Der Balkan und die Krise
Pendant les manifestations de Sarajevo, en février 2014.

Bosnien in der Sackgasse

Veröffentlicht am 1 April 2015 um 05:13
Luca Bonacini  | Pendant les manifestations de Sarajevo, en février 2014.

“Vor einem Jahr wurde Bosnien von einer Protestwelle überrollt […], ausgelöst von Armut und Arbeitslosigkeit”, berichtet Buka, ein Magazin aus Banja Luka im serbischen Teil der bosnischen Republik. Von Tuzla ausgehend “haben sich die Demonstrationen schnell auf den Rest des Landes ausgebreitet”. Rathäuser und Ministerien sind angezündet worden, weil die Bürger den Stillstand, die Korruption und die wirtschaftliche Flaute satt haben, unter der das Land leidet. Wie Buka berichtet, teilt sich Bosnien mit Albanien laut Eurostat den wenig beneidenswerten Titel des ärmsten Landes in Europa: “Die Kaufkraft beträgt nur ein Drittel des europäischen Durchschnitts, nur die Hälfte der Menschen im arbeitsfähigen Alter ist erwerbstätig und ein Drittel ist arbeitslos”.

Die Regierung, so das Magazin weiter,

hat weder auf nationaler noch auf lokaler Ebene eine Strategie für die Entwicklung des Landes, die über die Einhaltung des von der EU vorgeschriebenen Wachstums- und Beschäftigungspaktes hinausgeht. Und selbst dieser hat nicht die gewünschten Ergebnisse innerhalb der Union gebracht. Bosnien sitzt daher zwischen den Stühlen und erlebt einen ähnlichen Konflikt wie den zwischen den Nord- und Südländern Europas: an die Vorgaben der Sparpolitik gebunden und gleichzeitig zu verschuldet, um an den Finanzmärkten Kredite aufnehmen zu können. Die Bürgerkomitees, die die Proteste von 2014 organisiert hatten, sind entweder ganz verschwunden oder wurden von „institutionellen“ Bewegungen geschluckt.

Angesichts dieser Lage stecken die populistischen konservativen Parteien, die heute sowohl in der kroatisch-muslimischen Föderation als auch im serbischen Teil an der Macht sind, in einer Sackgasse, urteilt Buka, denn

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das einzige Mittel, um sozialen Frieden zu erreichen, ist die Aufnahme weiterer Kredite zu horrenden Preisen bei den internationalen Geldgebern – ein Teufelskreis, der schnell unerträglich werden würde. Das führt zu der Angst, dass es bald zu weiteren Protesten kommen könnte, ähnlich denen von Februar 2014. Und die Regierung wird keine Wahl haben: Aufgrund der sinkenden Einnahmen wird sie die Staatsausgaben weiter beschneiden müssen. […] Am Ende könnten sich die Proteste, an denen bisher Arbeiter und Kleinunternehmer teilgenommen haben, ausweiten und zu einer ernsthaften Bedrohung werden. [[Konservative Intellektuelle schätzen, dass Bosnien-Herzegowina nur durch radikale Reformen gerettet werden kann]], wie z.B. durch einen Machttransfer vom Staat hin zu privaten Unternehmen, die mithilfe der Liberalisierung der Wirtschaft das Wachstum ankurbeln könnten. Aber dieser Plan erfordert Zeit und Bosnien kann es sich nicht leisten zu warten.

Zu dieser wirtschaftlich schwierigen Situation ist nun noch ein weiterer destabilisierender Faktor hinzugekommen, der gleichermaßen unvorhergesehen wie beunruhigend ist: das Auftauchen der Gruppe Islamischer Staat (IS), wie es der Reporter von La Stampa aus Gornja Maoča berichtet. Von seinem serbischen Bevölkerungsteil während des Krieges „gereinigt“, ist dieses Dorf im Osten Bosniens zu einer Hochburg des Salafismus geworden. Die Mujaheddin, die sich dort nach dem Krieg niedergelassen haben, wenden die Scharia an. Vor kurzem waren sogar die Fahnen des Islamischen Staates an Balkonen und Fenstern zu sehen, bevor die Polizei sie schließlich entfernt hat.

Gornja Maoča gilt auf dem Balkan als “Basis” für Moslems, die sich dem Islamischen Staat anschließen wollen, erklärt die Zeitung Le Temps. Nach offiziellen Schätzungen, auf die sich La Stampa beruft,

sind bisher 130 Bosnier nach Syrien und in den Irak gereist, um an der Seite des Islamischen Staates zu kämpfen, und mindestens 30 sind ums Leben gekommen. Dabei handelt es sich aber um optimistische Zahlen, um keine Panik auszulösen.

Für Le Temps, „ist Bosnien ein Missionsgebiet“ für die Anwerber des Djihad geworden. Während des Krieges

war dieses Land eines der wichtigsten Ziele des neuen „globalisierten“ Djihad, der sich nach dem Afghanistan-Krieg verbreitet hat, aber der Islamismus konnte dort keine Wurzeln schlagen – die Tradition der Toleranz im Islam des Balkan habe wie ein Antikörper gewirkt. Die islamische Gemeinschaft von Bosnien-Herzegowina ist nach wie vor eine respektierte Institution. […] Allerdings hält das „Sicherheitsnetz“ dieser Tradition speziell des „europäischen Islams“ nicht länger stand. Die Herausforderung ist riesig, denn die islamischen Gemeinschaften auf dem Balkan haben eine strategisch wichtige Position, da sie als Zwischenstopp auf dem Weg in den Nahen Osten dienen und Verbindungen zu einer Diaspora aufrechterhalten, die sich über ganz Europa ausbreitet.

Der Aufruf zum Djihad ist eine direkte Folge der wirtschaftlichen Situation, betont ein Verantwortlicher einer lokalen NGO gegenüber der Genfer Tageszeitung: “Bei der dauerhaften Arbeitslosigkeit, von der die Region betroffen ist, ist der Islam oft der einzige Ausweg aus dem sozialen Elend”.

Deutsche Übersetzung von Laura Schillings, DVÜD.

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