Cartoon von Tiounine (Russland)

Die Wirtschaftsregierung muss warten

Beim Gipfeltreffen vom 17. Juni in Brüssel legten die 27 den Grundstein zu einer "Gouvernance", einem Steuerungssystem, das ihre Wirtschaftsstrategien besser koordinieren soll. Den Schritt zu einer echten gemeinschaftlichen Wirtschaftsverwaltung vollzogen sie nicht, wollen jedoch eine eher unwahrscheinliche Banksteuer einführen, wie die europäische Presse berichtet.

Veröffentlicht am 18 Juni 2010 um 15:49
Cartoon von Tiounine (Russland)

"Klein aber oho": So fasst La Libre Belgique den Europäischen Rat vom 17. Juni und seine Tagesordnung zusammen. "Einführung des Euro in Estland zum 1. Januar 2011? Angenommen. Öffnung der Beitrittsverhandlungen mit Island? Angenommen. Bezifferte Zielsetzungen für die EU2020 Strategie? Alle einverstanden. Veröffentlichung der Stresstestergebnisse der europäischen Banken im kommenden Juli? Akzeptiert. Europäische Sanktionen gegen den Iran schwerer als die der UNO? Alles klar."

Dann kam das, was La Libre als den "Hauptgang" bezeichnet: Die "von der Kettenreaktion auf die Griechenlandkrise ernüchterten" EU-Staaten "haben also die ersten Elemente dessen verabschiedet, was langfristig die 'Wirtschaftsregierung' der Eurozone werden soll", erklärt Libération. "Die Staats- und Regierungschefs werden also die Wirtschafts- und Haushaltspolitik koordinieren, nicht die Kommission", führt die französische Tageszeitung weiter aus. Nebenbei bedauert sie auch, dass "sich die Staaten dadurch, dass sie den Europäischen Rat zum A und O der Koordination in der Wirtschaftspolitik machen, eigentlich zu herzlich wenig verpflichten: Der Rat trifft seine Entscheidungen einstimmig und ihre Umsetzung hängt auch weiterhin alleine von den Staaten selbst ab. Und das geht genau der gemeinschaftlichen Methode entgegen (mit mehrheitlichen Beschlüssen und Verpflichtungen), wobei sich diese doch bewährt hat". "Kurz gesagt, die von den 27 vollzogenen Schritte kommen wahrscheinlich zu spät und reichen vor allem nicht weit genug", schließt Libération.

Keine Chance für die Bankensteuer

Die richtungweisende Maßnahme des Gipfels hingegen – die neue Steuer, die in den Ländern, die ihre Kreditinstitute unterstützen mussten, den Banken auferlegt werden soll – wird von der europäischen Presse eher streng beurteilt. Angefangen bei der tschechischen Tageszeitung Hospodářské noviny: "Wir werden die Banksteuer nicht einführen", heißt es da. Die Haltung Prags wird resümiert und es wird daran erinnert, dass jeder Mitgliedsstaat entscheiden kann, ob er mitzieht oder nicht. Der Evenimentul Zilei schmettertdie Steuer sogar als "populistisch und ineffizient" ab, denn die Banken, so die rumänische Tageszeitung, "werden ihre Kosten auf die Kunden umschlagen". Und die EU könne ja wohl kaum die "unheilvollen Auswirkungen" einer Steuer auf die Bevölkerung akzeptieren, was "in Rumänien und in Ungarn massiv der Fall" wäre. Deshalb gebe es "keine Chance für die Umsetzung dieser Steuer!"

La Stampa glaubt ebenfalls, dass "der Vorschlag in der Versenkung der populistischen Politik verschwinden oder ohnedies genügend verflacht werden wird, um keine Konsequenzen zu haben". Die Tageszeitung aus Turin wirft den europäischen Staatsoberhäuptern auch vor, es sich durch diese Maßnahme ein bisschen zu leicht zu machen und "für ihr unverantwortliches Verhalten und vor allem ihre Unfähigkeit, genau jene Finanzmärkte zu reglementieren, die sie bei jeder Gelegenheit protegieren und begünstigen anstatt sie zu bekämpfen" bequeme Sündenböcke gefunden zu haben. Im Grunde genommen, so die Zeitung, "hat die europäische Politik nicht die griechischen und spanischen Bürger gerettet, sondern die Banken, die unverantwortlich genug waren, der griechischen und der spanischen Regierung großzügige Finanzierungen zu gewähren. Somit hat die europäische Politik die stümperhaft arbeitenden Banken gerettet und will dafür jetzt alle besteuern. Allgemeine Rettung, von wegen! Verantwortliches Handeln besteuern, um unverantwortliches zu finanzieren!"

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Spanische Präsidentschaft nach dem global erschöpfenden Stresstest

Der Evenimentul Zilei weist darauf hin, dass die Finanzminister der G20 vor kurzem darauf verzichteten, eine ebensolche Steuer auf internationaler Ebene durchzusetzen, weil Japan, Indien und Brasilien von der Krise nicht getroffen wurden. Die Zeit meintbezüglich des nächsten G20-Gipfels am 26. und 27. Juni in Toronto: "Europas Regierungschefs werden damit nicht durchkommen in Toronto. Aber wenn sie in Kanada wirklich gemeinsam auftreten, dann haben sie etwas zurückgewonnen, das längst verloren schien – Respekt und Glaubwürdigkeit. Das stärkt den Glauben an das Projekt Europäische Union – und an den Euro." Die deutsche Wochenzeitung ist auch eine der wenigen, die die Entscheidung, "die Einführung einer globalen Finanztransaktionssteuer" zu "sondieren", als gute Nachricht bezeichnen – für das, was zwischen den Zeilen steht. Wie Ratspräsident Herman Van Rompuy betonte, "verfolgen alle Mitglieder dasselbe Ziel". Was bedeutet, dass die 27 in Toronto ihren Weg fortsetzen werden. Und "selbst die USA werden die EU nicht davon abhalten, eine Finanzsteuer zu erheben".

Diese Zusammenkunft des Rates war auch die letzte unter dem spanischen Vorsitz, den El Mundo – mit ursprünglich auf den Gipfel bezogenen Worten – als "global und erschöpfend" und als "Stresstest" für den spanischen Regierungschef José Luis Zapatero "und für die gesamte EU" bezeichnete. Die Kollegen von El Paíswiederum freuen sich darüber, dass dieser Gipfel dazu beigetragen hat, den leicht eingetrübten Vorsitz etwas aufzuwerten. Zudem stellen sie fest, dass zwar "auf die Details geachtet werden muss", wenn die in Brüssel entschiedenen grundsätzlichen Abkommen umgesetzt werden, doch "allein schon ihre Ausformulierung beweist, dass der Puls der Union wieder stärker wird – ebenso wie die Willenskraft der EU, die in den letzten Monaten desorientiert und unkoordiniert schien". (pl-m)

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