Athen, Juni 2010. Bei einer Demonstration gegen die Sparpolitik der Regierung.

Der Jugend eine Chance geben

Trotz der leichteren Bedingungen für das Hilfspaket, sehen die Griechen mit wachsender Skepsis in die Zukunft. Sie trauen ihrer Regierung das Meistern der Krise nicht zu. Dabei besitzt das Land einen unschätzbaren Reichtum: seine Jugend, die derzeit der Krise geopfert wird.

Veröffentlicht am 15 März 2011 um 15:59
Athen, Juni 2010. Bei einer Demonstration gegen die Sparpolitik der Regierung.

Die berüchtigte E-Mail eines „Bankers“, die für den 25. März griechischer Nationalfeiertag und Tag des kommenden Europäischen Rats den Staatsbankrott sowie das Comeback der Drachme voraussagt, lässt die schon eh misstrauische Gesellschaft weiter zweifeln. Die Internetanfänger und –analphabeten verbreiten dieses dumme Gerücht und betreiben Panikmache. Sicher, die apokalyptische E-Mail fällt auf einen Boden, der dafür vorbereitet ist und ihr eine sichere Ernte verspricht: Laut einer Umfrage des Instituts Public Issue ist die Verunsicherung und der Pessimismus der Menschen auf Rekordniveau. Neun von zehn Griechen fühlen sich bedroht, acht von zehn meinen, dass die falsche Richtung eingeschlagen worden ist, und sieben von zehn, dass sich ihre Lage verschlimmern wird.

Dies alles bestärkt die weit verbreitete Auffassung eines Lands im freien Fall. Und alle sehen untätig zu: Körper und Geist sind gelähmt. Sichtbar ist dies vor allem im öffentlichen Dienst, wo nichts mehr passiert, er schlummert vor sich hin. Sei es weil die Bediensteten von der Politik keine klaren Vorgaben bekommen, weil die Mittel fehlen oder weil die kleinen Beamten aus Furcht vor Strafen gar nichts mehr wagen. Offensichtliche Untätigkeit auch in der Regierung: Die Initialzündung für die Umsetzung des Sparpakets ist rasch verpufft. Maßnahmen ergreifen braucht Energie und Überzeugungskraft. Beides fehlt.

Stärker auf mediterrane Eigenheiten stützen

Wir erleben eine Führungskrise, aber auch eine tiefgreifende Identitätskrise. In ein paar Jahren wird es die heutige Führungselite so nicht mehr geben. Viele Gesichter werden von der Bildfläche verschwunden sein, neue werden auftauchen, manche überleben vielleicht, andere wollen die sich unter Qualen neu bildende Gesellschaft mit gestalten.

Der kollektive Kampf scheint bereits weit verbreitet. Alle protestieren überall: Kollektive, autonome Gruppen; Zeitungen, professionelle Blogger. Insbesondere die junge Generation, deren Zukunftsperspektiven düster sind, kehrt langsam aber sicher zum Individualismus zurück, wie er in den Neunziger- und Nullerjahren gang und gäbe war.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Dabei sind die 20- bis 40-Jährigen eine wertvolle Quelle an Arbeitskraft, die leider unterschätzt und erstickt wird. Die derzeitigen Eliten halten sie von den Entscheidungszentren fern, es sei denn, sie stammen aus einer angesehenen Familie. Nach dem vorläufigen Höhepunkt der sozialen Mobilität in den Achtziger- und Neunzigerjahren, hat sich diese Bewegung drastisch verlangsamt. Diese soziale Immobilität wirkt sich negativ auf Politik und Verwaltung aus, wo festgefahrene patriarchalische Strukturen weiter vorherrschen. Auch Unternehmen sind betroffen: Unser kleiner Markt ist vom importierten Neoliberalismus wie besessen und stützt sich nicht genügend auf die mediterranen Eigenheiten (kleine und mittlere Unternehmen, kleine Verwaltungen...) Des Ergebnis sehen wir: Kartelle, Korruption, Privatisierungen und Zerstörung der sozialen Unterschicht.

Jugend bleibt außen vor, abgewertet, erdrückt

Die überwiegende Mehrheit der jungen Griechen, die in ein perspektivloses Berufsleben einsteigen, ist gut ausgebildet und besitzt— im Gegensatz zur vorangegangen Generation — einen kosmopolitischen Geist. Es ist die junge Generation der Globalisierung und des Internets. Diese jungen Leute sind das Beste, was unsere alternde, geburtenschwache, unmoralische und weitestgehend pessimistische Gesellschaft besitzt.

Doch bleiben sie außen vor, werden abgewertet, erdrückt. Unser Land setzt für seine Wiedergeburt nicht auf sie, denn das System schert sich weder um seine Wiedergeburt noch um sein Überleben. Die junge Generation ist ihm egal. Das System ignoriert sie. Es opfert sie.

Nachdem die Eltern der Mittelschicht Geld und Gefühle für ihre Kinder aufgebracht haben, müssen sie ohnmächtig feststellen, dass sie ihre Kinder nicht gegen diese erbärmliche Gesellschaft schützen können, die sie, die Eltern, toleriert und zu der sie im schlimmsten Fall beigetragen haben. Wir stehen vor einem dramatischen Paradox: Griechenland opfert seine Kinder den Sünden einer überflüssigen Elite. Wie sollen die jungen Menschen unter diesen Umständen etwas aufbauen?

Es ist schrecklich mit ansehen zu müssen, wie es unserer Regierung an Begeisterung und Motivation fehlt. Zudem mangelt es uns auch an einem Quentchen Selbstwert- und Zusammengehörigkeitsgefühl. Mängel, die sich gegenseitig hochschaukeln. Diese Mängel und dieses System bilden eine Blase. Die bald zerplatzen wird. Unweigerlich. Ein Zusammenbruch, auf dessen Ruinen unter Schmerzen ein neues Griechenland entstehen wird. Ein stolzes Griechenland mit sozialer Mobilität, mit Hoffnung und mit gemeinsamen Zielen. Mit einem Ziel vor allem: in Freiheit überleben. (js)

Rettungsschirm

Flexibilität contra Strenge

Am 11. März haben sich die 17 Länder der Eurozone darauf geeinigt, die Kreditzinsen für Griechenland von 5,2 auf 4,2 Prozent zu senken, sowie die Laufzeit von drei auf siebeneinhalb Jahre zu verlängern. Die Entscheidung, die von Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou gefordert wurde, muss noch beim kommenden Treffen des Europäischen Rats am 25. März bestätigt werden. Griechenland soll im Gegenzug sein Privatisierungsprogramm beschleunigen und auf insgesamt 50 Milliarden Euro ausweiten, davon 15 Milliarden bis 2013. Während Athen die Entscheidung begrüßte, betont die Tageszeitung To Ethnos, dass sie die „Sparpolitik auf Kosten aller“ verschärfen werde.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema