötigen. Jedoch auf Kosten der Nahrungspflanzen, beklagen regierungsunabhängige Organisationen.

Veröffentlicht am 15 März 2012 um 16:07
Ein Jatropha-Feld in Dimbokro, Zentrum der Elfenbeinküste, 2008.

Stellen Sie sich nur einmal vor, dass in der ganzen Schweiz, d. h. auf vier Millionen Hektar, Pflanzen wachsen, die Fahrzeuge und Kraftwerke betreiben sollen. So groß ist die Fläche, die gegenwärtig vom Westen in Afrika zur Herstellung von Agrotreibstoffen genutzt wird. Mit rekordverdächtigen 1,6 Millionen Hektar bepflanztem Ackerland haben die Briten die Nase vorn. Ihnen folgen Italiener, Deutsche, Franzosen und US-Amerikaner.

Sie alle setzten auf die Prognosen, die das Amsterdamer Kopernikus Institut [für Nachhaltige Entwicklung und Innovation] 2004 herausgab: Sollte sich der Biotreibstoff-Markt entwickeln, würde der Kontinent zum weltweit größten Produzent werden. Zumal er riesige urbare Flächen zu Niedrigpreisen bietet. Die 807 Millionen Hektar des unberührten afrikanischen Bodens sind fünfzehn Mal größer als die Fläche, die gebraucht wird, um den Bedarf an Biotreibstoffen für die kommenden 20 Jahre zu decken.

EU-Rechtsvorschriften haben dazu beigetragen, dass die Nachfrage nach Biokraftstoffen kontinuierlich gestiegen ist. Seit 2011 mussten die Tankstellen der EU-Mitgliedsstaaten den Anteil an kohlenstoffarmen Treibstoffen schrittweise erhöhen: Bioethanol für Benzin und Biodiesel für Dieselbrennstoff. Endziel ist es, bis 2020 zehn Prozent zu erreichen. Die neuen Standards zielen sowohl auf Treibhausgasemissionen als auch auf die Abhängigkeit vom Erdöl ab. Dieses soll durch Kraftstoffe ersetzt werden, die aus pflanzlichen Rohstoffen gewonnen werden.

Afrika, das neue Eldorado des “grünen Öls”

Allerdings gibt es in Europa nicht genügend Ackerland, um genügend Biokraftstoffe zu produzieren. Laut dem Institut für europäische Umweltpolitik in London[Institute for European Environmental Policy, IEEP] wird man dreimal so viel importieren müssen, um das ehrgeizige Ziel von zehn Prozent Biotreibstoffen zu erfüllen. Die momentanen Lieferungen aus Asien und Lateinamerika werden nicht mehr ausreichen. Afrika scheint das neue Eldorado des “grünen Öls” zu sein: Dieser Brennstoff wird vor allem aus einer in Zentralamerika heimischen Pflanze gewonnen, der Jatropha. Ihr Samen enthält ein Öl, mit dem Biodiesel hergestellt wird.

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Etwa 90 Projekte von 55 meist europäischen Unternehmen in über 20 afrikanischen Ländern nahmen wir unter die Lupe. Auf ungefähr 2,8 Millionen Hektar, d. h. mehr als zwei Dritteln der Gesamtfläche, wird die Jatropha angebaut. Vergessen darf man dabei nicht, dass der WWF noch vor vier Jahren glaubte, man würde erst 2015 die zwei-Millionen-Hektar-Marke erreichen... Die Jatropha-Kultur verbreitet sich aber vor allem so schwindelerregend schnell, weil Biodiesel in Zukunft 71 Prozent der in die EU importierten Treibstoffe ausmachen wird. Das ist auch eine Folge der fortschreitenden “Verdieselung” des Straßenverkehrs. Viele derjenigen, die in Afrika investieren, warten bereits darauf, dass ihr Jatropha-Öl zertifiziert wird, d. h. der EU-Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen entspricht.

66% Fläche für Biotreibstoff, 15% für Lebensmittelherstellung

Dabei ist die gesamte Hektarzahl nur die Spitze des Eisbergs. Sie berücksichtigt weder all die lokalen Projekte, noch die riesigen Landstriche, die andere Länder erworben haben: China, aber auch die beiden Giganten Brasilien und Malaysia. Auf dem Gebiet des Pflanzenanbaus für Biokraftstoffe stehen diese Länder ganz oben auf der Liste. Sobald die Erdölpreise gestiegen und Gebühren und Zollrechte auf lokale Agrarprodukte innerhalb der EU abgeschafft sind, werden diese Länder ihre dann hochgradig wettbewerbsfähigen Produkte auf den Alten Kontinent exportieren.

Darüber hinaus fördern zahlreiche afrikanische Regierungen die Expansion im Ausland. Zwölf von ihnen haben bereits die sogenannte “grüne OPEC”-Charta unterzeichnet. Eine Initiative, die sowohl die Produktion als auch die lokale Verwendung von Biokraftstoffen begünstigt, um den kostspieligen Erdöl-Import zu reduzieren. Es soll viel Geld gespart werden, das anschließend zur landwirtschaftlichen Konsolidierung und Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln verwendet werden soll. Allerdings droht das Projekt an einer ineffizienten staatlichen Politik zu scheitern.

Laut einem Berichtder globalen Allianz aus Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen, der International Land Coalition, werden 66 Prozent der in Afrika erworbenen Flächen zur Produktion von Biokraftstoffen genutzt. Nur 15 Prozent dienen der Lebensmittelherstellung. Aus diesem Bericht geht auch hervor, dass die Gesamtfläche der Agrarkulturen fast 19 Millionen Hektar umfasst. Auf der ganzen Welt wurden Nahrungspflanzen durch Energiepflanzen ersetzt. Aufgrund dessen sind die Lebensmittelpreise dramatisch angestiegen. Insbesondere während der Hungersnot 2008. Für die humanitären Organisationen war das Grund genug, um die Agroenergie schonungslos an den Pranger zu stellen.

DIe EU sollte lieber kleinere Projekte fördern

Auf der Seite der Investoren schwört man, dass die in Trockengebieten der Erde einfach zu kultivierende und für die Landwirtschaft ungeeignete Jatropha DIE Antwort auf die Kritik der Zivilgesellschaft darstellt. Allerdings zeigen Expertenberichte, Feldstudien und Untersuchungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations), dass Jatropha mehr Wasser braucht, als ursprünglich geplant. Nur dann kann der kommerzielle Produktionsbedarf gedeckt werden. Und das kostet oft ganze Wälder, was Zweifel an der Nachhaltigkeit aufkommen lässt.

Um ihren Ruf zu retten und die wirtschaftlichen Risiken zu begrenzen, interessieren sich viele Investoren für lokale Projekte. So warten sie auf bessere Zeiten für den Export. “Mit der Finanzkrise haben die meisten großflächigen Monokulturen der Jatropha sowohl ihre Attraktivität als auch ihre Sponsoren verloren”, meint Meghan Sapp, Generalsekretär des Netzwerks für Nachhaltigkeit der Partners for Euro-African Green Energy mit Firmensitz in Brüssel. Seiner Meinung nach “müsste die EU im Rahmen ihrer Afrika-EU Energiepartnerschaftvor allem kleinere Projekte fördern”. (j-h)

Biokraftstoff-Industrie

Haushalts- und Büroabfälle sind die Zukunft

Nach Angaben des Bloggers Damian Carrington vom Guardian, der von dem World Biofuels Market in Rotterdam (13. bis 15. März) berichtet, glauben die Branchenführer, dass “Haushalts- und Büroabfälle die meistversprechende Quelle für Biokraftstoffe im Jahr 2012” sein werden.

In einer Blitzumfrage über die zukünftigen Quellen für Biokraftstoffe der “nächsten Generation” (d.h. keine Nahrungsmittel wie Mais oder Zucker) “wurde städtischer Hausmüll von 26 Prozent genannt, gefolgt von 24 Prozent für nicht-essbare Nutzpflanzen wie Jatropha und Rutenhirse”. Algen erzielten – obwohl noch im Frühstadium der Entwicklung – 21 Prozent der Stimmen. Carrington fügt hinzu:

Zellulosestoffe wurden von 16 Prozent als meistversprechend betrachtet. Ich nehme an, nicht zuletzt von Christian Morgen, Geschäftsführer der weltweit größten Fabrik: Inbicon in Dänemark. Er erzählte mir, man speise Weizenstroh ein und die Anlage wirft Ethanol aus, das dann mit Benzin vermischt und heute in 100 Tankstellen vertrieben wird. Dazu gibt es Pellets, die statt Kohle in Kraftwerken eingesetzt werden, sowie Melasse, die durch anaerobe Faulung zu Gas verwandelt wird. Nicht schlecht für ein Material, das sonst als Pferdestreu dient.

Die Insider der Branche erwarten, dass die Biokraftstoffe bis 2030 rund 25 Prozent aller Kraftstoffe ausmachen werden. Carrington bemerkt dazu, dass die rekordhohen Ölpreise da “ein guter Grund für Optimismus” sind.

Emporschnellende Ölpreise könnten sehr wohl einen Boom der Biokraftstoffe auslösen, und dies ohne die Subventionen, die neue Technologien normalerweise zum Absprung brauchen.

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