Das Schlimmste wurde vermieden... vorerst

Am Tag nach der Wahl, die den „Pro-Memorandum“-Parteien zum Sieg verhalf, drückt die europäische Presse ihre Erleichterung aus: Zunächst scheint die Hypothese eines griechischen Austritts aus der Eurozone vereitelt zu sein. Doch die Krise der gemeinsamen Währung ist noch lange nicht vorüber.

Veröffentlicht am 18 Juni 2012 um 15:20

Für das Jornal de Negócios haben die griechischen Wahlen zur „Verzweiflung Europas“ beigetragen, denn die Haltungen der bedeutendsten Parteien nach der Wahl scheinen unvereinbar – so sehr, dass „Neuwahlen nicht ausgeschlossen sind“. Je mehr Zeit also vergeht, „ohne die Krise, in der die Währungsunion festsitzt, überwinden zu können, desto größer sind die Chancen auf eine traumatisierende Situation“, schreibt die portugiesische Wirtschaftszeitung. Weiter heißt es:

Cover

Die Realität und die Lösung liegen irgendwo zwischen dem Standpunkt der Griechen und dem Standpunkt der Deutschen. Doch Krisenlösungen, welche die europäischen Wertvorstellungen respektieren würden, scheinen nicht mehr praktikabel zu sein. Europa hat sich gespaltet: einerseits die Gesellschaften mit den „richtigen“ Werten, im Norden, und andererseits die mit „schlechten“ Werten im Süden. Somit gibt es keine technische Lösung, um das europäische Projekt zu retten.

Auf deutscher Seite bedauert die Frankfurter Rundschau, dass die Griechen immer noch nicht die Wahl haben, über ihr Schicksal zu entscheiden. Während der Kampagne haben sich weder die griechischen Parteien noch die Europäische Union getraut, den Bürgern zu zeigen, welchen Preis ihre Wahl wirklich hat:

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Cover

Der griechische Wahlsieger Antonis Samaras hat nichts zu feiern. Unter gewaltigem Zeitdruck muss er eine Regierung bilden, der Unmögliches bevorsteht. Noch im Juni wird der griechische Staat Milliardenbeträge auftreiben müssen, um Gehälter und Renten zahlen zu können. Spätestens im August wollen dann auch die internationalen Gläubiger bedient werden. Die traurige Wahrheit ist, dass die Griechen, die sich gestern noch in verzweifeltem Stolz gegen das europäische Spardiktat aufgelehnt haben, heute als Bettler aufwachen. So düster der Wahlkampf war – auf diesen Ernst sind sie nicht vorbereitet worden. [...] Doch die EU wird nicht viel Spielraum gewähren. Und so kommt es, dass die große Chance vertan worden ist, die in dieser neuerlichen Griechenland-Wahl lag: Der Chance, politische Legitimation für Griechenlands künftigen Kurs in der Schuldenkrise zu erhalten.

„Griechenland hängt am Euro fest; Spanien atmet auf“, titelt wiederum La Vanguardia. In der Tageszeitung aus Barcelona erklärt Enric Juliana in seinem Leitartikel:

Cover

Die tiefe Logik des europäischen Machtsystems – eines trägen, seltsamen Reichs mit der Hauptstadt Berlin – hat sich durchgesetzt. [...] In einer Wahl, die das klassische Konzept der nationalen Souveränität in Frage stellt, hat die griechische Gesellschaft für das Opfer gestimmt, ohne sich von ihrem Zorn zu befreien. [...] Besonders tief war das erleichterte Aufatmen gestern in Spanien und Italien, den beiden Ländern, die dem Abgrund der Staatsverschuldung am nächsten stehen. Zwei Stabilitätsfaktoren kündigen sich diese Woche an: die Wahl der Griechen zugunsten des Euro und die Veröffentlichung der externen Berichte über die spanischen Banken, die zusammen mit den Entscheidungen der EZB zur Reduzierung der spanischen und italienischen Verschuldung und somit zu einer substantiellen Minderung der Ungewissheit beitragen könnten.

„Die Nachricht aus Athen ist – wie diejenige aus Dublin [nach dem Referendum vom 31. Mai über den Fiskalpakt] – ein Hoffnungsschimmer in der großen Diskussion über die Opposition der Demokratie und der Märkte, die den europäischen Schüttelkrämpfen als Hintergrund dient“, heißt es bei La Repubblica. Die römische Tageszeitung titelt „Griechenland, wir bleiben im Euro“ und schreibt:

Cover

Nachdem dem exponentiellen Anstieg der populistischen und nationalistischen Regungen infolge der Wirtschaftskrise kann Europa nun hoffen, dass die Demokratie in der Lage ist, auch auf die komplexen, schwierigen Herausforderungen der Staatsdefizite die nötigen Antworten zu geben. Angesichts der Sirenengesänge des Populismus und des Zorns haben die Griechen den schwierigeren Weg gewählt, aber auch den einzigen, der die Hoffnung auf eine andere, bessere Zukunft in sich trägt. Und das war gar nicht so selbstverständlich. Zumal ein großer Teil des weltweiten Finanzestablishments auf eine andere, „einfachere“ Lösung gesetzt hatte, indem man auf die mögliche Ansteckung Spaniens und Italien spekulierte, die ein Austritt Griechenlands aus dem Euro herbeigeführt hätte. [...] Die einzige echte Gefahr, die von der griechischen Wahl ausgehen kann, wäre, dass sich Berlin davon überzeugt, eine x-te Dringlichkeit sei nun vorbei und es könne noch mehr Zeit schinden. Doch die Zeit ist abgelaufen. Gestern haben es die griechischen Wähler erklärt. Heute werden es die führenden Politiker des G20 tun, die Amerikaner allen voran. Beim Gipfel des 28. Juni werden der Vorsitzende der Europäischen Zentralbank Mario Draghi, der italienische Regierungschef Mario Monti und der französische Staatspräsident François Hollande an der Reihe sein, es der Kanzlerin begreiflich zu machen. Es wird nicht einfach sein, aber sie können es sich nicht erlauben, zu scheitern.

„Die Ergebnisse der griechischen Wahlen legen wieder eine tiefe Spaltung bloß“, stellt Koen Vidal, Chefredakteur des Auslandsressorts beim Morgen fest. Vidal fügt hinzu, dass die Investoren schon anfingen, auf Neuwahlen zu spekulieren, noch bevor das endgültige Resultat wirklich bekannt war:

Cover

Vielleicht ist genau das eines der größten Probleme der Griechenlandkrise: Sie läuft in einem explosiven Konfrontationsklima ab. So befürchten viele die Spannungen und die Gewalt unter den Griechen selbst. [...] Doch auch der Antagonismus zwischen Griechenland und dem Rest Europas ist schmerzhaft. [...] Diese Atmosphäre der Opposition und der Spannungen führt zu einem emotionalen Klima, in welchem sich Politiker, Börsenmakler und Bürger leicht zu dummen Taten verleiten lassen. [...] Um die Krise zu bewältigen, müsste man dieser Konfrontationsstimmung ein Ende bereiten. Abkühlen. Auch wenn das nicht einfach ist.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema