Cameron und Merkel, die Turteltäubchen

Wie ein privater Besuch des britischen Premierministers mit seiner Familie bei der deutschen Kanzlerin zeigt, unterstützen immer mehr Deutsche seine taffe Haltung gegenüber der EU. Im Vorfeld der Bundestagswahlen scheint die Kanzlerin durchaus versucht, sich eher den britischen Ideen zum offenen Markt statt denen des protektionistischen Frankreichs anzuschließen.

Veröffentlicht am 15 April 2013 um 16:01

Angela und David – ihre Romanze ist sicher eine der auffälligsten in der neueren politischen Geschichte. Vor sieben Jahren lagen sie im Streit, denn der neu gewählte Parteichef der Torys hatte seine EU-Abgeordneten angewiesen, die Europäische Volkspartei – in der alle rechtslastigen Konservativen und auch Merkels Christdemokraten gruppiert waren – zu verlassen und sich einer neuen Mitte-Rechts-Fraktion anzuschließen, die Cameron selbst gegründet hatte.

Wenn Sie sie jetzt sehen könnten... Am Wochenende feierten sie gemeinsam den Einzug des Frühlings, obendrein waren auch Samantha, Joachim und die Cameron-Kinder dabei. Welch ein Wandel! Nie zuvor hatte der Premier seine ganze Familie auf eine Auslandsreise mit so viel politischer Substanz mitgenommen, noch hatte Merkel irgendeinem anderen Gast, sei er Deutscher oder Ausländer, im Gästehaus der deutschen Bundesregierung Schloss Meseberg, [wo Cameron und Merkel das Wochenende verbrachten], soviel Verbundenheit entgegengebracht.

Die Kluft wird schmaler

Nun, es mag ein Axiom der politischen Philosophie sein, dass Nationen keine Freunde haben, sondern nur Interessen. Doch in unseren krisenbelasteten Zeiten ist es sicher hilfreich, wenn die Protagonisten das Networking durch freundschaftliche Beziehungen abrunden und dadurch gemeinsame Ziele vertiefen können.

Schlagzeilenautoren übersehen gerne, was die Menschen verbindet. Sie konzentrieren sich lieber auf die dramatische Feindseligkeit und Entzweiung der einen oder anderen Art. So war es nach Camerons EU-Rede im Januar, in welcher er dazu aufrief, die Macht solle wieder auf die nationale Ebene zurückgeführt werden. Doch es wurde nur wenig darauf geachtet, was die Bundeskanzlerin in derselben Woche in Davos mitteilte. Auch Frau Merkel sprach davon, dass sich die EU für Reformen engagieren müsse, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die tiefe Entfremdung umzukehren, die die Europäer gegenüber der „Union“ verspüren – der größten Fehlbenennung, die man sich nur vorstellen kann.

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In solchen Fragen sind sich Cameron und Merkel einig. Sogar zum leidigen Thema der „Kompetenzen“, die London aus Brüssel zurückführen will, wird die Kluft zwischen den beiden Regierungschefs immer schmaler. Das Beschimpfungskonzert, das Camerons Rede begrüßte, ist in Deutschland zu einem Zweifel ausdrückenden Gemurmel geworden, bei welchem die Behauptungen über die britische Isolation innerhalb Europas fehl am Platz wirken.

Eine Änderung der EU-Verträge bleibt offen

Michael Meister, der stellvertretende Vorsitzende von Merkels regierender Partei, wurde Ende letzter Woche gefragt, was die deutsche Regierung von Camerons viel geschmähter „review of competences“ [der Analyse der einzelnen EU-Kompetenzen] halte – deren Resultat das „In-out“-Referendum entscheiden soll, das der Premierminister 2017 abzuhalten verspricht.

„Wir brauchen Kompromisse“, gestand der Meister-Singer offen ein. „Wir sind offen für Argumente.“ Bezeichnenderweise gab er zu, dass über die Ideen des Premiers „intensiv diskutiert wird“. Genau darum ging es bei dem Treffen in Meseberg.

