Nachrichten Humor in Europa (1/10)
Plakat der „Kampfzone Bundestag“ in der Berliner Distel, 23. August bis 1. September 2012.

Deutsche Satire oder „politische Hygiene“

Bierernst, die Deutschen? Ganz im Gegenteil. Im ersten Teil seiner Serie über Humor in Europa entdeckt Le Monde das Kabarett, das Prinzip des „gemeinsamen Lachens“ und findet den deutschen Humor gut durchorganisiert.

Veröffentlicht am 20 August 2012 um 15:29
Distel  | Plakat der „Kampfzone Bundestag“ in der Berliner Distel, 23. August bis 1. September 2012.

Deutscher Humor: Mission impossible? Das Klischee des humorlosen Teutonen ist hartnäckig. Sogar die Literatur hat es geadelt. Schrieb nicht schon 1919 der berühmte Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky: „Wenn bei uns jemand einen politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel“?

Keine Sorge, es gibt ihn sehr wohl, den deutschen Humor. Er scheint nur dem Ausländer schwer zugänglich, denn er ist... gut durchorganisiert.

Der deutsche Humor hat seinen Tempel: das Kabarett. Eine Tradition, die ins frühe zwanzigste Jahrhundert zurückgeht und nur eine entfernte Verwandtschaft mit dem französischen „Cabaret“ besitzt, das ihm den Namen gab. Im Kabarett gibt es weder Tanz noch spärlich bekleidete Damen, sondern nur eine Bühne mit minimalem Bühnenbild, auf der man der politischen Satire frönt. Während der Vorstellung geben ein oder mehrere Schauspieler Sketches zum besten, oftmals von Liedern begleitet.

„Hurra, Humor ist eingeplant!“

Der Unterschied zur Stand-up-Comedy? Hier wird ausschließlich über Politik oder gesellschaftspolitische Themen gesprochen. In jeder größeren Stadt gibt es ein oder mehrere Theater, die nur diesem Genre gewidmet sind. Zudem ist das Kabarett auch im Fernsehen sehr beliebt.

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Eine Tradition, die so tief verwurzelt ist, dass sie die beiden Diktaturen Deutschlands im 20. Jahrhundert überlebt hat. Das in den Zwanzigerjahren äußerst populäre Genre wurde im Nazi-Regime verboten, kannte aber in der Nachkriegszeit eine blühende Renaissance. Es schaffte sogar das Kunststück, in der DDR zu bestehen. „Es gibt in der Geschichte keine andere Diktatur, die Schauspieler aus eigener Tasche bezahlte, damit sie sich über das eigene Regime lustig machen“, erklärt Dirk Neldner, Direktor der „Distel’, dem berühmtesten Kabarett Ostberlins. 1953 trug die erste Show des Hauses den Titel: „Hurra, Humor ist eingeplant!“

„Gemeinsam lachen“

Obwohl die meisten Autoren das kommunistische Regime bitterböse auf die Schippe nahmen, erhielten sie weiterhin staatliche Subventionen. Der Grund? Die tiefe Verankerung der Satire als Urform der „politischen Hygiene“ in der deutschen Kultur. Ähnlich dem Kölner Karneval, wo seit zweihundert Jahren bunte Wagen auffahren, um einen Tag lang Kirche und Politik dem Spott preiszugeben, ist das Kabarett ein Ort, wo die Menschen gemeinsam ihre Kritik gegenüber den Mächtigen Luft machen können.

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Dirk Neldner sieht in dieser Tradition ein charakteristisches Merkmal des deutschen Humors: „ Die Deutschen müssen irgendwo hingehen können, um gemeinsam zu lachen“, meint er. Eine Theorie, die von Werner Doyé, Autor und Produzent der wöchentlichen ZDF-Satire „Toll!“ nicht geteilt wird: „In Zeiten der Diktatur hatte das Lachen im Kabarett etwas Beruhigendes. Das will aber nicht heißen, dass die Menschen nach der Vorstellung keine Witze mehr rissen“, sagt er.

„Das Klischee des bierernsten Deutschen rührt daher, dass die Szene der Humoristen lange Zeit im Umgang mit Autoritätspersonen sehr respektvoll war. Viele Themen waren tabu, im Gegensatz beispielsweise zu England. Heute ist das nicht mehr der Fall.“ Ein Beweis? Was macht Angela Merkel mit ihren alten Klamotten? Anziehen!

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