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Wir brauchen ein Referendum über Europas Zukunft

Die politische Konstruktion Europas, wie sie bis jetzt von den Eliten und ihren „wohlwollenden paternalistischen Reflexe“ regiert wird, hat ihre Grenzen erreicht. Der nächste Schritt hin zu einer politischen Union, kommt nicht ohne eine direkte Mitbestimmung ihrer Bürger aus, meint der Herausgeber von Limes der italienischen Zeitschrift für Geopolitik

Veröffentlicht am 17 Oktober 2012 um 15:45

Zwischen „Weniger Interdependenz“ oder „mehr Integration“ neigt sich derzeit die Waage zugunsten der ersten Lösung. Wird das immer so blieben? Nein, sicher nicht.

Auch wenn es keine Garantie für die Vereinigten Staaten von Europa gibt, so steht auch nirgendwo geschrieben, dass der innereuropäische Konflikt, der von der Eurokrise ausgelöst wurde, zum Zusammenbruch der EU oder, noch schlimmer, zu einer kriegerischen Auseinandersetzung führen wird.

Die Dringlichkeit der Probleme erfordert eine Analyse mit kühlem Kopf. Wir müssen Vorurteile und tröstliche Visionen aufgegeben und brauchen mehr Fantasie, nicht um die Gegenwart zu verzerren, sondern um uns die Zukunft vorzustellen. Vor allem muss jegliches Projekt für Europa öffentlich diskutiert werden und zu einem Konsens der betroffenen Europäer führen.

Kein Europa ohne die Europäer

Es ist nicht mehr möglich, Europa ohne die Europäer zu machen. Die Europäer müssen selbst wählen, ob und eventuell wie sie ihr Europa gestalten wollen. Es geht um einen souveränen geopolitischen Staat. Einen demokratischen europäischen Staat mit Grenzen und Institutionen, die es noch zu definieren gilt.

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Konkret geht es darum, die Logik der europäischen Abkommen zu überwinden. Bislang haben immer die Mitgliedsstaaten bestimmt, was die Europäische Union sein soll und vor allem, was sie nicht sein soll.

So fördern sie ein doppelten Verlust demokratischer Legitimität: auf nationaler Ebene, wo die parlamentarische Funktionen nur mehr historisch sind, wird die Legitimierung der Regierung immer prekärer und die politischen Parteien sind nur mehr der Schatten ihrer selbst.

Auf Unionsebene steht eine diskreditierte Kommission, die so tut, als ob sie die exekutive Gewalt wäre und dabei auch die Lächerlichkeit nicht scheut, neben einem Parlament, das auf der Grundlage von Listen und nationalen Interessen gewählt wird und dessen Macht kaum damit zu vergleichen ist, was Legislative in der westlichen politischen Tradition bedeutet.

Von einer solchen Konfiguration profitieren antidemokratische oder offen rassistische Bewegungen, die Europa als Schreckensbild nutzen, um neue Wähler anzuwerben und politischen Gewinn zu erzielen.

Das europäische Ideal, das auf dem Schlachtfeld der Weltkriege entstand, sollte den Frieden garantieren, den Fortschritt fördern und die Freiheit gewährleisten. Es hat jedoch das Gegenteil hervorgebracht. Das heutige Europa untergräbt die Werte und devalorisiert die Leitbilder, die es schützen wollte.

Zur Überbrückung des Abgrunds zwischen Interdependenz und Integration gibt es sehr unterschiedliche Rezepte. Wenn sie funktionieren sollen, müssen die Bürger allerdings mit ihnen einverstanden sein.

Zeit für eine neue Frage nach Europas Einheit

Jetzt ist es an der Zeit, die Europäer zu befragen, ob sie ihre Staaten vereinen wollen. Im Rahmen eines Referendums. Nicht in einer nationalen Volksbefragung, in der die Bürger dieses oder jenes Staats sich für oder gegen ein Abkommen aussprechen, das unlesbar ist und daher auch nicht gelesen wird.

Sondern in einem Referendum, das in den 27 (und ab nächstem Jahr 28) Staaten der Union, gleichzeitig und nach denselben Regeln im gesamten EU-Raum abgehalten wird und die Königsfrage stellt: „Wollen Sie einen europäischen Staat, der aus allen Mitgliedsländern der Europäischen Union oder nur aus einigen davon (bitte angeben, welche) besteht?“

Auch wenn es sich hierbei nur um eine Konsultation handelt, würde der Chor aus Millionen von europäischen Stimmen die Entscheidungen der nationalen Politiker wesentlich beeinflussen.

Wie auch immer das Referendum ausgeht, wir würden endlich wissen, wie europäisch die Europäer sind. Wir hätten die Sicherheit, die die Verfechter des Europagedankens bislang wie die Pest vermieden haben.

Denn sollte es uns eines Tage gelingen, Europa oder einen Teil davon wirklich zu vereinigen und in einen demokratischen Akteur auf globaler Ebene zu verwandeln, dann wohl nur auf der Asche des Europagedankens, der wohlwollenden paternalistischen Reflexe und der stark elitären und undemokratischen Kultur Brüssels, der wir die Tatsache verdanken, dass wir 55 Jahre nach den Römer Verträgen nicht nur kein vereinigtes Europa haben, sondern auch noch die tierischen Regungen der Völker entfesseln und deren aufgeklärten und demokratischen Wurzeln ausreißen.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Kapitel „L’Europa agli europei“ der Studie Nomos und Khaos 2012 des italienischen Forschungsinstituts Nomisma

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