Europäische Institutionen

Wer vertraut noch dem EU-Parlament?

Veröffentlicht am 6 November 2012 um 15:09

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Verlieren die Europäer das Vertrauen zur einzigen europäischen Institution, die demokratisch gewählt wird? Die International Herald Tribune stützt sich auf den letzten europäischen Parlameter, eine Umfrage über das Wissen der EU-Bürger hinsichtlich des Europäischen Parlaments, die auch zeigt, welches Bild die Bürger vom Parlament haben. Das Image soll seit 2008, dem Ausbruch der Wirtschaftskrise, stark gelitten haben: 26 Prozent der Befragten in ganz Europa hätten „ein negatives Bild des Parlaments, das entspricht einem Plus von 9 Prozentpunkten“, schreibt die amerikanische Tageszeitung.

Dabei sind mehrere europäische Staats- und Regierungschefs davon überzeugt, dass die Lösung der Krise in der EU – der International Herald Tribune zufolge „die schwerste seit 60 Jahren“ – die Festigung der europäischen Institutionen voraussetzt, vor allem des Parlaments:

Der gegenwärtige Zustand des Parlaments lässt vor dem Hintergrund von Bestechungsskandalen und scheinbar ausuferndem Lobbying Zweifel daran aufkommen, ob diese Erwartung erfüllt werden kann.

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Hinzu kommt die rasant abnehmende Beteiligung an europäischen Wahlen, „die in weniger als einem Vierteljahrhundert von 60 auf 40 Prozent der Wahlberechtigten gesunken ist“.

Frederik Erixon vom Thinktank European Centre for International Political Economy, erklärte der Zeitung, die Lobbyisten hätten das Vakuum, „das in der Zwischenzeit durch die immer schlechteren Beziehung zwischen Bürgern und Parlament entstanden ist, für sich genutzt“. Die Tageszeitung erklärt:

Den Abgeordneten werden generell die großzügigen Bezüge und der Einfluss übelgenommen, den sie auf die Gesetzgebung haben. An vielen Tagen ähneln Teile des Parlamentsgebäudes einer Fachmesse. Lobbies veranstalten Vorträge in Besprechungsräumen und organisieren auf Einladung von befreundeten Europaabgeordneten üppige Mittagessen in den dortigen Speisesälen. Sie organisieren auch Ausstellungen, von denen einige ganz eindeutig im Widerspruch zu den Verhaltensregeln des Parlaments stehen.

Nachdem in letzter Zeit mehrere Skandale aufgedeckt worden waren, in die EU-Abgeordnete verwickelt waren, wurde der erste Ethikausschuss im Parlament gegründet und es den Abgeordneten…

ausdrücklich verboten, Geld für Gesetzesänderungen anzunehmen. Aber trotz der jüngsten Reformen dürfen die Volksvertreter weiterhin unbegrenzt Nebeneinkünfte haben sowie Flüge und Unterkunft akzeptieren, ohne jemandem Rechenschaft schuldig zu sein. […] Die neuen Regeln verbieten Abgeordneten, die einer Lobby-Firma beitreten oder eine solche gründen, das Parlamentsgebäude, zu dem sie sonst ihr ganzes Leben lang Zutritt haben, nach Ende ihres Mandats zu betreten. Aber Ende September waren die betroffenen Ausweise noch immer nicht eingezogen worden. Mehr als 2.900 Ausweise werden zurzeit von gemeldeten Lobbyisten gehalten. […]

Weitere 12.000 Lobbyisten können das Parlament jederzeit auf Einladung eines Abgeordneten betreten. […] Lobbyisten haben auch über außerparlamentarische Organisationen wie die Kangaroo Group zur Förderung des Freihandels jederzeit direkten Zugang zu den Volksvertetern. Bis vergangenes Jahr nutzte die Gruppe kostenlose Räumlichkeiten, die vom Parlament bewirtschaftet werden, erst Umbauarbeiten zwangen sie zum Umzug.

Der Artikel schließt mit der Feststellung, dass es zwar Verhaltensregeln gibt, „sie aber systematisch ignoriert werden“.

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