Boost für die Informationsfreiheit und das Recht auf Information in Europa 

Die letzten Wochen waren für die Pressefreiheit in Europa zwar nicht rosig, aber doch positiv: Die Verabschiedung von zwei hart umkämpften Maßnahmen auf EU-Ebene wird in den kommenden Jahren neue Konturen annehmen. Das ist vor allem in einem eher trüben wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umfeld wichtig.

Veröffentlicht am 19 Dezember 2023 um 15:59

Als wir vor einigen Tagen am Esstisch saßen und über verschiedene Berufe sprachen, sagte meine Tochter im Teenageralter etwas missmutig: „Papa, du bist klug, du weißt viele Dinge …, aber du bist Journalist". Nach meiner ersten Überraschung und Verwirrung darüber, begann ich mit der üblichen Leier über die Bedeutung des Journalismus für die Demokratie und dafür, dass gut informierte Bürger verantwortungsvolle Entscheidungen treffen können, aber ich konnte sie nicht wirklich überzeugen.

Sie ist zwar noch jung und ihr gesellschaftliches Engagement steckt noch in den Kinderschuhen, aber ihre Bemerkung brachte mich zum Nachdenken über die Wahrnehmung von Journalismus und über das, was die Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwitschuk vor kurzem in einer Ansprache anlässlich der Verleihung des Reporter ohne Grenzen (ROG) Preises für Pressefreiheit gesagt hat: „Viele Menschen selbst in entwickelten Demokratien sind sich nicht bewusst, wie wichtig die Pressefreiheit ist.” Wir haben die ganze Rede auf Voxeurop übersetzt und veröffentlicht.

Der von Matwijtschuk angesprochene Trend wird durch die jüngsten Berichte von ROG bestätigt, in denen eine „Erosion" der Pressefreiheit in Europa beklagt wird, die hauptsächlich auf Gewalt und freiheitsfeindliche Maßnahmen gegen Journalisten zurückzuführen ist. Dabei gibt es große Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern. 

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Diese „Erosion” spiegelt sich in der Haltung einer polarisierten öffentlichen Meinung wider (wenn auch nicht so stark wie befürchtet, wie Caroline de Gruyter im EUobserver feststellt), von der ein Teil während der Covid-19-Pandemie eine beispiellose Feindseligkeit gegenüber Journalisten an den Tag legte. Die Medien, die von Populisten oft und gerne mit der verhassten Elite gleichgesetzt werden, gehören auch zu den beliebtesten Zielen von Autokraten. Investigativ tätige Journalisten werden systematisch eingeschüchtert. Eine Strategie, die im Medienjargon als SLAPP bezeichnet wird, wie die Juristen Francesca Carrington und Justin Borg-Barthet in The Conversation erläutern.

Als letzte der internationalen Institutionen und im Gefolge des Europarats (zu dessen Aufgaben die Pressefreiheit gehört) hat sich die EU seit mehreren Jahren für die Verteidigung der Pressefreiheit engagiert. Sie tut dies durch Programme zur finanziellen Unterstützung von Medienprojekten (wie das European Data Journalism Network, dem Voxeurop angehört) und zur Regulierung des Sektors. Sie hat einen Vorschlag für eine Richtlinie gegen SLAPPs vorgelegt und kürzlich den Media Freedom Act (MFA) verabschiedet, der die inhaltliche Unabhängigkeit von Redaktionen stärken, politische und wirtschaftliche Einmischung verhindern und die Risiken der Medienkonzentration begrenzen soll.


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Beide Maßnahmen haben zwar den Vorteil, dass sie Journalisten und der Pressefreiheit mehr Schutz bieten, leiden aber auch unter fehlenden Kompromissen, wie es oft der Fall ist, wenn solche Entscheidungen aus langen Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten hervorgehen. So sei die Version der Anti-SLAPP-Richtlinie, die Ende November 2023 verabschiedet wurde, laut mehreren europäischen Journalistenorganisationen „erheblich verwässert" und „verfehle das ursprüngliche Ziel, also den Schutz von Journalisten und das Recht auf Information in der EU"

Was den Media Freedom Act betrifft, so schlossen sich die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament am 15. Dezember einer Einigung über den endgültigen Text an. Der von Reporter ohne Grenzen (ROG) als „"vielversprechend" bezeichnete Entwurf ist das Ergebnis eines langen Tauziehens, bei dem die Organisationen zur Verteidigung der Pressefreiheit eine wesentliche Rolle spielten, da die Regierungen nur widerwillig auf ihre Vorrechte verzichten wollten. Die Enthüllungen von Disclose, Investigate Europe und Follow the Money über die Bereitschaft mehrerer Länder, darunter Frankreich, Ungarn, Italien, Finnland, Griechenland, Zypern, Malta und Schweden, den MFA zu "torpedieren", indem sie "aktiv dafür eintreten, die Überwachung von Journalisten im Namen der 'nationalen Sicherheit' zuzulassen", sind wahrscheinlich nicht ganz unbeteiligt an dieser Entwicklung. Ein Grund mehr, um an die Rolle des investigativen Journalismus zu erinnern!


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