unknows Gespräch mit Arnaud Leparmentier

„Die Franzosen: Totengräber des Euro“

Veröffentlicht am 24 Januar 2013 um 14:54

Pünktlich zur Feier des fünfzigsten Jahrestags der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags kommt dieser Appell wie ein Haar auf der Suppe. Doch Arnaud Leparmentier, leitender Redakteur der Tageszeitung Le Monde und Kenner der europäischen Politik weiß, wovon er redet. Seine These lautet, dass es in einer Beziehung keinen Sinn macht, so zu tun als ob, wenn einer der beiden Partner nicht seine Arbeit macht. Und auf der Anklagebank sitzt für ihn... Paris!

Anlässlich des Erscheinens seines Essais Ces Français, fossoyeurs de l’euro (dt. „Die Franzosen: Totengräber des Euro“) erklärte er sich bereit, seinen Standpunkt näher zu erläutern.

„Warum gehen Sie mit den Franzosen so harsch ins Gericht?“

„Die Franzosen sind keine seriösen Partner. Sie predigen den Aufschwung, unternehmen aber keinerlei finanziellen Anstrengungen und begnügen sich damit, „nein“ zu allem zu sagen, was aus Deutschland kommt. Sie nehmen den Kern der europäischen Integration, die Gemeinschaftswährung, nicht ernst: Sie lassen ihren Haushalt ausufern und beweisen damit, dass sie keine der Konsequenzen dieses gemeinsamen Projekts auf sich selbst anwenden. Die vergangenen zwanzig Jahre — seit Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht — sind geprägt von unzähligen deutsch-französischen Blindgängern, unter anderem, weil die Franzosen nicht ihren Teil dazu beitragen, um eine Reform-Union voranzutreiben. Sie werden ihr Verhalten wohl kaum ändern: Die Franzosen strengen sich nicht an, um sich den Veränderungen der Welt anzupassen, behaupten aber dennoch, sie seien überzeugte Europäer. Für sie ist die Europäische Union schlicht ein größeres Frankreich.“

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„Erlebt Europa derzeit eine politische oder eine wirtschaftliche Krise?“

„Ich denke, dass die Eurokrise nicht erst mit Griechenland begann, sondern mit der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht, der auf wackeligen Füßen steht. Seither macht man rückgängig, was aufgebaut wurde. In den Nullerjahren drehten sich Debatten hauptsächlich um die Institutionen und nicht um das Herz, den Kernreaktor, der Europäischen Union: den Euro. Man glaubte, die Gemeinschaftswährung werde ewig bestehen und die Märkte seien tot. Die Griechenlandkrise hat gezeigt, dass das Gegenteil der Fall war. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy begriffen das sehr schnell, auch wenn ihre Diagnose über das, was gerade passierte, nicht dieselbe war. Und in diesem Fall war es Sarkozy, der recht behalten sollte: Für ihn ist die Griechenlandkrise eine systemische Krise des Euro, während Merkel den Griechen ihre Verschwendung vorwirft und meint, sie seien selbst schuld.
Heute arbeitet man weiter daran, den Maastricht-Vertrag auszubessern. Es gibt noch viel zu tun, und dafür braucht es engere Zusammenarbeit.“

„Hat die deutsch-französische Achse eine Zukunft?“

„Die deutsch-französische Achse ist nicht die Universallösung: In den Neunzigerjahren übernimmt eine neue Generation von Politikern das Kommando in Europa und alle zeichnen sich durch eines aus: den Euroskeptizismus. Auch daraus erklärt sich, dass die europäische Integration ins Stocken gekommen ist.
Die Franzosen müssen einsehen, dass das, was in Irland und Portugal geschehen ist, ein Beweis dafür ist, dass die Deutschen mit ihrer Vision der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit nicht völlig daneben liegen. Selbst wenn die Deutschen, die heute — zugegeben — nicht mehr dieselbe dominierende Stellung innehaben, nun keine Wettebewerbsfähigkeit um jeden Preis mehr fordern, wie an der Affäre um EADS zu sehen ist. Für die Deutschen ist der freie Markt eine universelle Grundvoraussetzung für alle, an der niemand zu rütteln hat... auch wenn sie das selber tun, sobald sie sich in einer Position der Schwäche wiederfinden.
Sicher, der Euro ist gerettet, doch, wie Angela Merkel sagte, ist es nicht ausgeschlossen, dass Frankreich schon bald Opfer eines Angriffs der Finanzmärkte werden könnte. Und vergessen wir nicht, dass in Deutschland in diesem Jahr gewählt wird, was vermutlich für die Union ein verlorenes Jahr bedeutet, aber diese Pause ist mitnichten dramatisch.“

Im Epilog seines Buchs fordert Arnaud Leparmentier von den französischen Politikern, sie sollen mehr Verantwortung übernehmen:

Der Euro wurde ohne einen politischen Pakt geschaffen. Wahltaktische Entscheidungen und Feigheit haben ihn an den Rand des Abgrunds gebracht. [...] Das Projekt verdient einen Neuanfang. [...] Damit dies gelingt, muss François Hollande einen französischen Vorschlag erarbeiten, den er den Deutschen nach der Bundestagswahl im Herbst 2013 unterbreiten kann und der 2014 bei den Europawahlen dann vorliegt. Nur so kann die seit 20 Jahren ungebrochen fortschreitende Schwäche aufgehalten werden. Nur so kann der Geist der Gründerväter weiterleben und eine politische Union geschaffen werden, die im Vertrag von Maastricht vernachlässigt wurde. Das Überleben des Euro kostet diesen Preis.

Foto: AFP

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