Im Universitätskrankenhaus von Harstad (Nordnorwegen).

Die Weißkittel gehen nach Norwegen

Angesichts der Krise geht das medizinische Personal Litauens auf Arbeitssuche in Norwegen, wo die Gehälter weit höher sind. Doch gehen die Menschen nicht ins Exil, sondern reisen zwischen Oslo und Vilnius hin und her.

Veröffentlicht am 20 Dezember 2011 um 15:44
UNN via Flickr CC  | Im Universitätskrankenhaus von Harstad (Nordnorwegen).

Immer zahlreicher sind die Litauer, die im Ausland arbeiten. Sie verlassen ihre Heimat, meist aber nur für kurze Zeit. Vier Wochen in Norwegen, zwei in Litauen. Dies ist der Rhythmus, den norwegische Pflegefirmen dem medizinischen Personal aus Litauen abverlangen.

Die Emigration der Ärzte und Krankenschwestern bereitet allen Kopfschmerzen. Man hat den Eindruck, dass nach und nach alle die Heimat verlassen. In diesem Jahr sind 3 Prozent der Ärzte ins Ausland gegangen, um dort ihr Glück zu versuchen. Dem sich öffnenden deutschen Markt kommt dabei Teilverantwortung zu. Nach Angaben der litauischen Arbeitsämter liegt das durchschnittliche Einkommen einer Krankenschwester bei 1074 Litas 311 Euro im Monat. Die geringe Bezahlung ist der Hauptgrund, warum die Krankenschwestern im Ausland auf Arbeitssuche gehen.

Die skandinavischen Arbeitsgeber nutzen die Gunst der Stunde. Diese Länder bieten ein hohes medizinisches Leistungsniveau und müssen gleichzeitig dem Ärztemangel entgegnen. Finnland heuert Personal in Estland an, Norwegen in Litauen. Aber Einwanderung will man auf keinen Fall fördern, sondern man bietet nur befristete Arbeitsverträge.

Vier Wochen Norwegen, zwei Wochen Litauen

Die Krankenschwestern, die einen Vertrag mit einem norwegischen Unternehmen unterzeichnen, arbeiten vier Wochen in Norwegen und pausieren dann zwei Wochen zurück in Litauen. Die Gehälter liegen zwischen 7000 2000 und 14.000 Litas 4000 Euro pro Monat.

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Jurgita Papiliauskiene arbeitet seit 2009 als Krankenschwester in Norwegen. Sie macht Hausbesuche in Bergen. Vor einem Jahr kümmerte sie sich um Patienten eines Krankenhauses in der Nähe von Kristiansund. In Litauen ging es mit ihrer beruflichen Laufbahn auf und ab. "Ich mache meinem ehemaligen Arbeitgeber, dem Krankenhaus von Kaisiadorys, keine Vorwürfe. Der Chefarzt war ein toller Kollege, der Teamarbeit schätzte. Ich machte Überstunden und arbeitete unaufhörlich. Aber mein Gehalt überstieg nie 2000 Litas 580 Euro", erzählt sie.

Um ihre Zulassung als Krankenschwester nicht zu verlieren, nahm sie eine Viertelstelle in einem Krankenhaus an und arbeitete zugleich in einem besser bezahlten Job als Direktionsassistentin für ein Tankstellenunternehmen.

Doch 2008 begann die Finanzkrise und traf ihren Job mit voller Wucht: Ihr Gehalt schmolz dahin. Als sie sich auf die Suche nach einem neuen Job machte, entdeckte sie eine Firma, die Krankschwestern nach Norwegen vermittelte. "Ich wurde zu dieser Entscheidung gezwungen, weil mein Gehalt so extrem gesunken war", erklärt die Krankenschwester.

Bessere Ausbildung und schlechtere Stellen

Sandra, 39, arbeitet seit Juni viel in Norwegen. "Ich habe zwanzig Jahre lang in Litauen gearbeitet, doch musste ich mich der Umstrukturierung der Krankenhäuser anpassen. Stellen wurden gestrichen und die Gehälter gesenkt. Ich musste eine Lösung finden", sagt sie. "In Norwegen besetzen die Migranten immer die weniger qualifizierten Arbeitsplätze, auch wenn sie die bessere Ausbildung haben. Mein Arbeitgeber hingegen hat mir das norwegische Gesundheitssystem erklärt und sogar Sprachunterricht vermittelt." In Litauen verdiente Sandra gerade mal 1000 Litas 290 Euro. In Norwegen liegt ihr Stundenlohn derzeit zwar nur bei 33 Litas 10 Euro, doch übersteigt dieser den litauischen bei weitem.

Vyrturus Svedas, der im norwegischen Orkanger als Urologe tätig ist, meint: "Umso mehr Ärzte immer schneller ins Ausland gehen, umso eher werden sich die Dinge in Litauen ändern. Es geht ja nicht um viel: Die Ärzte wollen nur ein anständiges Einkommen und nicht von Provosionen leben, die ihnen schwarz zugesteckt werden." (j-s)

Kontext

Ein (sehr) langsamer Ausstieg aus der Krise

Eine besonders strenge Sparpolitik – Lohn- und Ausgabenkürzungen sowie Steuererhöhungen – war Ende 2008 von der Regierung beschlossen worden und scheint jetzt langsam Früchte zu tragen, wie es im IQ The Economist heißt: "Aus der Sicht des durchschnittlichen Bürgers wirkt die Situation heute weit weniger gefährlich als vor drei Jahren. Die Einkommen derer, die im Privatsektor am meisten gelitten haben, steigen heute wieder oder bleiben zumindest stabil." Die Lage bleibt dennoch gespannt, berichtet die Zeitschrift: "10,3% der erwerbsfähigen Personen sind arbeitslos und die Auswanderungsquoten sind so hoch wie nie."

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