DieFinancial Times begrüßt verhalten den Einzug des Tory-Chefs David Cameron in die Nummer 10 der Downing Street. "Es ist die richtige Entscheidung für unser Land. Die Konditionen des Koalitionsvertrages zwischen den Tories und den 'Lib Dems' müssen natürlich eingehend geprüft werden, doch sie werden zumindest über die Mehrheit im Parlament verfügen, die für eine stabile Regierung vonnöten ist. Man kann nur hoffen, dass der Vertrag stark genug und ausreichend beständig ist, damit die Regierung die harten Entscheidungen treffen kann, die anstehen." Die Londoner Businesstageszeitung ist darüber erleichtert, dass eine knappe Woche ohne Regierung keinen Finanzcrash herbeigeführt hat. Dies wäre angesichts der prekären Lage des britischen Staatshaushalts mit der Krise der Eurozone im Hintergrund gut denkbar gewesen. "Die neue Regierung muss schnell handeln und Großbritanniens Steuerprobleme in Angriff nehmen. Das Land hat immer noch ein Steuerdefizit von 11,1 Prozent seines BIP. 2010 werden 15 Prozent der Schulden von Europäischen Staaten auf Großbritannien fallen. Nur Italien muss noch mehr Kredite aufnehmen."
The Guardian, der traditionell der Labour-Partei freundlich gesinnt ist und während der Wahlen die Lib-Dems verteidigte, beklagt, dass eine "einmalige Gelegenheit für die Mitte-Links" am Nachmittag des 11. Mai vertan wurde. "Die Liberaldemokraten und Labour hatten eine historische Gelegenheit, im entscheidenden Moment eine demokratisch legitime, fortschrittliche Koalition zu bilden. Labour scheint sich ein Bein ausgerissen zu haben, um grundsätzliche Kompromisse einzugehen. Am Ende waren es aber die Liberaldemokraten, die dankend nein gesagt und bei Herrn Cameron angeklopft haben..."
Alles ist offen
Doch hat diese ungleiche Koalition Bestand? Im Daily Telegraph prognostiziert Simon Heffer, dass das Bündnis der Konservativen mit den Liberaldemokraten unbefriedigend und kurzlebig sein werde, denn die Partei des neuen Vizepremiers Nick Clegg sei politisch zu ambivalent. Der Preis einer jedweden Unterstützung der Konservativen werde allerdings die weitgehende Auslöschung der Lib Dems bei den nächsten Wahlen sein. Ihre Linken würden ihnen nie vergeben. Labour und die Grünen wären die einzigen Nutznießer.
Geoffrey Wheatcroft schaut im The Independent auf eine Wahl zurück, die "für die Konservativen wohl eine der bittersten gewesen sein dürfte", vor allem weil sie "noch einige Monate zuvor allen Grund hatten, an einen Wahlsieg mit absoluter Mehrheit zu glauben, oder zumindest mit einer Stimmenmehrheit, die ihnen einen Kuhhandel erspart hätte." Wheatcroft glaubt, dass die britische Wählerschaft von David Camerons privilegierter sozialer Stellung abgeschreckt worden sei: "das stattliche Anwesen im Berkshire, die Beziehungen zur Aristokratie, der Vater, der reiche Börsenmakler und ehemalige Vorsitzende des größten Londoner Privatclubs White: alles in allem das Beste vom Besten." Außerdem schätzt er, dass Cameron in einer alternden Partei mit einer extrem euroskeptischen Haltung auf Schwierigkeiten stoßen werde. "Nun zieht Cameron ohne klares öffentliches Mandat und mit einer Reihe mächtiger und ganz und gar nicht untätiger Feinde in den eigenen Reihen in die Downing Street Nummer 10 ein. Nichts scheint bei dieser einmaligen und schwierigen Situation unmöglich, noch nicht einmal der Zerfall der konservativen Partei, der ältesten politischen Partei Europas."
Clegg, der aus der Brüsseler Quelle trank
Die Gazeta Wyborcza fragt sich nun, wie die traditionell euroskeptischen Konservativen eine Koalition mit den Liberaldemokraten, "der pro-europäischsten Partei Englands" bilden werden. Laut der Warschauer Tageszeitung muss sich Cameron "schwierigen Herausforderungen" im eigenen Land stellen, vor allem einem kolossalen Schuldenberg von 88 Prozent des BIP (rund 400 000 000 Euro), und werde sicherlich besseres zu tun haben, als sich mit Europa zu streiten. In der Rzeczpospolita behauptetein Politologe der Universität von Nottingham, dass die unterschiedlichen Interessen zwischen Konservativen und Liberal-Demokraten in Bezug auf Europa "keine vorrangige Rolle spielen dürften, aber früher oder später an der Oberfläche erscheinen werden", besonders nachdem die britischen Konservativen 2009 im Europäischen Parlament eine Allianz mit der ultra-nationalistischen und euroskeptischen polnischen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit, sowie mit anderen mittel- und osteuropäischen rechtsextremen Bewegungen eingegangen waren.
Welche Konzessionen muss nun aber der frühere Europa-Parlamentarier Nick Clegg, der, wie Il Sole 24 Ore schreibt, "aus der Brüsseler Quelle getrunken hat" nun machen? Zweifellos muss Clegg akzeptieren, dass "der Euro kein Thema sein wird", meint die Mailänder Tageszeitung. Das spanische Blatt Público hebt hervor, dass der neue Außenminister William Hague "im Sinne der Konservativen für eine Kompetenzrückgabe von der EU an die Mitgliedsstaaten in den Bereichen Justiz, Arbeits- und Sozialpolitik plädieren werde." Die Konservativen hatten bereits angekündigt, dass "jeder zukünftige Machttransfer nach Brüssel einem Referendum unterworfen werde." Die belgische Tageszeitung De Standaard versucht, die Befürchtungen zu entschärfen, dass sich der jüngste Premierminister seit 200 Jahren als neue Margaret Thatcher entpuppen könnte. Der 43-jährige Cameron sei "nicht wirklich anti-europäisch eingestellt und sogar Umweltschützer. Er hat selbst die Farbe seiner Partei von blau in grün gewechselt."
Das letzte Wort aber geht an Nicolas Sarkozy. "Wenn Cameron gewinnt, wird er es wie die anderen machen", sagte der Präsident. "Er fängt anti-europäisch an und endet pro-europäisch. Das ist die Regel." (sd, mz)