Nachrichten Österliche Partnerschaft

Das Spiel ist noch nicht verloren

Die EU könnte die Ukraine vorerst verloren haben. Aber indem Russland die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens in einen diplomatischen Krieg verwandelte, hat es Europa zu moralischer Überlegenheit verholfen und eine mögliche Basis für den Einfluss der EU in der Region geschaffen, glaubt ein Politikwissenschaftler.

Veröffentlicht am 28 November 2013 um 12:51

Ist die jüngste Entscheidung der Ukraine, ein umfassendes Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen, gleichbedeutend mit einem Versagen der EU-Außenpolitik? Trotz nachvollziehbaren Händeringens in Brüssel muss die Antwort ein klares “Nein” sein. Auch wenn die Ukraine aus dem kurz bevorstehenden Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft in Vilnius schlussendlich nicht als „Kronjuwel” der europäischen Nachbarschaftspolitik hervorgehen wird, haben die Europäer in den diplomatischen Querelen der letzten sechs Monate viel gewonnen.

Erstens hat sich inzwischen der Nebel gelichtet. Die Art des Spiels, in dem sich die EU in Bezug auf ihre östliche Nachbarschaft befindet, hat keine Illusionen zurückgelassen. Russland antwortete auf die Problematik mit seiner eher begrenzten Nullsummenlogik und katapultierte damit die Östliche Partnerschaft erfolgreich von einer technokratischen Zusammenarbeit zu einem geopolitischen Wettkampf.

Herausforderung angenommen

Erst vor ein paar Tagen konnte man Zeuge für die Verweigerung der EU-Beamten werden, den Wettstreit um die Ukraine als solchen anzuerkennen. Für sie stellt die Unterzeichnung des EU-Abkommens durch die Ukraine keine Niederlage für den Kreml dar. Auf lange Sicht würden alle Beteiligten davon profitieren. Damit haben die Beamten natürlich recht. Und dennoch wird das Spiel im Augenblick nach anderen Regeln gespielt. Der EU ist schließlich nichts anderes übriggeblieben, als das zu akzeptieren und mit harten Bandagen zu kämpfen. So konnte Europa die Situation in den Griff bekommen.

Zweitens ist die EU zum ersten Mal seit Beginn der Östlichen Partnerschaft im Jahr 2009 der Herausforderung nicht aus dem Weg gegangen, sondern hat sich entschlossen, sie anzunehmen. Europa hat standgehalten. Russland versuchte hartnäckig, die Führung in Kiew politisch zu erpressen. Die Union dagegen verteidigte das Recht der Ukraine auf souveräne Entscheidungsgewalt. Aber sie verlor den Kampf, als der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch unter dem russischen Druck eingebrochen ist. [[Dennoch hat die EU einen großen Sieg davongetragen: sie ist keine Kompromisse eingegangen und hat die Nerven behalten]].

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Der Schlüssel zur Standhaftigkeit der EU war das unerwartet starke Engagement Deutschlands für die Sache. Die mit Hilfe Berlins gefestigte gemeinsame Position zur Östlichen Partnerschaft machte aus dem Lieblingsprojekt der Ost- und Nord-Mitgliedsstaaten ein EU-weites Unterfangen. Dennoch führte die deutsche Unterstützung nicht zum gewünschten Ergebnis. Die EU hat aber etwas viel Wichtigeres gewonnen: Deutschland hat die Führung der Außenpolitik in einer sehr unbequemen Problematik übernommen, die auch die Konfrontation mit Russland einbezieht.

Zwei entscheidende Fehler

Der EU werden zwei entscheidende Fehler vorgeworfen. Erstens hätte sie nicht die russische Nullsummenlogik stärken dürfen, indem sie die Ukraine vor die Wahl zwischen dem EU-Assoziierungsabkommen und der von Moskau angeführten Zollunion stellte. Indem sie Kiew zu einer solch schwierigen Entscheidung zwang, hat die EU ihre eigenen Bemühungen untergraben. Zweitens hätte die Union die Unterzeichung des Abkommens nicht von der Freilassung der inhaftierten früheren Regierungschefin und Janukowitschs Erzfeindin Julia Timoschenko abhängig machen dürfen.

Die wahren Gründe für das Verhalten der Ukraine liegen in der Innenpolitik des Landes. Der politischen Elite der Ukraine war es viele Jahre gelungen, zu Russland und dem Westen einen vergleichbaren Abstand zu halten und das sollte sich auch noch nicht ändern. Für die Oligarchen hinter Janukowitsch könnte eine zu große Annäherung an Brüssel oder Moskau ihr Geschäftsmodell gefährden, denn ihren Wohlstand können sie nur über den Erhalt eines Machtmonopols in einem fragilen politischen Umfeld sichern. Hinzu kommt der politische Erpressungsversuch aus Moskau. So entsteht eine Situation, in der das Festhalten an einem Status quo attraktiver erscheint, als sich vertrauensvoll in die Arme der EU zu werfen.

Noch ist nichts für die EU verloren

Für sie war die Episode nicht nur ein Gesundheitscheck, sondern auch eine große Prüfung ihres Einheitswillens, die sie unversehrt überstanden hat. Darüber hinaus hat Russland dem Rest der Welt unmissverständlich klargemacht, dass ihm nachbarschaftliche Zusammenarbeit nicht durch attraktive Angebote, sondern nur durch Erpressung und Nötigung gelingt.
[[Die EU bleibt weiterhin geeint, fest entschlossen und hat die Zeit auf ihrer Seite]]. Vielleicht werden auch die ukrainischen Oligarchen irgendwann einsehen, dass Wohlstand und ein besseres Leben mit dem Westen als Verbündeten eher garantiert sind, als mit Russland.

Alles hängt nun von zwei Faktoren ab. Die EU muss die Tür offen halten und die Ukraine nicht aufgeben. Die ersten Reaktionen aus Brüssel und anderswo sind in dieser Hinsicht ermutigend. Außerdem muss sie weiterhin ihre Hausaufgaben machen und ihr Integrations- und Marktmodell wirtschaftlich und politisch attraktiv halten. Wenn das Europa gelingt, ist klar, wer sich im geopolitischen Wettbewerb in Osteuropa durchsetzen wird. Vielleicht sehen irgendwann sogar die russischen Entscheidungsträger ein, dass ein solches Ergebnis auch für sie das Beste wäre. Das außenpolitische Spiel um Osteuropa ist noch nicht verloren. Es hat gerade erst begonnen.

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