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Ein Bier kann man hier nicht trinken gehen, dafür gibt es jede Menge Ökostrom

Das Feldheim-Modell

Das Dorf in der Nähe von Berlin ist der einzige Ort in Deutschland, der sich komplett selbst mit Strom versorgt. Im Garten aufgestellte Windräder produzieren den Strom und ein unabhängiges Netz bringt ihn den Bewohnern deutlich billiger ins Haus. Umweltspezialisten aus der ganzen Welt sind begeistert.

Veröffentlicht am 13 Dezember 2013 um 12:36
Ein Bier kann man hier nicht trinken gehen, dafür gibt es jede Menge Ökostrom

Petra Richter braucht nicht viele Worte, um die Erfolgsgeschichte zu erklären, die ihrer Gemeinde zu einem Hauch von Weltruhm verholfen hat. Die Alternative sei zum richtigen Zeitpunkt gekommen, sagt die Ortsvorsteherin von Feldheim. Der kleine Ort südwestlich von Berlin ist die erste und bis anhin einzige energieautarke Gemeinde Deutschlands. Deshalb strömen jährlich rund 3000 Besucher aus aller Welt in das brandenburgische Dörfchen mit nur 130 Einwohnern, das trotz seiner Höhenlage auf 150 Metern gar nicht so einfach zu finden ist.

Alles sei nach und nach entstanden, erzählt die Ortsvorsteherin Richter. 1997 kamen die ersten vier Windräder. Inzwischen sind es 43, die pro Jahr 140 000 Megawattstunden Strom produzieren. Mit alternativen Energiequellen tagtäglich vor Augen, begann die örtliche Agrargenossenschaft irgendwann über den Bau einer Biogasanlage nachzudenken. Man setzte sich mit dem Initiator der Windräder, Michael Raschemann, zusammen und bat ihn um ein Konzept.

Dieser fand heraus, dass man mit den 4,3 Millionen Kilowattstunden Wärme aus der Biogasanlage nicht nur Schweineställe und Genossenschaftsbüros heizen konnte, sondern auch noch das gesamte Dorf. Damals heizten viele noch mit Ofenheizungen. Bei anderen war die erste Zentralheizung, die man nach der Wende eingebaut hatte, schon kaputtgegangen. Die Bereitschaft, Neues zu wagen, sei gross gewesen, so erinnert sich die Ortsvorsteherin: „Fast alle waren von Anfang an begeistert.”

Nach einigen Bürgerversammlungen entschloss man sich, die Feldheim Energie GmbH & Co. KG zu gründen. Die sollte nicht nur mit Fernwärme für wohlige Temperaturen in allen Feldheimer Haushalten sorgen. Sie sollte auch gleich noch den Strom verteilen, der von den Windrädern vor der Haustür produziert wurde. So einfach war das jedoch nicht. Denn E.On-Edis, der Besitzer des örtlichen Stromnetzes, stellte seine Leitungen nicht zur Verfügung. Es mussten neue gebaut und installiert werden. So kam es zu der einzigartigen Situation, dass es in Feldheim heute zwei Stromleitungen gibt, wobei die alten Hausanschlüsse gekappt wurden.

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400.000 Euro für ein autonomes Netz

Für das neue Stromnetz musste die Feldheim Energie rund 400 000 Euro aufbringen. Dafür reichten die Einlagen der Kommanditisten gerade aus. Mitglied werden können nur Grundstückeigentümer aus dem Ort sowie Gewerbebetriebe, die Kirche, das Wasserwerk und die Stadt Treuenbrietzen, zu der Feldheim gehört. Ihre Einlage beläuft sich auf 3000 Euro für Strom und Wärme beziehungsweise auf die Hälfte, wenn man nur eines davon bezieht.

[[Der Bau des Stromnetzes war jedoch ein Klacks im Vergleich zu den 1,7 Millionen Euro, die das Fernwärmenetz kostete. Das konnten die Feldheimer nur finanzieren, weil die EU und das Land Brandenburg das Projekt zur Hälfte förderten]]. Für den Rest hat die Feldheim Energie einen Kredit über 15 Jahre aufgenommen, dessen Tilgung nach Plan verläuft. Fast alle haben mitgemacht und sich für zehn Jahre mit ihrer Einlage verpflichtet. Nur 2 von 40 Haushalten waren nicht zu überzeugen. Zu den 38 Privatkunden kommen noch die Agrargenossenschaft, die Kommune, das Wasserwerk und die Kirche. Auf das drei Kilometer lange Wärmenetz greifen 35 Haushalte zurück. Die anderen setzen auf Erdwärme. Wer sich jedoch für die alternativen Netze entschieden hat, der hat schon eine Menge Geld gespart. Seit 2009 wird Wärme geliefert.

Ein Jahr später erfolgte die Einspeisung des Ökostroms der Windräder. Der durchschnittliche Preis für eine Kilowattstunde liegt in Deutschland bei 28 Cent. Die Feldheimer zahlen dagegen nur 16,6 Cent, da sie den Strom direkt vom Hersteller beziehen. Dieser ungewöhnlich günstige Tarif ist allerdings nur aufgrund einer speziellen Regelung in der Zugangsentgeltverordnung möglich. Doch nur ein Bruchteil von rund einem halben Prozent des produzierten Stromes fliesst laut dem Sprecher der Energiequelle, Werner Frohwitter, nach Feldheim. Der Rest geht ins öffentliche Netz. Bei den Kosten für die Wärme liegen die Feldheimer zehn Prozent günstiger als der Rest des Landes.

Ökotouristen aus aller Welt

Längst ist Feldheim jedoch zum Vorzeigedorf in Sachen umweltfreundliche Energie geworden. 2009 wurde zusätzlich zur Biogasanlage eine Holzhackschnitzelheizung gebaut, die an kalten Wintertagen dafür sorgt, dass es in den alten Vierseithöfen immer wohlig warm bleibt. 2010 wurde Feldheim als Bioenergiedorf ausgezeichnet. Das Preisgeld hat die Gemeinde gleich wieder für die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien verwendet.

Auch wirtschaftlich sind die umweltfreundlichen Energien inzwischen ein nicht unbedeutender Faktor in der kleinen Gemeinde geworden. Zwar dominiert nach wie vor die Landwirtschaft, die 30 Personen Brot und Arbeit bietet. Aber auch die Firma EQ-SYS, die Metallkomponenten für Photovoltaik herstellt, hat 21 Arbeitsplätze geschaffen.

Ökotouristen aus aller Welt strömen alljährlich in das Dorf, obwohl es hier nicht einmal mehr einen intakten Gasthof gibt. Das ehemalige Gaststättengebäude wird derzeit durch den Förderverein Neue-Energien-Forum Feldheim zu einem Forschungs- und Bildungszentrum umgebaut. Der Verein bietet Touren durch das Ökodorf in Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch an. Japanisch ist noch nicht dabei – trotz vielen Japanern, die nicht zuletzt nach der Katastrophe von Fukushima bereits den Weg nach Feldheim gefunden haben.

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