unknows Interview Friedrich Moser

„Lobbying ist weder transparent, noch fair genug“

Veröffentlicht am 11 Februar 2013 um 17:01

The Brussels Business befasst sich mit dem Schattenreich der mächtigen Lobbies, die hinter den Kulissen der EU-Institutionen arbeiten. Ihr Einfluss ist ebenso undurchsichtig wie machtvoll. Und er betrifft Entscheidungen, die den Alltag der Bürger Europas bestimmen.

Presseurop – Wie kamen Sie auf die Idee, einen Film über die Lobbies in Brüssel zu drehen?

Friedrich Moser - Das ist eine lange Geschichte. Als ich 2001 meinen allerersten Dokumentarfilm machte, ging es darin um die Sprachenvielfalt in Europa. Zwei Monate nach Fertigstellung des Films kontaktierte mich das European Training Institute. In Brüssel ist es sehr bekannt, aber außerhalb von Brüssel weiß niemand etwas davon. Sie luden mich zu einem Wochenend-Crashkurs zum Verständnis der Europäischen Institutionen ein… für 1 750 Euro plus MwSt. Ich fand das sehr teuer und dachte bei mir, dass es in Brüssel Organisationen gibt, die den Leuten, die sich über sie informieren wollen, das Geld aus der Tasche ziehen.

Mit der Zeit änderte sich meine Ansicht ein bisschen. Ich kam zu dem Schluss, dass die europäischen Institutionen eventuell so kompliziert seien, dass man diese teuren Crash-Kurse bräuchte. Seitdem wollte ich einen Film darüber machen. Aber mir fehlten drei Dinge: 1. Ich bekam keinen Zugang zu den Leuten; 2. Ich hatte keine Geschichte und 3. Ich hatte keine Ahnung davon, wie man es anstellt.

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Daher habe ich den Kodirektor des Films Mathieu Lietaert angesprochen. Er ist ein Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Lobbies in Brüssel. Mit seinem Wissen und seinen Kontakten kamen wir mit den Leuten, die man im Film sieht, in Verbindung. Das war 2008.

Warum haben Sie als Thema des Films die Lobbies gewählt?

Ich fand es verblüffend zu sehen, dass wir auf nationaler Ebene alle wissen, wer hinter der Politik steckt, wer Einfluss hat und wer nicht — vor allem Großindustrielle und Gewerkschaften. Auf europäischer Ebene hat man absolut keine Ahnung davon. Was mich anspornte, war, hinter die Kulissen zu schauen und herauszufinden, wer diese Leute sind, die hinter den Institutionen die Strippen ziehen. Was sind die Think-Tanks? In den USA sind all diese Dinge weithin bekannt, nicht so in Europa.

In Ihrem Film tauchen zwei Menschen auf, der Chef des European Roundtable of Industrialists (ERT) Keith Richardson und der Lobbyist Pascal Kerneis vom European Services Forum (ESF), die ganz oben im „Brüssel-Business“ zu sein scheinen. Wie haben Sie es geschafft, die für ihr Projekt zu gewinnen?

Das war ehrlich gesagt ziemlich einfach, denn wir haben von Anfang an keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass wir beide Seiten des Problems zeigen wollten: diejenige, die die Lobbies überwacht und die Lobbies selbst. Als Matthieu seine Forschungsarbeiten machte, beschwerte sich Pascal Kerneis über das schlechte Image der Lobbies. In den Augen der Öffentlichkeit kommt ihre Arbeit der Prostitution gleich, obwohl es ein ganz normaler Job ist.

Darum wollte er in unserem Film zeigen, wie seine Arbeit aussieht. Wie Lobbyisten arbeiten, wie sie denken, was für Strategien sie haben. Er wollte ihnen auch ein Gesicht geben, sie aus der Grauzone holen. Mit Keith Richardson wussten wir, dass wir die Geschichte des Europäischen Binnenmarktes (ESM) abdecken würden, denn wir wussten, dass er die einflussreichste Lobby in Brüssel vertritt: Ihr Erfolg ist die Europäische Union, wie wir sie kennen, mit dem uns bekannten gemeinsamen Binnenmarkt. Sie sind das Fundament der Art und Weise, wie wir heute in Europa leben.