Ob eine Abänderung der existierenden EU-Verträge nötig ist, kann man noch lange nicht sagen. Merkel und andere sind jedenfalls strikt dagegen. Dadurch, dass Cameron Tacheles redet, ist heute die Dringlichkeit wichtiger, das seit langem identifizierte „Demokratie-Defizit“ anzugehen, welches des europäische Projekt zu zerstören riskiert. Das Ansetzen von Fristen ist dabei ebenfalls nützlich, selbst wenn David Cameron bis 2017 politisch womöglich tot ist.

Eine geheime Armee von Cameron-Anhängern

Frau Merkel hat gewiss nicht den Wunsch, dass der neue britische Freund in ihre europäische Todesfalle geht. Dass die Chemie zwischen ihnen immer besser stimmt, ist auch Merkels strategischer Überzeugung zu verdanken, man würde die Logik und die praktische Vernunft auf den Kopf stellen, wenn die EU Großbritannien verlöre und dafür Kroatien, Bulgarien oder Rumänien bekäme.

Doch es gibt auch inländische Gründe für ihr Kalkül: Will sie ihre aktuelle Beliebtheit bis zu den Bundestagswahlen im September aufrechterhalten, so ist es politisch sinnvoll, sich statt den etatistischeren Franzosen und ihren protektionistischen Instinkten lieber David Cameron und seinen Ideen über offene Märkte und demokratische Verantwortlichkeit anzunähern.

Es gibt in Deutschland eine geheime Armee von Cameron-Anhängern. Sie befürworten seine sachliche Ansatzweise gegenüber der EU, die die heimischen Politiker sich nur selten anzuwenden trauen. Die Verdrossenheit über die Last, die dem deutschen Steuerzahler infolge der Rettungsmaßnahmen für die um ihre Existenz ringenden Länder der Eurozone aufgebürdet wurde, führte zu etlichen aufrührerischen politischen Spaltungen. Merkel hat nicht die Absicht, weitere Verbitterung anzufachen, indem sie einen Streit mit einem Premierminister vom Zaun bricht, der in Deutschland beliebter ist als man es beim Lesen der Schlagzeilen glauben möchte.

Ein Anführer nach Merkels Geschmack

Erst vor kurzem wurden die Deutschen daran erinnert, wie ein allmächtiger Kanzler, Helmut Kohl, sie unter Druck gesetzt hatte, bis sie dem Euro zustimmten. „Ich handelte wie ein Diktator“, gab Kohl 2002 zynisch in einem Interview zu, das erst letzte Woche veröffentlicht wurde. Gegner, die er in den späten 1990er Jahren praktisch „Staatsfeinde“ schimpfte, bildeten nun eine neue Partei, die Alternative für Deutschland, und wollen mit einer verspäteten Diskussion darüber durchstarten, welche Bedeutung eine Rückkehr zur D-Mark für Deutschlands Zukunft haben könnte.

Die neue Partei muss in jedem der 16 deutschen Bundesländer mindestens 2000 Unterschriften verbuchen, damit sie bei den Bundeswahlen aufgestellt werden kann. Rund 25 Prozent der Wähler, so eine jüngste Umfrage, erklärten, sie würden vielleicht im September für die Alternative stimmen. Doch nur 5000 haben bis jetzt unterschrieben.

Es ist „die Furcht vor etwas nach dem Tod – das unentdeckte Land, von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt“ –, die den Willen von Deutschlands skeptischen Wählern „irrt“, während sie über das Leben nach dem Untergang des Euro nachsinnen. Zugleich bringen sie den Politikern tiefsten Misstrauen entgegen und erinnern sich daran, wie Kohl sie dazu nötigte, die D-Mark aufzugeben.

Im Gegensatz dazu ist David Cameron mit seiner direkten, offenen Art ein Anführer ganz nach dem Geschmack Angela Merkels und der Deutschen. Möge ihre Romanze „Pfeil’ und Schleudern wütender“ Zeiten widerstehen.

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