Nachrichten Kroatiens EU-Beitritt (4/6)

Der Wirtschafts-Schock

Durch den Eintritt in den gemeinsamen europäischen Markt, werden sich den kroatischen Firmen viele Türen öffnen, aber dahinter lauert ihnen auch Konkurrenz. Der Übergang wird großen Firmengruppen leichter fallen als kleinen, aber schwere Jahre stehen allen bevor.

Veröffentlicht am 27 Juni 2013 um 10:00

Nach dem 1. Juli droht den kroatischen Unternehmen ein regelrechter Schock: Der Beitritt [Kroatiens] zum europäischen Binnenmarkt mit seinen 500 Millionen Verbrauchern wird das Land einem immer härteren Wettbewerb aussetzen. Wirtschaftsexperten und Spitzenpolitiker verschweigen nicht, dass dies eine der größten Herausforderungen ist, die das nationale Wirtschaftssystem bewältigen muss. Ein Teil der Firmen hat sich gut darauf vorbereitet, der Rest ist nicht wirklich gewappnet.

Die Mehrheit der Kroaten ist der Meinung, dass sie die wirtschaftlichen Vorteile, die sie aus ihrer [EU-Mitgliedschaft] ziehen könnte, nicht von Anfang an zu spüren bekommt. [Der Grund:] Europa macht derzeit ebenso wie Kroatien eine Rezession durch.

In den beiden ersten Jahren wird die kroatische Exportwirtschaft einen Einbruch erleiden und das BIP abfallen. Anschließend wird sich unsere Wirtschaft dann nach und nach anpassen. Nach ungefähr fünf Jahren sollten dann die positiven Auswirkungen der EU[-Mitgliedschaft] über die negativen triumphieren, meint der Finanzberater von Staatspräsident Ivo Josipović, Boris Costa.

Groß ist nicht gleich groß

Die Streichung staatlicher Beihilfen in Sektoren wie dem Schiffbau und der Landwirtschaft wird die Situation noch schwieriger gestalten. Darüber hinaus werden die Unternehmen auch ihre Zollvorrechte verlieren, die ihnen das Mitteleuropäische Freihandelsabkommens(CEFTA)](http://www.worldtradelaw.net/fta/agreements/cefta.pdf) mit den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens garantierte, auf die 40 Prozent der kroatischen Exporte entfallen. Die Preise unserer Ausfuhren nach Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien werden um zehn Prozent ansteigen.

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Andererseits werden die kroatischen Firmen mit immer mehr Konkurrenten fertig werden müssen. Zölle auf Importe werden abgeschafft, was so viel bedeutet wie: Der Preis für importierte Waren wird um etwa zehn Prozent sinken.

Telekommunikations-, Pharmazie- und Finanzdienstleistungsunternehmen werden den großen Schock nicht so sehr zu spüren bekommen, weil sie äußerst gewinnbringend arbeiten. Die meisten Unternehmen in diesen Bereichen, wie beispielsweise Hrvatski Telekom und [der landesgrößte Pharmakonzern] Pliva wurden bereits vor längerer Zeit von ausländischen Firmen übernommen [einerseits von der Deutschen Telekom, andererseits von der israelischen Firma Teva Pharmaceutical Industries]. Die weniger lukrativen Unternehmen, die in der Überzahl sind, werden es schwer haben, sich anzupassen. Für die großen unter ihnen wird es leichter werden als für die kleinen.

„Die großen Unternehmen werden es einfacher haben“, gibt auch die Vizepräsidentin der Agrokor-Gruppe, Ljerka Puljic, zu. (Agrokor ist der größte private Lebensmittelkonzern Kroatiens.) „Allerdings“, erklärt Puljic weiter, „sind unsere ‚großen Unternehmen’ im europäischen Vergleich noch immer recht klein. Es ist die wirtschaftliche Notwendigkeit, die uns dazu treibt, immer grösser zu werden.“

„Das Kapital hält nicht nach der Fahne, sondern nach Gelegenheiten Ausschau“, meint unterdessen Emil Tedeschi, der Generaldirektor eines [anderen Nahrungsmittelriesens], der Atlantic Grupa. Seiner Meinung nach „werden Handels- und Industrieunternehmen bald auf nationaler Ebene zusammengelegt“.

Kleinunternehmer müssen innovativ sein

Um mit den Schwierigkeiten zurechtzukommen, die nach dem 1. Juli über einen Großteil des kroatischen Wirtschaftssystems hereinbrechen könnten, muss die Regierung den Exportunternehmen Mut machen, fordert Darinko Bago, der Konzernchef des [Elektronik- und Informatik-Riesen] Končar Group.

In den Augen [des Aufsichtsratsvorsitzenden der T-Hrvatski Telekom,] Ivica Mudrinić, ist der EU-Beitritt ein entscheidender Augenblick: Dann muss sich die Regierung auf die zukünftige Wirtschaftsstrategie einigen. Eine solche hat es in Kroatien schon seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gegeben.

Nur ganz wenige kleine Unternehmen werden [den EU-Beitritt] überstehen. Möglich wird dies nur dann sein, wenn sie innovative Produkte herstellen, für die auf allen Märkten eine hohe Nachfrage besteht. Eine dieser kleinen Firmen, die sich in den letzten Jahren sehr schnell entwickelt hat und ihre Waren in ganz Europa verkauft, stammt aus Rijeka. Es handelt sich um das Labor Jadran Galenski, das dieses Jahr die größten Investitionen im „Pharma Valley“ Rijekas getätigt hat, was seinen Erfolg umso mehr unterstreicht. Für seinen Geschäftsführer Ivo Usmiani wird sich nach dem 1. Juli nichts ändern: „JGL stellt schon jetzt viele Produkte für europäische und weltweit agierende Pharmakonzerne her. Im Vergleich zu allen anderen zieht [das Labor] ja auch genau daraus seinen Vorteil.“

Aus Berlins Sicht

Eine Krisenwirtschaft

„Kroatien steckt schon seit 2009 in der Rezession, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist seither um elf Prozent abgestürzt. Die Staatsverschuldung hat sich dagegen fast verdoppelt und wird in diesem Jahr voraussichtlich 60 Prozent des BIP erreichen. Zwei von drei großen Ratingagenturen bewerten die Staatsanleihen Kroatiens als Schrott“, berichtet Die Welt

„Seit der Zersplitterung Jugoslawiens hat die Industrie zwischen 300.000 und 400.000 Arbeitsplätze verloren“, erklärt Volkswirtschaftsprofessor Ivo Druzic der deutschen Tageszeitung und fügt hinzu: „Die wirtschaftliche Zukunft des Landes hängt deswegen vor allem von neuen Arbeitsmöglichkeiten im produzierenden Gewerbe ab.“

Erfreulicherweise kann Kroatien laut Zeitungsbericht aber

jährlich bis zu zwei Milliarden Euro anzapfen – eine hohe Summe, die vier Prozent des kroatischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Fraglich ist jedoch, ob Behörden und Unternehmen fähig sind, genügend hochwertige Entwicklungsprojekte vorzubereiten, um das europäische Geld auch zu erhalten.

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