Wir sagten Richardson, dass wir unseren Schwerpunkt auf den Moment richten wollten, als der Binnenmarkt entstand, und wollten die Wirtschaftsakteure hinter dieser Entstehung interviewen. Er sagte uns, dass er ein Buch darüber schreiben wollte, dass sein Verleger aber an einer Geschichte nicht interessiert sei, die, wie dieser sich ausdrückte, niemand lesen wolle. Daher war Richardson ziemlich glücklich darüber, uns seine Geschichte erzählen zu können.

Wie stehen Sie dem Lobbying gegenüber?

Wir glauben, dass man für eine funktionierende Demokratie Lobbyarbeit braucht, denn man muss Interessen bündeln und diese Interessen müssen berücksichtigt werden. Doch wenn man die Lobbyarbeit nicht reguliert und keine klaren Regeln, Transparenz und Fairness hat, wird das politische Ergebnis weitgehend von den Lobbies beeinflusst. Das ist das Problem, das wir jetzt in Europa haben: Lobbying ist weder transparent, noch fair genug.

Es ist unfair, weil die Zahl der Business-Lobbies verglichen mit der Anzahl der Gewerkschafts in Brüssel 50 zu 1 beträgt, während es auf nationaler Ebene keinesfalls so ist. Auf nationaler Ebene sind Gewerkschaften und die Großindustrie gleich stark und werden vom Staat in gleicher Weise behandelt. Manchmal ist die eine erfolgreicher als die andere, zum Schluss fallen beide gleich stark ins Gewicht.

Auf Brüssel trifft das nicht zu: Die Industrie hat ziemlich die Oberhand. Es gibt ungefähr tausend Expertengruppen, die die EU-Kommission bei der Gesetzgebung und der Einführung von Regeln beraten. Mit Abstand die meisten von ihnen sind von Geschäftsinteressen und deren Wirtschaftsvertretern geprägt. Wir glauben, dass es wichtig ist, auf die Wirtschaft zu hören, aber auch auf Verbraucherorganisationen und auf die Zivilgesellschaft. Beide Seiten müssen anständig behandelt werden.

Ist der Wettbewerb zwischen Business und Zivilgesellschaft ausgewogen?

Absolut nicht. Nehmen wir zum Beispiel den De Larosière Fachkreis, den man im Film zu sehen bekommt. Er hat die Kommission nach der Finanzkrise, die 2008 begann, in Sachen Haushaltsordnung beraten. Diese acht Experten hatten persönliche Verbindungen zu denjenigen, die die Krise ausgelöst hatten oder eine Erfolgsbilanz in der Deregulation. Es ist schon eine echte Leistung, auf einem Kontinent mit 500 Millionen Menschen die acht auszumachen, die gerade nicht bei der Regulierung des Finanzsektors zu Worte kommen sollten.

Sind die Institutionen der EU Ihrer Meinung nach demokratisch?

Ja, das sind sie. Aber gegenüber den Mitgliedsstaaten haben sie ein demokratisches Defizit. Erstens, weil das Parlament in den Mitgliedsstaaten bei der Gesetzgebung von Anfang an mit einbezogen wird. Das bedeutet, es gibt von Anfang an eine Diskussion. In Brüssel ist das nicht so. Daher fordern wir, dass dem europäischen Parlament das Recht eingeräumt wird, Gesetze einzubringen. Das würde beiden Seiten zu Gute kommen, weil das Parlament derzeit nur Vorschläge der Kommission oder des Rates blockieren kann.
Zweitens gibt es keine öffentliche Diskussion zu europäischen Themen, weil die Presse nicht über sie spricht: 80 Prozent, von dem, was unseren Alltag bestimmt, beginnt mit einem Gesetz in Brüssel. Daher sollten die Medien diese Gesetze wie Innenpolitik behandeln, leider fällt ihre Berichterstattung aber in den Bereich Außenpolitik. Oder die Medien sagen, dass „europäische Angelegenheiten so kompliziert seien, dass sie niemanden interessieren“. Daher weiß man nicht, was in Brüssel passiert.
Doch durch die kürzliche Filmvorführung haben wir gesehen, dass das Interesse an europäischen Themen groß ist. Das wurde auch in den Schulen deutlich, in denen wir unseren Film gezeigt haben: Die Jugendlichen brennen darauf, etwas über die EU zu erfahren und in ihre Angelegenheiten eingebunden zu werden.

