Wenn das Lächeln gefriert. Nicolas Sarkozy, Silvio Berlusconi und Angela Merkel.

Rom, der ideale Sündenbock

Auf dem jüngsten EU-Gipfel übten sich Deutschland und Frankreich in der Schelte ihrer Partner, vor allem Italiens. Die Presse reagiert pikiert. Kritik an der Berlusconi-Regierung sei sicher gerechtfertigt. Aber das heutige Ausmaß der Krise ist auch auf das zögerliche Handeln in Berlin und Paris zurückzuführen, schreibt der Corriere della Sera.

Veröffentlicht am 24 Oktober 2011 um 15:12
Wenn das Lächeln gefriert. Nicolas Sarkozy, Silvio Berlusconi und Angela Merkel.

Für einen Italiener war es gestern nicht schön, der gemeinsamen Pressekonferenz Merkels und Sarkozys beizuwohnen. Denn während des gesamten Zusammentreffens der deutschen Kanzlerin und des französischen Präsidenten mit den internationalen Medien war unser [d. i. Italiens] Regierungschef, der uns, ob es uns nun gefällt oder nicht, gegenüber dem Ausland vertritt, Gegenstand des Spottes: Säumig bezüglich der nationalen Maßnahmen gegen die Schuldenkrise, hieß es, stillschweigend wurde er auf das Niveau Griechenlands reduziert (Sarkozy nannte Irland, Portugal und Spanien separat) und kaum als Gesprächspartner akzeptiert (nur Merkel bezeichnete ihn diesbezüglich als vertrauenswürdig).

Bedenkt man, dass im EU-Ratsgebäude üblicherweise eine eher diplomatischere Sprache und ein gemäßigterer Umgangston herrschen, wird schnell klar, warum es Frankreich und Deutschland (beide gewiss entscheidend, um die Euro-Katastrophe irgendwie zu meistern) gelungen ist, einen Großteil ihrer EU-Partnerländer zu verstimmen.

Die Regierung Berlusconi ist säumig

Doch vielleicht muss man sich bei aller Übertreibung Merkels und Sarkozys fragen, ob und in welchem Maße sie Recht hatten. Die Regierung Berlusconi ist tatsächlich säumig und hat kein Paket mit Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung (“decreto sviluppo”), das sie längst hätte verabschieden sollen, nach Brüssel gebracht. Dadurch gefährdet Berlusconi das gesamte Sparpaket, das am Mittwoch verabschiedet wird. Und auch alle Warnungen an Rom haben bislang nichts genützt - gestern wies Sarkozy abermals auf die strengeren Bedingungen hin: Wer seine Hausaufgaben nicht macht, erhält auch keine Hilfen aus dem Euro-Rettungsfonds.

Die unbändige und hartnäckig zur Schau gestellte Irritation Frankreichs und Deutschlands ist also nicht ganz unbegründet, angeblich teilen sie zahlreiche weitere EU-Mitglieder, wenn auch nicht in gleichem Maße. Dabei handelt es sich natürlich um den gravierendsten Umstand, dem die italienische Regierung, wenn auch verspätet, möglichst ihre Aufmerksamkeit widmen sollte.

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Die letzte Chance für die gesamte Eurozone wartet am 26. Oktober. Und durch diese Beschleunigung ist bestimmt auch das offensichtliche Paradoxon zu erklären, das die Arbeiten vom 23. Oktober begleitete: Nie hatte man sich bei einem Gipfel, der eher schlecht verlaufen war, so optimistisch gegeben.

Die Frist ist um

Nicht so schlecht, dass der Kampf um den Euro in einen Bruderkrieg ausgeartet wäre und am Mittwoch nicht die notwendige Einigung erzielt würde, doch insofern schlecht genug, als politisch extrem viel auf dem Spiel steht und Merkel und Sarkozy gezwungen sind, eine Einigung zu erzielen, um einen Ausweg aus der Krise zu finden und sich so selbst vor Schande zu bewahren. Waren es doch sie, die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident, die den so dringenden Marathon an Meetings und vertraulichen Verhandlungen beschlossen hatten.

