Fordwerk Sarrlouis in Deutschland (AFP)

Deutsches Modell bezaubert die Spanier

Mit der Wirtschaftskrise schnellte die Arbeitslosenquote in Spanien auf 17%. Und wenn die Madrider Regierung sich ein Beispiel an Deutschland nähme um den Karren aus dem Dreck zu ziehen? Denn dort hält sich die Arbeitslosigkeit in Grenzen. - So zumindest lautet der Vorschlag von El País.

Veröffentlicht am 19 Juni 2009 um 16:32
Fordwerk Sarrlouis in Deutschland (AFP)

Noch ein deutsches Wirtschaftswunder. Der Crash der deutschen Wirtschaft ist einer der spektakulärsten unter den großen europäischen Staaten. Und dennoch steigt die Arbeitslosigkeit dort nicht.

Im ersten Quartal 2009 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands um 6,7% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken, zweimal mehr als das BIP Spaniens (- 3 % ; Quelle : Eurostat). Parallel dazu stieg die Arbeitslosenquote von 7,3% auf 7,7%, während sie sich in Spanien im selben Zeitraum mit einem Anstieg von 10 auf 18,1% quasi verdoppelte.

Unter den zahlreichen Maßnahmen, können zwei besonders dieses deutsche Wunder erklären. Als Erstes wird es den Unternehmen, die punktuell unter der Konjunkturflaute leiden, ermöglicht, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer zeitweilig zu reduzieren. Der Rückgriff auf die sogenannte "Kurzarbeit" wird vom Staat ermutigt. 1,5 Millionen Arbeitnehmer sind von einer um 30% gekürzten Regelarbeitszeit betroffen. Dank dieser Maßnahme konnten ca. eine halbe Million Vollzeitarbeitsplätze gerettet werden.

Die zweite Maßnahme, die die Arbeitslosigkeit in Grenzen hält, ist die angemeldete temporäre Kurzarbeit mit Lohnausgleich: das Unternehmen zahlt weiterhin 10% der Löhne und Gehälter, der Rest wird aber quasi voll vom Staat übernommen. Der Arbeitnehmer bleibt auf den Gehaltslisten der Unternehmen, nutzt aber die freie Zeit zur Weiterbildung oder Umschulung. Es handelt sich dabei gewissermaßen um das Gegenstück zu unserem spanischen Expediente de Regulación de Empleo (ERE, Umstrukturierungsplan), aber in größerem Ausmaß und in unbürokratischerer Form.

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[In Spanien], sind bis jetzt kaum unbefristete Arbeitsverträge von der Arbeitslosigkeit betroffen. Bei zwei Drittel der im Laufe der letzten zwölf Monate zerstörten Arbeitsplätze handelte es sich um befristete Arbeitsverträge.

Die gelungene Erhaltung der Arbeitsplätze in Deutschland lässt sich aber nicht nur so resümieren, dass man per statistischem Trick diese Kurzarbeiter nicht als Arbeitslose erfasst und so aus den Statistiken einfach verschwinden lässt.

Deutschland ist das größte Exportland der Welt (48% seines BIP) und die wettbewerbsfähigste Wirtschaft: Sobald es mit der Weltwirtschaft nach der Krise wieder aufwärts gehen wird, wird auch der Export wieder steigen und somit die Zahl der Beschäftigten in den – soliden – Unternehmen. Diese Annahme fußt auf einer Unternehmenskultur, die auf Langfristigkeit setzt, der Rheinische Kapitalismus, so wie ihn Michel Allbert in seinem Klassiker Kapitalismus contra Kapitalismus (1991) als Gegensatz zum kurzfristig orientierten und antisozialen angelsächsischen Kapitalismus definiert.

Das starre deutsche System wurde dennoch ab Anfang 2000 radikal gelockert. Zunächst mit der Agenda 2010 der Koalitionsregierung Gerhard Schröders, danach weitergeführt von Angela Merkel : Ah ! Wie wichtig ist es den Deutschen doch trotz aller Unterschiede in der Wirtschaftspolitik Kontinuität zu bewahren!

Der Arbeitsmarkt wurde tiefgreifend reformiert. Die Hartz-Kommission erlegte den Menschen zahlreiche Opfer auf, ohne sich allein auf die Kündigungsregelungen zu konzentrieren : Arbeitstag, Ich-AG, Minijobs, Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, moderate Lohnerhöhungen, Erhöhung des Rentenalters, Zuzahlungen bei der Krankenversicherung… Die Hartz-Reformen haben es Deutschland ermöglicht, seine frühere Wettbewerbsfähigkeit wiederzufinden (10 Punkte in der Euro-Zone, 17 Punkte im Vergleich zu den USA, 24 im Vergleich zu Spanien), sowie seinen Platz als größtes Exportland der Welt. Weiterhin wurde die Arbeitsvermittlung reformiert und effizienter gestaltet (öffentliche und private Jobcenter auf Bundes- oder Landesebene).

Natürlich ist die Arbeitsmarktreform allein weder das Wundermittel, um die Krise zu bewältigen (deren Gründe liegen woanders) noch der Zauberstab, um Arbeitsplätze zu schaffen. Doch lehrt uns die deutsche Erfahrung, dass der Arbeitsmarkt gestützt oder zumindest die Bedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen verbessert werden können. Spanien kann von Deutschland noch viel lernen.

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