Opinion, ideas, initiatives Europa und die Flüchtlingskrise
Rettungswesten, zurückgelassen von Migranten, auf der Griechischen Insel Lesbos, im Oktober 2015.

Ein Sturm braut sich zusammen

Während immer weitere Migranten vom Meer her ins Land strömen, muss Griechenland einerseits seinen Verpflichtungen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise nachkommen und andererseits die Forderungen seiner Gläubiger erfüllen. Wird das Land das schaffen?

Veröffentlicht am 17 Februar 2016 um 11:26
Yannis Behrakis/Reuters  | Rettungswesten, zurückgelassen von Migranten, auf der Griechischen Insel Lesbos, im Oktober 2015.

A perfect storm seems to be building up over Europe and Greece, as the uncontrollable influx of refugees and migrants is giving rise to the kind of scenarios that only crazy analysts could imagine.

Let’s assume that the Schengen agreement is temporarily suspended and that Europe decides that its real borders are no longer in Greece. The inflow will not stop. Those familiar with the issue are predicting that in such a case up to 500,000 people could find themselves stranded on Greek soil, unable to cross over to Bulgaria and the Former Yugoslav Republic of Macedonia.

Über Europa und Griechenland scheint sich ein riesiger Sturm zusammenzubrauen, denn der unkontrollierbare Zustrom der Flüchtlinge und Migranten führt zu Szenarien, die sich nur verrückte Analysten ausdenken könnten.

Nehmen wir an, das Schengen-Abkommen würde eine Zeit lang ausgesetzt und Europa beschlösse, dass seine Grenzen nicht mehr in Griechenland lägen: der Zustrom würde nicht aufhören. Wer mit dem Problem vertraut ist, sagt voraus, dass in diesem Fall bis zu 500.000 Menschen auf griechischem Boden stranden könnten – ohne die Möglichkeit, nach Bulgarien und in die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien einzureisen.

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Keine griechische Regierung wäre in der Lage, eine solche Situation zu handhaben, und so ließe es sich nicht vermeiden, dass Tausende Flüchtlinge und Migranten die Nordgrenze des Landes erreichen. Ganz gleich, wie gut die Verwaltung der Situation organisiert ist: kein Europäer könnte es aushalten, live auf BBC oder CNN zuzusehen, wie Tausende von Flüchtlingen stundenlang gegen Zäune drücken.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere führende Politiker sind sich dessen vollkommen bewusst. Dennoch stehen sie selbst einer wachsenden öffentliche Frustration gegenüber und sehen, dass die politische Situation sich sehr schnell entwickeln kann. Griechenland scheint ein bequemer Sündenbock zu sein.

Aber natürlich steht das Land sich auch selbst im Weg. Statt einen einsamen Missionar durch Europa streifen zu lassen, der Griechenlands Sache in der Flüchtlingskrise vertritt, hätte man ihn mit einem festen Rahmenkonzept ausstatten sollen – mit den besten Ressourcen des Landes in Sachen Organisation, Sicherheit und Migration zu seiner Verfügung. Personen, die in der Lage sind, ihre Arbeit gut zu machen, gibt es in Griechenland durchaus – das wird jedes Mal offensichtlich, wenn eine Interimsregierung die Geschäfte übernimmt und die Parteien sich um sich selbst statt um den Staat kümmern.

Wir in Athen leben stattdessen in unserer eigenen kleinen Blase. Wir haben den Sturm noch nicht bemerkt, den Berlin, Brüssel und der Rest Europas immer stärker zu spüren bekommen. Niemand ist dort in der Stimmung oder hat die Zeit und die Geduld, sich mit uns zu befassen. Aber wir interessieren uns nur dafür, Rentenkürzungen zu verhindern, und abgesehen vom IWF sind unsere anderen Gläubiger der Meinung, dass dies nur mit einem neuen Kredit oder einem Schuldenschnitt möglich ist. Die Atmosphäre in den Entscheidungszentren lässt solche Entscheidungen aber nicht zu.

So ist Griechenland in Gefahr, wegen der Flüchtlingskrise einerseits und neuen Androhungen eines Grexit andererseits vom Rest Europas isoliert zu werden, wenn die laufende Prüfung nicht abgeschlossen wird. Die Sirenen des antieuropäischen griechischen Populismus werden wieder einmal versuchen, die Gesellschaft und Premierminister Alexis Tsipras zu verführen.

Es könnte sehr verlockend sein, diesen Weg zu gehen, selbst wenn er für ihn und den Rest des Landes verheerend wäre. Weiter nördlich hingegen werden die Sirenengesänge der anti-griechischen populistischen Stimmung ebenfalls attraktiver. All das ist schon einmal dagewesen: Wenn die Sirenen im Norden und im Süden gleichzeitig singen und keine starke politische Führung in Sicht ist, lässt der Sturm nicht lange auf sich warten.

Aus dem Englischen von Heike Kurtz

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