Daher sind es auch sie, die nun in diesem schicksalhaften Moment (gerne) ein gemeinsames politisches Interesse wahren müssen: Sie dürfen nicht scheitern, dürfen den Euro und Europa nicht in den Ruin stürzen, müssen dafür sorgen, dass die Verantwortung, die sie als “Motor” der EU wahrgenommen haben, nicht zum Bumerang für sie wird. Nicht umsonst betrachteten Merkel und Sarkozy bei allen Seitenhieben auf Berlusconi die Erreichung gemeinsamer, ehrgeiziger und dauerhafter Einigungen als sicher, die dann Anfang November beim G-20-Gipfel in Cannes zu diskutieren sein werden.

Angesichts der jeweiligen internen Fronten und im allgemeinen Interesse der Eurozone ist es für Angela Merkel und Nicolas Sarkozy jedenfalls nicht ungünstig, dass nun die Frist um ist, und sie mit dem Rücken zur Wand stehen - am Rande jenes Abgrunds, dessen Europa schon so oft gewahr werden musste, um sich aufzuraffen und von ihm zu entfernen.

Vorsicht vor Merkels geplanter Fiskalunion

Es stellt sich natürlich die Frage, wie effizient die Lösungsansätze sind, die man in Frankreich und Deutschland zur Verbesserung der “Krisentauglichkeit” des EFSF-Rettungsfonds entwickelt. Die Banken werden nicht glücklich sein, dass sich trotz Rekapitalisierung ihre Verluste bei den Griechen-Bonds erhöhen werden. Es wird zu überprüfen sein – und hier denkt man erneut an Italien – ob das Sparpaket wirklich das nötige Vertrauen erhält, um das gewünschte Resultat zu bringen.

Unabhängig vom Ausgang der Krise steht jedenfalls fest, dass die Reaktion, auch jene Frankreichs und Deutschlands (besonders Deutschlands!) zu spät kam, was wieder einmal beweist, dass es in Europa an politischen Kräften mit Führungs- und Überzeugungsqualitäten fehlt. Trotzdem wird am Dienstag eine Etappe begonnen, nicht abgeschlossen. Beim G-20, darin waren sich Merkel und Sarkozy einig, soll die Finanztransaktionssteuer beschlossen werden. Und in Europa an einer neuen gemeinsamen Governance gearbeitet werden.

Doch Vorsicht ist geboten, denn Merkels geplante Fiskalunion ist ein System, das die Finanzen jedes einzelnen Mitgliedsstaates der Eurozone kontrolliert und ein noch hypothetisches Organ in Brüssel damit betraut, bei jeder geringsten Verletzung der vereinbarten Bedingungen automatisch Sanktionen zu verhängen. Eine Änderung der Verträge wird nicht einfach sein, doch Italien ist gewappnet.

Aus dem Italienischen von Salka Klos

Polemik

Kleinkrieg zwischen Sarkozy und Cameron

Anlässlich des Gipfeltreffens am 23. Oktober kamen auch unterschwellige Spannungen zwischen den 27 Mitgliedstaaten ans Tageslicht. So lautete die Schlagzeile des Guardian “Sarkozy sagte zu Cameron: Der Euro geht dich nichts an”. Die britische Tageszeitung meinte damit “den heftigen Wortstreit” zwischen dem französischen Präsidenten und dem britischen Premierminister bei der EU-Ratssitzung, als Sarkozy “seinem Ärger über die Kritik und die Morallektionen der britischen Minister” Luft machte. “Sie haben eine gute Gelegenheit zum Schweigen verpasst. Wir haben die Nase voll von Ihren Kritiken und davon, dass Sie uns sagen, was wir zu tun haben. Ihren eigenen Aussagen zufolge hassen Sie den Euro, und jetzt wollen Sie sich in unsere Versammlungen einmischen.”

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