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Die Solaranlage von Aïn Ben Mathar (Marokko).

Desertec profitiert vom Atomausstieg

Deutschland und die Schweiz steigen aus der Atomkraft aus, und überall in Europa wird die Kernenergie in Frage gestellt. Projekte für erneuerbare Energien profitieren davon, wie beispielsweise das Projekt eines deutschen Konsortiums in Nordafrika: „Desertec“.

Veröffentlicht am 8 Juni 2011 um 15:23
ZDF Mediathek  | Die Solaranlage von Aïn Ben Mathar (Marokko).

Unter den Unternehmen, die mit Interesse die arabischen Revolutionen beobachten, finden sich zahlreiche deutsche Firmen. Seit Sommer 2009 haben mehrere von ihnen — Finanzgruppen wie die Deutsche Bank oder Industrieunternehmen wie E.ON, RWE oder Siemens — das Konsortium „Desertec“ ins Leben gerufen, ein äußerst ehrgeiziges Energieprojekt: Es handelt sich dabei um die Stromerzeugung durch Wind und Sonne in großem Maßstab in der nordafrikanischen Wüste. Die Länder der Region, aber auch Europas, sollen so mit ausreichend Strom versorgt werden.

Die Zahlen, die bei der Vorstellung des Projekts genannt wurden, sind gewaltig. Es soll bis 2050 die Stromversorgung des Nahen Ostens und Nordafrikas, als auch 15 Prozent des Energiebedarfs des Alten Kontinents abgedeckt werden. Die Gesamtkosten der Investition betrügen über einen Zeitraum von 40 Jahren 400 Milliarden Euro.

Dennoch gibt sich das in München ansässige Konsortium Desertec Industrial Initiative (DII), welches bis 2012 die technischen, juristischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen schaffen soll, bescheiden. Für ihre Verantwortlichen handelt es sich keineswegs nur um ein „400-Milliarden-Projekt“, sondern um ein Netzwerk von rund dreißig lokalen Projekten. So ist beispielsweise in Marokko der Bau einer ersten 500-Megawatt-Solaranlage vorgesehen.

Gefährdet der „arabische Frühling“ Desertec?

Doch seit der tunesischen Revolution erhitzt eine Frage die Gemüter: Ist das Projekt Desertec, welches zu Zeiten der diktatorischen Regimes in Tunesien und Ägypten entwickelt wurde, durch den „arabischen Frühling“ gefährdet? Der Niederländer und Desertec-Chef Paul van Son glaubt das nicht. Schon am 4. März gab er eine Erklärung ab, die für sein Team bis heute die Referenz zu diesem Thema ist. Sicher „werden die aktuellen politischen Veränderungen zu Verzögerungen bei der Planung und den Bau der ersten Anlagen führen“, doch das Projekt Desertec selbst sei nicht in Gefahr.

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Im Gegenteil. „Die Mission von DII — die langfristige Produktion von erneuerbarer Energie für die nordafrikanische Bevölkerung und für den Export nach Europa verliert unter keinem möglichen Szenario seinen Sinn“, erklärte Paul van Son. „Bis 2050 wird die nordafrikanische Bevölkerung rasant wachsen. Wir werden sehen, dass der Energiebedarf steigen wird, während die Frage der Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Perspektiven für die junge Bevölkerung immer dringender wird. [...] Desertec bedeutet auch die Entwicklung neuer Industrien in Nordafrika und im Nahen Osten, Schaffung von Arbeitsplätzen und Technologie- und Wissenstransfer.“

Ermutigendes Zeichen für das Konsortium: Mitte April haben vier tunesische Minister zugestimmt, eine Machbarkeitsstudie für großangelegte Wind- und Solaranlagen zu starten. Desertec hat bereits in Tunis ein Büro eröffnet, welches von einem ehemaligen Siemens-Manager geleitet wird.

Unterstützung von Greenpeace

Darüber hinaus, als Vertrauensbeweis der Europäer in den laufenden Wandel in Ägypten, wird im kommenden November die Jahreshauptversammlung von Desertec in Kairo stattfinden. Obwohl nicht ausdrücklich erwähnt, können zwei jüngste Ereignisse Desertec nur ermutigen: Die vom G 8-Gipfel in Deauville am 26. und 27. Mai beschlossenen Finanzhilfen für Länder auf dem Weg der Demokratisierung sowie der Atomausstieg Deutschlands, der den Bedarf an regenerativer Energie nur stärken kann.

Die Franzosen halten eher Abstand, abgesehen von Saint-Gobain, das zu den Industriegruppen gehört, die sich den Gründern von Desertec angeschlossen haben. In Deutschland wird Desertec einhellig befürwortet, was einmal mehr zeigt, wie sehr das Land dabei ist, seinen Vorsprung im Bereich erneuerbarer Energien auszubauen. Dass Grüne und Greenpeace ein Projekt unterstützen, an dem sich Stromriesen wie E.ON und RWE maßgeblich beteiligen, ist eher unüblich. Und die Tatsache, dass der EU-Energiekommissar Günther Oettinger Deutscher ist, spricht auch für das Projekt.

Aus dem Französischen von Jörg Stickan

Spanien

Windkraft dreht auf

„Welches Land in Europa ist der größte Nutzer von Windenergie? Es ist nicht mehr Deutschland“, berichtet La Stampa, sondern Spanien. Das Land beziehe derzeit 21 Prozent seiner Stromversorgung aus Windenergie und 19 Prozent aus Atomkraft. Darüber hinaus, notiert das Blatt aus Turin, „stellen die erneuerbaren Energien mit zusammengerechnet 32,3 Prozent die zweitgrößte Energiequelle des Landes dar.“ Die mehr als 19.000 Windkraftanlagen versorgen rund 13 Millionen Haushalte, erklärt der Zeitung gegenüber dem Präsident des spanischen Verbands für Windenergie (Asociación empresarial eólica). Spanien habe sogar Strom nach Frankreich exportiert und könne sich mit einem der niedrigsten Megawattstunden-Preise Europas brüsten: 38 Euro. In Frankreich liege er bei 47,5 Euro. Staatliche Subventionen seien sicher ein entscheidender Faktor für den Boom der Windkraftanlagen, betont La Stampa, seien in Spanien aber geringer als in Deutschland, 77 Euro pro Mwh (in 2010) gegenüber 92 Euro.

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