Tag der Scham für Europa

Amerika steht im Kampf gegen den Terror ziemlich allein da, findet das Düsseldorfer Handelsblatt. Europa denkt vor allem darüber nach, wie es sich aus Afghanistan zurückziehen kann und sollte sich für seine Untätigkeit schämen.

Veröffentlicht am 3 Mai 2011 um 15:43

Seit dem 11. September 2001 hat es 16 000 Bombenanschläge gegeben, zählt der Chefredakteur des Handelsblatts auf der Eins; mit 110 000 Toten. Die meisten nicht etwa Soldaten, sondern Mütter, Väter und Kinder. Grund für Gabor Steingart, den Krieg gegen den Terror mit aller Kraft zu verteidigen, Amerika führe in allein, ohne die Unterstützung der Europäer.

„Darf man sich über den Mord an einem Menschen freuen? Die kurze Antwort lautet: Nein. Die etwas längere Antwort: In diesem Fall ja, denn mit dem gewaltsamen Ableben von Osama Bin Laden verbindet sich die Hoffnung, der eine Tod möge viele andere Tode verhindern. Was der liebe Gott zu dem Argument sagen würde, wissen wir nicht. […] Politisch und militärisch wurde das Durchhalten der USA im Anti-Terror-Kampf jetzt belohnt. Die Weltmacht hat in Pakistan Führung gezeigt, als alle anderen Alliierten sich in die Büsche schlugen. Nicht in die kratzigen Büsche des pakistanischen Hochlandes, wohlgemerkt, denn dort sind die europäischen Verbündeten nie angekommen. Ihre Büsche waren die Rhododendren vor Kanzleramt, Downing Street No. 10 und Élysée-Palast.“

„Dieser Krieg müsse gewonnen werden“, habe Barack Obama schon vor seinem Einzug ins Weiße Haus verkündet. Europa huldigte dem zukünftigen Präsidenten euphorisch. Anstatt aber auf diesen Satz zu hören, debattiert man auf dem Alten Kontinent, wie man seine Soldaten aus dem Afghanistan-Einsatz zurückziehen könne, so Steingart.

„Die USA haben allein gekämpft, weshalb sie auch den Lorbeer für das Aufspüren und Ausschalten Bin Ladens nicht teilen müssen: Glückwunsch, Amerika! Dein Weltmachtgen ist intakt. Mag der Dollar schwach und die amerikanische Haushaltslage angespannt sein, das Militär ist auf Zack. Deutschland produziert die besten Autos, China die billigsten Weihnachtsmänner, Amerika aber ist der Exportweltmeister in Sachen Sicherheit. Dieses Produkt ist zwar verdammt teuer, es ist nicht immer schön anzusehen, aber es funktioniert so zuverlässig wie Ebbe und Flut.“

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Sicherheitspolitik sei längst auch Wirtschaftspolitik, schreibt Steingart. Die den Europäern so unzumutbar erscheinende Überwachung von Flughäfen und Kommunikationsnetzen, Ganzkörper-Scanner und biometrische Pässe gehörten dazu. Das aber hätten nur die USA verstanden.

„Der amerikanische Erfolg muss uns Europäer freuen – und zugleich beschämen. Ein Kontinent, der nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft den USA ebenbürtig ist, besitzt erkennbar nicht den Willen, sich selbst, seine Werte und seinen Wohlstand zu verteidigen. Die Mehrzahl der Europäer, da sind die Deutschen nicht allein, weigert sich, die zentrale Erkenntnis dieses nun zehn Jahre währenden Kampfes gegen den internationalen Terrorismus anzunehmen: Dieser Krieg ist kein Krieg, wie wir ihn aus unseren Geschichtsbüchern kennen. Es gab keine Kriegserklärung, und es wird niemals eine Kapitulationsurkunde geben. Der Gegner trägt weder Helm noch Kampfanzug, er weiß nicht mal, wie man einen Panzer unfallfrei durchs Gelände bewegt. Er schnallt sich morgens einen Bombengürtel um und besucht den nächstgelegenen Marktplatz. […] Dieser Krieg kann nicht gewonnen und darf dennoch nicht verloren werden. Das Ticken ist die Bombe, das Harmlose ist das Verdächtige. Unser Nichtverstehen ist der beste Komplize der Terroristen.“

Reaktionen in Europa

Allgemeine Zufriedenheit

Der Tod Osama Bin Ladens wurde in Europa mit „allgemeiner Zufriedenheit“ begrüßt, schreibt El País nach dem Tod des Al-Qaida-Chefs, der beim Einsatz eines US-Kommandos in seinem Versteck in Pakistan erschossen wurde. Diese Zufriedenheit würde nur durch die Hinweise auf das Erbe des Terroristenchefs gemindert. Die europäischen Regierungschefs seien sich einig, dass sie vor dem islamischen Terror die Waffen nicht strecken dürften, bemerkt die spanische Tageszeitung. Einige Staaten hätten ihre Botschaften und Bürger im In- und Ausland bereits vor eventuellen Racheakten gewarnt, allen voran London. In Brüssel unterstrichen der Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy und der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso, Bin Ladens Tod „würde die Welt in einen sichereren Ort verwandeln“. Sie beglückwünschten sich „zum Erfolg unserer Anstrengungen, dem Terrorismus in der Welt endlich ein Ende zu setzen“, ohne auch nur mit einem Wort die bedauerlichen Umstände der Aktion zu erwähnen. Eine Abgeordnete forderte, dass die beiden ihre Äußerungen vor dem Europäischen Parlament verantworten.

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