Im Film sieht es so aus, als ob der gemeinsame Binnenmarkt nach den Wünschen der Industrie-Lobby geschaffen wurde, von der Delors-Kommission (1985-1995) realisiert wurde und die Europäer nichts bei der Gestaltung zu melden hatten. Haben Sie den Eindruck, dass die Öffentlichkeit nichts zu sagen hatte?

Dafür müssen wir an den Anfang des europäischen Aufbaus zurückgehen. Die Europäische Gemeinschaft war ein Elitenprojekt der politischen und wirtschaftlichen Führungsriege in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals war es wahrscheinlich unmöglich, eine Debatte zu führen, die alle europäischen Bürger mit einbezog.

Als Elitenprojekt war sie erfolgreich. Doch als der gemeinsame Binnenmarkt und die EU, wie wir sie heute kennen, andauerten und sich weiterentwickelten, wurde die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur politischen Macht. Allerdings haben wir hier jetzt nicht den Grad öffentlicher Beteiligung, den eine politische Macht haben sollte. Das ist das Hauptproblem und der Grund, warum sich so viele europäische Bürger abwenden: Sie fühlen sich nicht vertreten.

Natürlich wurde der Binnenmarkt nicht vom Internationalen Agrarhandel ERT diktiert, aber er wurde von der Kommission eins-zu-eins kopiert. Der Binnenmarkt ist eine gute Sache, aber unvollständig, denn man hat nicht überall die gleichen Regeln, zum Beispiel bei der Besteuerung.

Der Binnenmarkt wurde hauptsächlich geschaffen, um „Europäische Champions“ aufzubauen: Firmen, die mit den amerikanischen und japanischen multinationalen Unternehmen konkurrieren können. Dadurch blieben viele Arbeitsplätze in Europa erhalten.

Es führte aber auch zu einer Art unfairem Konkurrenzkampf zwischen den europäischen „Champions” und den kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Vor allem aus finanziellen und steuerlichen Gründen: Große multinationale Firmen können im Gegensatz zu KMU Verluste in einem Land durch Profite in einem anderen ausgleichen und das gewinnbringendste Steuersystem nutzen.

Haben Sie in der letzten Zeit eine demokratische Entwicklung in den europäischen Institutionen bemerkt?

Mit dem Lissabon-Vertrag wurde Macht der EU-Kommission auf das EU-Parlament übertragen. Gleichzeitig wurde aber auch Macht der Mitgliedstaaten der EU-Kommission übertragen. Daher ist sie immer noch die wichtigste Institution in Brüssel. Ihre Mitglieder wurden allerdings nicht gewählt — genau wie der Ratspräsident. Ich bin der Meinung, dass sie mehr Legitimität hätten, wenn sie den Test der Wahlen bestehen müssten. Das würde gleichzeitig das Gewicht der Mitgliedsstaaten ausgleichen.

Haben Sie immer noch Vertrauen in Europa, nachdem Sie derart hinter die Kulissen geschaut haben?

Natürlich. Ich hätte den Film nie gemacht, wenn ich kein überzeugter Pro-Europäer wäre. Das gleiche gilt für Matthieu. Ich bin Österreicher und habe in mehreren europäischen Ländern gelebt. Ich war ein Jahr mit dem Erasmus-Programm in Spanien. 12 Jahre habe ich in Italien gelebt und jetzt pendele ich zwischen Österreich, Deutschland und Italien, ohne ständig Geld wechseln zu müssen. Das ist eine tolle Errungenschaft.

Ich habe Vertrauen in die europäischen Institutionen, aber sie müssen dahingehend verändert werden, dass sie der Macht, die ihnen übertragen wurde, gerecht werden. Sprich, sie sollten demokratischer sein. Würde ich die EU abschaffen? Sicherlich nicht, Ich glaube fest an eine intensiver verflochtene EU.

Interview von Gian Paolo Accardo, Aus dem Englischen von Signe Desbonnets

Photo by Stefanie Langer – © Friedrich Moser

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