Nicolas Sarkozy und Angela Merkel beim Brüsseler Sondergipfel am 7. Mai.

Ein Bollwerk im Bund?

Die europäische Presse begrüßt die Entscheidung der Siebenundzwanzig — mit Ausnahme Großbritanniens — einen 750-Milliarden-Euro Rettungsschirm zu schaffen, um das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung wieder herzustellen. Wenn sich dessen Wirkung auch erst beweisen muss, so handelt es sich dabei dennoch um einen ersten Schritt hin zur einer Wirtschaftsregierung innerhalb der Union.

Veröffentlicht am 10 Mai 2010 um 15:27
Nicolas Sarkozy und Angela Merkel beim Brüsseler Sondergipfel am 7. Mai.

"Punktgenau sechzig Jahre nach der Erklärung Robert Schumans, Startschuss für die europäische Einigung, durchlebt Europa die schlimmste Krise seiner jungen Geschichte", schreibt voller Pathos Le Figaro. "Gestern wurde von der Europäischen Union die historischste Entscheidung seit Einführung des Euro 1999 verabschiedet: ein Rettungsschirm für zahlungsunfähige Länder innerhalb der Eurozone", schließt sich El País an. "Zum Geburtstag wünscht sich Europa, den Zusammenbruch abzuwenden",schreibt ihrerseitsRomânia libera. Dem Blatt zufolge "schien bis vor kurzem das Problem noch auf Europa begrenzt. Heute wird klar, dass es ein globales ist."

Es wird in Zukunft "ein Voher und Nachher" der Entscheidung vom 9. Mai geben, notiert noch El País. "Eine maßgebliche Geste", die "den Grundstein dafür legt, das Ungleichgewicht zwischen einer fast perfekten Währungsunion und einer mangelnden politischen Integration zu verringern." "Die Länder können die Hilfen im Falle von ernsthaften Gefahren, die zum Staatsbankrott führen können, beanspruchen." Die spanische Tageszeitung schreibt weiter, dass "dieser Fonds vor allem dazu dient, Länder wie Irland, Portugal, Spanien und Italien zu schützen, also Länder deren Defizite in der letzten Zeit dramatisch angestiegen sind."

Den Verblutenden mit Pflasterchen heilen

"Kann der europäische Rettungsschirm die Zweifel an der Zukunft von Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal ausräumen?" fragt sichDziennik Gazeta Prawna: "Sollten die Märkte positiv reagieren, könnte des Vertrauen in die Eurozone wiederhergestellt werden." Die polnischen Kollegen von Gazeta Wyborcza hingegen zeigen sich eher skeptisch, dass das in Brüssel verabschiedete Rettungspaket Griechenland retten könne. Die Zeitung meint: "Hier will man einen Verblutenden mit einem Pflasterchen behandeln." Es sei wahrscheinlich, dass es bald "einen weiteren Akt in der griechischen Tragödie geben wird."

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"Wer hätte vor einem Jahr daran geglaubt, dass ein Rettungspaket der Mitgliedsstaaten der Eurozone zustande kommen würde?", fragt La Tribune: "Der Euro wurde gerade auf der Grundlage eines 'Nicht-Beistandspaktes' zwischen den Mitgliedsstaaten geschaffen. Doch die Krise machte das Undenkbare möglich." Für Libérationist " die — schwierige — Entscheidung der Siebenundzwanzig ein erster Schritt auf dem Weg der Entspannung. Doch wer könnte auch nur einen Augenblick daran glauben, dass damit das Chaos der Eurozone beendet wäre. Die Lehre, die man aus der griechischen Tragödie, die sich vor unseren Augen abspielt, ziehen kann, ist: Europa existiert nicht. Oder kaum."

Solidarität? Europa existiert nicht.

"Die demonstrative Solidarität kam nur unter Druck zustande, oftmals gegen den Willen der Bürger",meint auch Le Figaro: "Sie ist somit sehr labil. Doch muss es nicht immer zum Schlimmsten kommen. Die optimistische Version wäre, dass Europa stets in Krisenzeiten vorangekommen ist. Im Wesentlichen war man sich immer einig. Auch aus politischer Sicht hat sich Europa verändert", fügt das Blatt hinzu. "Die neue finanzielle Solidarität, zu der die Krise geführt hat, verlangt im Gegenzug nach einer wirklichen Wirtschaftsregierung. Die Einfluss der großen Länder der Eurozone wie Frankreich und vor allem Deutschland wird steigen."

Die Finanzminister der Siebenundzwanzig haben verbissen an einer Einigung gearbeitet, noch bevor "die Meute" der Finanzmärkte wieder öffnete, notiert Público. Dem Blatt zufolge beschleunigten sich die Verhandlungen, nachdem ein "besorgter Barack Obama", der eine Ausweitung der Krise auf die USA fürchtet, "mit Angela Merkel telefoniert hat." "Die Zweifel aus Kissingers Zeiten gibt es heute nicht mehr im Weißen Haus", fügt die portugiesische Zeitung hinzu. "Heute weiß man genau, welche Nummer man zu wählen hat um mit Europa zu reden. Und die Vorwahl ist die von Berlin, nicht die von Brüssel."

"Wer Berlin regiert, regiert Deutschland, und wer Deutschland regiert, regiert Europa"

"Um mit Karl Marx zu sprechen: Wer Berlin regiert, regiert Deutschland, und wer Deutschland regiert, regiert Europa", wagt gar die belgische Tageszeitung De Standaard. Für das Blatt gilt "heute mehr denn je: auf lange Sicht liegt die Zukunft der Union und des Euro in den Händen der Deutschen. Sie entscheiden, ob der Euro als dauerhaftestes Währungsabkommen Europas in die Geschichte eingehen wird. Sollte das nicht der Fall sein, dann würde der Euro zum Höhepunkt der europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg werden, deren Ende mit der Großen Rezession am Anfang des 21. Jahrhunderts begann."

Wenn alles vorüber sein wird, "wird sich Europa noch lange ans das Frühjahr 2010 erinnern", schreibt abschließend Die Zeit. "An die Lügen der Griechen, an die Kumpanei der anderen Euro-Länder und an den Schrecken, den die Finanzmärkte mit ihren immer skrupelloseren Wetten auf einen griechischen Staatsbankrott verbreitet haben. […] Die vergangenen Wochen haben offengelegt, wie weit die europäische Integration mittlerweile fortgeschritten ist." (js)

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