Viktor Orbán in Brüssel, 14. April 2011.

Die Machtprobe hat begonnen

Wochenlang wurde geschimpft und diskutiert. Jetzt leitete die EU-Kommission drei Vertragsverletzungsverfahren gegen die ungarische Regierung ein. Wer aber wird zuerst nachgeben: Budapest oder Brüssel? Die ungarischen Medien glauben nicht daran, dass sich viel verändern wird.

Veröffentlicht am 18 Januar 2012 um 14:39
Viktor Orbán in Brüssel, 14. April 2011.

Am 17. Januar richtete die Kommission drei Schreiben an die ungarische Regierung. Sie gab ihr einen Monat Zeit, um ihre Gesetze EU-konform zu machen. Die Begründung der Kommission: Unabhängig sind weder die Datenschutzbehörde, noch die Justiz, und schon gar nicht die Notenbank. Sollte Budapest den Forderungen innerhalb dieser Frist nicht nachkommen, droht ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. In der für den 18. Januar geplanten EU-Parlamentsdebatte wird Regierungschef Viktor Orbán Rede und Antwort stehen müssen.

Die linksliberaleNépszabadság hebt den dreifachen Schlag Brüssels gegen Viktor Orbán auf ihre Titelseite und erklärt, dass Europa:

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momentan nichts anderes sagt, als: Entweder wacht das ungarische Volk auf und gibt sich bei den nächsten Wahlen eine neue Regierung, oder es muss erleben, wie der Staat Konkurs macht und sich die Regierung letztendlich doch dem europäischen ‘Diktat’ fügen muss. Für die europäische Diplomatie gibt es keine andere Lösung.

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Allerdings verfügen die gemeinschaftlichen Institutionen wohl nicht über die notwendigen Druckmittel, meint Népszabadság:

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Die Kommission spricht die Sprache der Gesetze, das Europäische Parlament die der Politik. Orbán aber versteht nur die Sprache der Macht. Europas Macht gehört dem Rat, also den Mitgliedsstaaten selbst. Wenn sich die Politiker der einzelnen (und insbesondere der ‘großen’) Länder zu einem klaren und unmissverständlichen Signal durchringen würden, könnte es vielleicht klappen. […] Die Möglichkeiten des Europäischen Parlaments darf man nicht unterschätzen. Welche Konsequenzen aber haben diese Debatten? Keine.

Magyar Nemzet hält dagegen: “Die EU-Kommission beanstandet drei ganz konkrete Gesetze, was nicht das Ende der Welt bedeutet. Kritisiert werden nur technische und keine politischen oder emotionellen Aspekte. Jetzt sind die Juristen dran.” Allerdings warnt die rechtsliberale Zeitung:

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Europa vertraut Ungarn nicht. Weder seiner Wirtschaftspolitik, noch seiner Demokratie. Aus Zeitmangel sollten wir aber nicht die beleidigte Leberwurst spielen. Alle Themen müssen angesprochen werden. Schließlich bringt es der Union rein gar nichts, Ungarn in die Knie zu zwingen. Wie wir vergangenes Wochenende gesehen haben [anlässlich der Demonstration der rechtsextremen Partei Jobbik, bei der unter anderem Europa-Fahnen angezündet wurden], kommt übertriebene Kritik an der Union nur den Rechtsextremen zugute.

Worum es momentan wirklich geht, fasst Népszava mit dem Titel “Ungarn oder Orbán” zusammen. Dabei darf man das Wichtigste aber nicht vergessen, erinnert das linksliberale Blatt: Die drei von der Kommission angeprangerten Verstöße

sind nur die Spitze des Eisbergs. Das Hauptproblem ist, das Orbán ein politisches und wirtschaftliches System schafft, das mit den europäischen Werten unvereinbar ist. […] Wir können uns rechtfertigen, feilschen, juristische Wortspielchen betreiben. In Straßburg wird sich Orbán heute aber noch viel mehr Kritik anhören. Und klein bei geben müssen. Nicht in Straßburg, sondern zuhause. Und dies so schnell wie möglich.

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